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Tunesien Terrorismus wird immer bedrohlicher

Nach den Morden am Nationalmuseum in Tunis ruft Präsident Caid Essebsi zum Kampf gegen die Terroristen - dafür braucht er unsere Hilfe.

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Die Front gegen den IS
USADie mächtigste Militärmacht der Welt organisiert die internationalen Luftangriffe. Ab August wurden zunächst IS-Stellungen im Irak bombardiert. Dabei kann sich Washington auf einen Hilferuf Bagdads berufen. Seit September kamen völkerrechtlich umstrittene Angriffe in Syrien hinzu. Sie galten neben dem IS auch der Al-Kaida-nahen Chorasan-Gruppe. Dabei werden auch Ölförderanlagen und Raffinerien gezielt zerstört. Nach US-Angaben sollten damit die Finanzquellen des IS ausgetrocknet werden. Seit dem 26. September bombardieren die USA auch IS-Stellungen bei der umkämpften Kurdenstadt Kobane in Nordsyrien (im Bild). Die USA bilden zudem syrische Rebellen für den Kampf gegen den IS und die Regierung in Damaskus aus und liefern Waffen. Quelle: AP
Arabische StaatenSaudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain, Katar und Jordanien unterstützen die USA bei Luftangriffen in Syrien. Die Golfmonarchien sind vom IS bedroht, dessen „Kalifat“ einen Anspruch auf Herrschaft über alle Muslime erhebt. Zugleich drängen sie die USA auch zum Sturz der syrischen Regierung, die ihrerseits gegen die Islamisten einen Kampf um Leben und Tod führt. Im Bild: Der Außenminister von Saudi Arabien, Saud al-Faisal. Quelle: dpa
TürkeiDie türkische Regierung leistet weiterhin nur humanitäre Hilfe und hat nach eigenen Angaben rund 200.000 Flüchtlinge aus der umkämpften Region Kobane aufgenommen. Im Bild ist ein türkische Helfer zu sehen, der Nahrung an die Flüchtlinge verteilt, Die Regierung in Ankara hat ein Mandat des Parlaments, militärisch in Syrien und dem Irak gegen Terrororganisationen vorzugehen. Sie fordert für ein Eingreifen aber eine umfassende internationale Strategie, die den Sturz des syrischen Machthabers Baschar al-Assad einschließt. Die Forderung nach einem Korridor für kurdische Volksschutzeinheiten durch die Türkei hat sie abgelehnt. Der Nato-Staat hat auch dem Anti-IS-Bündnis nicht die Nutzung türkischer Stützpunkte erlaubt. Quelle: REUTERS
FrankreichAls erstes EU-Land hat Frankreich im August Waffen geliefert und auch Luftangriffe auf IS-Stellungen im Irak geflogen. Dazu kommt Waffen- und Ausbildungshilfe für die irakischen Kurden. Quelle: REUTERS
GroßbritannienWashingtons engster Verbündeter fliegt ebenfalls Luftangriffe im Irak. Das Mandat des Parlaments schließt den Einsatz von Bodentruppen aus und beschränkt sich auf Einsätze im Irak. London liefert zudem Waffen an die irakischen IS-Gegner und leistet humanitäre Hilfe. Im Bild: Ein Jet der britischen Royal Air Force kehrt von einem Einsatz im Irak zurück. Quelle: AP
DänemarkAls einziges skandinavisches Land beteiligt sich Dänemark mit F16-Kampfflugzeugen am Kampf gegen den IS. Außerdem will Kopenhagen Militärausbilder entsenden. Im Bild: Premierministerin Helle Thorning-Schmidt. Quelle: AP
BelgienFür Luftangriffe gegen IS-Stellungen im Irak stellt Belgien sechs Jagdbomber vom Typ F-16 (im Bild) zur Verfügung. Zusammen mit den Kampfjets wurden rund 120 belgische Soldaten nach Jordanien verlegt. Quelle: REUTERS

Grauenhaftes Gefühl, wenn Fernsehen und Internet einem Bilder von einem Ort präsentieren, den man gut kennt und in guter Erinnerung hat – und das ist jetzt ein Tatort, an dem Menschen ermordet worden sind, Menschen wie man selber. Vor gut einem Vierteljahr war ich im Nationalmuseum von Tunis, genau da, wo jetzt die Touristen ermordet wurden. Ein besonders schöner und friedlicher Ort in einer auch sonst an vielen Stellen schönen und fast überall friedlichen arabischen Metropole – bisher.

„Ich möchte, dass das tunesische Volk versteht, dass wir im Krieg gegen die Terroristen sind“, hat der greise Präsident Béji Caid Essebsi verkündet, eine durchaus zivil wirkende Figur, demokratisch gewählt voriges Jahr gegen eine durchaus loyale und friedliche islamistische Figur. Das ist eine politische Konstellation, die Dschihadisten hassen. Und wenn sie ihren Hass in die Tat umsetzen wollen, finden sie schnell mordbereite Aktivisten unter den vielen jungen Arbeitslosen im Land, unter den gutgläubigen Anhängern bösgläubiger Prediger, denen der sanfte Islamismus der parlamentarischen Opposition viel zu lasch ist. Tunesiens Demokratie ist extrem bedroht, solange der wirtschaftliche Niedergang weitergeht, der in den Revolutionswirren vor drei Jahren begann. Das Fatale: Durch den Mordanschlag ausgerechnet auf ein Ziel wie das nebenbei fantastische musée Bardo schrecken ein paar Terroristen Hunderttausende potenzielle Touristen ab. Das könnte den Ruin des Landes bedeuten.

Trauer um die Opfer von Tunis

Da mag es nebensächlich sein, ob die Attentäter aus einer kleinen selbstgesteuerten Gruppe kamen, von Al Qaeda rekrutiert worden oder vom so genannten Islamischen Staat. Al Qaedas nordafrikanischer Ableger „Al Qaeda im Maghreb“ (AQIM) unterhält in abgelegenen Gebieten Tunesiens Untergruppen, die sich bisher durch Bombenanschläge auf Armeekolonnen bemerkbar machten, aber auch durch Mordanschläge auf unliebsame tunesische Politiker. Ein dem Museums-Anschlag vergleichbares Verbrechen liegt schon 13 Jahre zurück: 2002 brachte Al Qaeda durch einen Bombenanschlag gegen die berühmte Al-Ghriba-Synagoge auf der Insel Djerba 21 Touristen um. Damals ließen sich Schädigung der Tourismusbranche und Antisemitismus elegant verbinden, heute geht es ebenfalls gegen den Tourismus, daneben gegen die Demokratie und vielleicht auch gegen die im Bardo-Museum ausgestellte vorislamische Kunst. Das erinnert ein wenig an die barbarische Kulturpolitik der IS-Horden in Syrien und im Irak.

Die zehn reichsten Terrorgruppen der Welt
Platz 10: Boko HaramJahreseinkommen: 25 Millionen US-Dollar Ziele: „Die moderne Erziehung ist Sünde“ – dafür steht Boko Haram. Die islamistische Terrorgruppe, die sich mittlerweile „Vereinigung der Sunniten für den Ruf zum Islam und den Dschihad“ nennt, will westliche Bildung in Nigeria verbieten und die Scharia einführen. Sie machte sich einen Namen, indem sie zahlreiche Christen und moderate Muslime in Nigeria ermordet hat. Im Frühjahr 2014 hatte Boko Haram über 200 Mädchen aus einer Schule entführt (Foto). Quelle: AP
Platz 9: Real IRAJahreseinkommen: 50 Millionen US-Dollar Ziele: Die Real IRA beansprucht der einzige rechtmäßige Nachfolger der „Irish Republican Army“ (IRA) zu sein. Wie ihre von 1919 bis in die 70er Jahre bestehende paramilitärische Organisation, strebt auch die neue IRA die komplette Unabhängigkeit ganz Irlands – also auch Nordirlands – von Großbritannien an. Die 1997 gegründete Gruppe zeigt sich verantwortlich für einen Bombenanschlag 1998 im nordirischen Omagh, der 29 Menschen tötete. Beim Beschuss einer Kaserne tötete die Real IRA 2009 zwei britische Soldaten. Quelle: AP
Platz 8: Al-ShabaabJahreseinkommen: 70 Millionen US-Dollar Ziele: Sie waren sogar Osama bin Laden zu hart: Bis zu dessen Tod bemühte sich die somalische Terrororganisation al-Shabaab ins Netzwerk von al-Qaida aufgenommen zu werden. Bin Laden wehrte sich dagegen, da al-Shabaab auch Muslime ermordet. Das Ziel der Gruppe ist es, einen islamischen Staat am Horn von Afrika zu errichten und sich an einem weltweiten Dschihad zu beteiligen. Sie bekämpft dafür die somalische Regierung und kontrolliert bereits Teile Südsomalias, wo sie streng nach der Scharia regiert. Das Foto zeigt Denis Allex, einer 2013 von den Terroristen getötete französische Geisel. Al-Shabaab hat bin Ladens Nachfolger Aiman az-Zawahiri die Treue geschworen und gilt seitdem als lokaler Ableger von al-Qaida. Quelle: dpa
Platz 7: Laschkar e-TaibaJahreseinkommen: 100 Millionen US-Dollar Ziele: Im Kaschmirkonflikt zwischen Indien und Pakistan mischt auch die Terrororganisation Laschkar e-Taiba mit. Sie wollen die Muslime im indischen Teil Kaschmirs befreien und einen islamischen Staat errichten. Auf ihr Konto gehen Anschläge in Mumbai 2006 und 2008 – unter anderem auf das Luxushotel Taj Mahal Palace (Foto). Quelle: REUTERS
Platz 6: Al-Qaida und seine AblegerJahreseinkommen: 150 Millionen US-Dollar Ziele: Das lose weltweite Netzwerk meist sunnitischer Islamisten will einen weltumspannenden Gottesstaat aller islamischen Länder herbeiführen. Spätestens seit den Anschlägen vom 11. September 2001 ist al-Qaida in aller Munde. Das Foto zeigt die New Yorker Gedenkstätte. Quelle: AP
Platz 5: TalibanJahreseinkommen: 400 Millionen Euro Ziele: Die Taliban wollen ihre Macht in Afghanistan zurückerlangen, die sie nach dem Einmarsch der US-Einheiten ins Land 2003 verloren hatten. Die Islamisten verüben seit dem von Pakistan aus gezielte Anschläge gegen afghanische und internationale Truppen sowie gegen die afghanische Bevölkerung. Letztere leidet am meisten darunter: mehr als doppelt so viele Anschläge treffen die Zivilbevölkerung. Das Bild zeigt einen Anschlag vom Oktober 2014. Quelle: dpa
Platz 4: HisbollahJahreseinkommen: 500 Millionen US-Dollar Ziele: Einerseits Partei, andererseits Miliz – die schiitische Hisbollah stellt mehrere  Parlamentsabgeordnete im Libanon und war schon an mehreren libanesischen Regierungen beteiligt. Die Miliz der Hisbollah sieht sich angesichts der schwachen libanesischen Armee als die Beschützer des Libanons – vor allem vor Israel. Die Hisbollah entstand 1982, nachdem Israel das Land angegriffen hatte. Mit den USA, Kanada und Israel stufen lediglich drei Staaten die gesamte Hisbollah als terroristisch ein; die EU sieht lediglich die Miliz als Terrororganisation. Quelle: dpa

Denen hatten sich nach Erkenntnis des tunesischen Innenministeriums 3800 Tunesier angeschlossen, und viele von denen sind jetzt auf dem Rückweg nach Westen sein, zumeist in Tunesiens Nachbarland Libyen, das derzeit im Bürgerkrieg zwischen Islamisten und weltlich orientierten Milizen versinkt. In Libyen, meint das Innenministerium, gibt es 1500 IS-Kämpfer, und die haben nach Informationen der in London erscheinenden arabischen Zeitung „Al-Hayat“ enge Kontakte zu der bislang AQIM ergebenen tunesischen Terrorgruppe „Ansar al-scharia“.

Der libysche Bürgerkrieg bringt den Terror nach Tunis, hält die Touristen und ihr Geld fern und spült immer mehr meist mittellose libysche Flüchtlinge ins Land. Denen muss geholfen werden – nach Aussortierung der eingeschlichenen Terroristen, wenn das denn geht. „Ich will“, sagt Präsident Caid Essebsi, „dass sich das tunesische Volk sicher ist, dass die Verräter“ – er meint die Mörder vom Museum – „vernichtet werden“. Ohne Hilfe von außen wird der tunesische Staat das nicht schaffen. Und die kann jeder leisten, wenn er allen Bedrohungen zum Trotz nach Tunesien reist und ein bisschen Geld ausgibt. Das Bardo-Museum ist wirklich sehenswert.

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