Türkische Notstandsdekrete Rechtsexperten zweifeln an Gerichtskontrolle

Was kann das Verfassungsgericht in der Türkei tun angesichts der Entlassungen nach dem Putschversuch? Beim Europarat ist man sich nicht einig: Eine Gruppe Rechtsexperten zweifelt an der Macht der Richter.

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Seit dem Putschversuch in der Türkei wurden bisher mehr als 75.000 Menschen aus ihren Positionen entlassen. Mehr als 36.000 Menschen sollen in Untersuchungshaft sitzen. Quelle: dpa

Venedig/Straßburg Rechtsexperten des Europarats haben die massenhaften Entlassungen von Staatsbediensteten in der Türkei nach dem Putschversuch angeprangert. „Eine solche Methode, den Staatsapparat zu säubern, erweckt einen starken Anschein von Willkür“, teilten die Experten am Freitag nach ihrer Plenarsitzung in Venedig mit. Sie sprachen von „kollektiven Entlassungen“, die ein Minimum an Verfahrensgarantien vermissen ließen. Die türkische Führung hat nach den Ereignissen vom 15. Juli mehr als 75 000 Menschen entlassen. Ihnen werden Verbindungen zu der Bewegung des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen vorgeworfen, den die Regierung für den Putschversuch verantwortlich macht.

Die Venedig-Kommission, die die Mitgliedsländer des Europarats in verfassungsrechtlichen Fragen berät, kritisierte, dass die Entlassungen anscheinend keiner Kontrolle durch die ordentlichen Gerichte unterlägen. Es sei unklar, ob das türkische Verfassungsgericht die Macht habe, die Verfassungskonformität der Notstandsdekrete uneingeschränkt zu überprüfen. Die Rechtsexperten unterstützten die Idee, ein unabhängiges Ad-hoc-Gremium einzurichten, das einzelne Fälle von Entlassungen überprüfen soll. Erst am Donnerstag hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, ebenfalls eine Einrichtung des Europarats, die Beschwerde eines entlassenen Lehrers zurückgewiesen. Die Straßburger Richter schätzten die Lage der türkischen Justiz anders ein als die Venedig-Kommission: Noch habe das türkische Verfassungsgericht nicht entschieden, ob es Klagen gegen Maßnahmen nach den Notstandsdekreten nicht doch prüfen könne. Die Frage sei jedenfalls sehr umstritten.

Außen vor lässt die Venedig-Kommission in ihrer Stellungnahme die zahlreichen Festnahmen. Seit dem Putschversuch wurden nach Medienangaben mehr als 36 000 Menschen in Untersuchungshaft genommen. Erst am Freitag wurden 51 Akademiker der Istanbul-Universität festgenommen, nach 36 weiteren wurde noch gefahndet.

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