
Ankaras Autokrat Recep Tayyip Erdogan will vom Amt des türkischen Präsidenten zurücktreten. Das versprach er in einem Ausruf der Empörung jedenfalls – für den Fall, dass Russland Beweise für türkischen Ölhandel mit der Terrormiliz IS vorlegt. Das dürfte den Moskauer Geheimdiensten nicht allzu schwer fallen; US-Dienste fanden schon im Mai Belege für den Öl-Schmuggel aus dem IS-Gebiet in die Türkei. Aber ist dies staatlich organisiert, gebilligt von Erdogan Höchstselbst? Sehr unwahrscheinlich!
Also bleibt der türkische Staatschef im Amt. Natürlich. Das Rücktrittsangebot gehört eher in die Kategorie Empörungsrhetorik und folgt hierbei einer Schärfe, die Kremlchef Wladimir Putin mit dem Vorwurf der Terrorismus-Finanzierung vorgegeben hatte. So schaukelt sich die diplomatische Krise zwischen Ankara und Moskau immer weiter hoch – mit der Folge, dass weder der Syrien-Konflikt noch der vogelwilde Kampf gegen den IS-Terror vorankommen. Fehlt nur noch, dass „versehentlich“ ein russischer Marschflugkörper aus dem Kaspischen Meer auf türkischen Boden fehlgeleitet wird...
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Ökonomisch spitzt sich die Konfrontation schon im Stakkato zu: Erst holte die Luftwaffe den russischen Bomber vom Himmel, was auch im (wahrscheinlichen) Fall eines Kurztrips in den türkischen eine krasse Überreaktion ist. Darauf überreagierte Putins Regierungschef Dmitri Medwedew mit einem ganzen Bündel an Wirtschaftssanktionen, die unter anderem die Türkei als beliebte Touristen-Destination der Russen treffen. Nun hat Erdogan offenbar vor, für russische Handelsschiffe das Procedere bei der Bosporus-Durchfahrt zu erschweren. Ein Possenspiel!
Die Spirale der Eskalation dreht sich auch deshalb so schnell, weil mit Erdogan und Putin zwei ähnliche Charaktere aufeinanderprallen: Beide Autokraten sind Stoiker, beide sehen ihr Land als Gestaltungsmacht in Nahost, beide inszenieren sich dem Volk gegenüber gern als Garanten von Stabilität, als starke Führer. Nachgeben? Entschuldigen? Der Klügere gibt nach? Keiner der beiden denkt daran, denn es käme einem Gesichtsverlust gleich.





Sogar beim Klimagipfel in Paris schlagen Putin und Erdogan einen Bogen umeinander – nicht einmal die Hand wollen sich die beiden Hitzköpfe reichen. Westliche Staatenlenker halten sich aus diesem Streit heraus, weil sie es sich mit keiner der beiden Seiten verscherzen wollen: Die Türkei braucht die EU bei der Eindämmung der Flüchtlingsflut; gerade erst sagte Brüssel den Türken drei Milliarden Euro für Grenzschutz und Unterbringung zu. Russland braucht der Westen, um gemeinsame Strategien sowohl zur Befriedung Syriens als auch zur Bekämpfung des IS zu formen. Über Moskau läuft der Draht zu Syriens Schlächter Baschar al-Assad.
Solange Russland und die Türkei aber im Clinch liegen, dürfte aus dem Frieden nichts werden. Der wird sich dauerhaft nur multilateral einrichten lassen – am besten abgesichert über ein robustes UN-Mandat unter Truppenführung einer sunnitischen Regionalmacht wie der Türkei. Wenn letztere aber bloß „ihren“ Turkmenen im Norden Syriens militärisch helfen und dort eine Sicherheitszone einrichten, wird dies zur dauerhaften Konfliktlösung ebenso wenig beitragen wie die Intervention der Russen an der Seite Assads.
Im Gegenteil, der Krieg geht weiter. Und solange das der Fall ist, blüht der IS-Terrorismus auf dem Humus der Anarchie in der Region. Moskau und Ankara sollten sich also für weitere Terroranschläge wappnen – sofern sie mit ihren Machtspielchen bei der Befriedung im Nahen Osten weiterhin auf die Bremse treten.