Tunesien Die Tücken der Revolution

Tunesien ist das einzige Land, in dem nach dem arabischen Frühling tatsächlich Demokratie herrscht. Doch die hat auch zu wirtschaftlichen Problemen und einem Anstieg des Terrorismus geführt.

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Seit der Revolution Ende 2010, ist die Demokratie in Tunesien keine ungetrübte Erfolgsgeschichte. Quelle: dpa

Madrid „Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst“, versprach der französische Philosoph Voltaire. Vor sechs Jahren taten die Tunesier es ihm gleich: Als sich Ende 2010 ein Gemüsehändler aus Protest gegen Drangsalierung durch die Polizei verbrennt, regt sich im gesamten Land Widerstand. Der Funke der Revolution steckt zahlreiche Länder in Nordafrika an – doch allein in Tunesien hat sich nach den Unruhen tatsächlich die Demokratie als neue Staatsform durchgesetzt. Für Bundeskanzlerin Angela Merkel, die heute nach Tunesien reist, ist das Land deshalb ein „Leuchtturm der Hoffnung“.

Allerdings ist die Demokratie in Tunesien keine ungetrübte Erfolgsgeschichte. Zwar gibt es inzwischen Presse- und Meinungsfreiheit sowie ein demokratisch gewähltes Parlament. Doch Wirtschaft hat unter den unsicheren Aussichten gelitten: Während sie in den zehn Jahren vor der Revolution im Schnitt um fünf Prozent pro Jahr zugelegt hat, waren es 2016 nur noch 1,3 Prozent. Die politische Freiheit hat offenbar auch dazu geführt, dass der Terrorismus sich in dem ehemaligen Polizeistaat ausbreiten konnte. Viele Tunesier fühlen sich heute in ihrem eigenen Land nicht mehr sicher.

Zwar haben diese Ängste bislang nicht dazu geführt, dass die Mehrheit der Tunesier sich das autokratische Regime zurück wünscht: In Umfragen geben sie weiter mit eindeutiger Mehrheit an, dass die Demokratie ihre bevorzugte Regierungsform ist. Die Menschenrechtsorganisation amnesty international warnt allerdings, dass die Behörden in ihrem Versuch, den Terrorismus einzudämmen auf die alten Methoden wie Folter oder willkürliche Verhaftungen zurück greifen.

Zwar haben diese Ängste bislang nicht dazu geführt, dass die Mehrheit der Tunesier sich das autokratische Regime zurück wünscht: In Umfragen geben sie weiter mit eindeutiger Mehrheit an, dass die Demokratie ihre bevorzugte Regierungsform ist. Die verstärkten Sicherheitsanstrengungen der Behörden im Kampf gegen den Terror haben die einmal errungene Freiheit denn auch nicht wieder zurückgeholt.

Dennoch hat die Revolution für viele nicht den erhofften finanziellen und beruflichen Aufschwung gebracht. Im Gegenteil: Nach den Unruhen ging es wirtschaftlich bergab:  Investoren scheuten die unsicheren politischen Aussichten des Landes nach der Revolution und auch Touristen mieden Tunesien. Als sich die Lage gerade entspannt hatte, erschütterten 2015 zwei Terroranschläge auf Touristen das Vertrauen erneut. Im selben Jahr sank die Zahl der europäischen Tunesien-Urlauber um rund 70 Prozent. Der Tourismus ist für Tunesien von großer Bedeutung: Er macht rund sieben Prozent der Wirtschaftsleistung aus und sichert 400.000 Arbeitsplätze.

Die Arbeitslosigkeit liegt bei 15 Prozent, bei den häufig gut ausgebildeten Jugendlichen ist sie doppelt so hoch. Im vergangenen Sommer musste der damalige Ministerpräsident Habib Essid abtreten, weil er nicht genug gegen die wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Landes und gegen die Korruption getan hatte.

Gerade die Regionen im Landesinneren sind häufig stark vernachlässigt. Perspektivlose Jugendliche dort werden zur leichten Beute für Anwerber von Terroristen. Auch der Berliner Weihnachstmarkt-Attentäter Anis Amri kam aus einem solchen Ort, der Wüstenstadt Tataouine im Süden des Landes.

Der Internationale Währungsfonds mahnt schnellere Struktur-Reformen an, damit Tunesien stärker wachse, mehr Jobs schaffe und die Bevölkerung von ausreichenden staatlichen Leistungen profitieren könne. Für dieses Jahr erwartet der Fonds mit 2,5 Prozent aber immerhin ein deutlich stärkeres Wirtschaftswachstum als im vergangenen Jahr.

Das liegt auch daran, dass der Tourismus sich langsam wieder erholt. Die Regierung habe viel getan, um die Sicherheitslage zu stabilisieren, versichert eine Sprecherin des tunesischen Fremdenverkehrsamtes. So müssten inzwischen müssen alle Hotels etwa mit Metalldetektoren und Überwachungskameras ausgerüstet sein, einen separaten Sicherheitsraum besitzen und sämtliche Kennzeichen von  Autos registrieren, die in die Hotelanlage fahren. Zwar kamen in diesem Jahr zwischen Januar und Oktober immer noch 44 Prozent weniger Touristen als im vergangenen Jahr. Doch in jedem Monat ist die Zahl der Gäste aus Deutschland angestiegen.

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