Tunesien Umfragen sehen konservativen Juristen Saied als Sieger der Präsidentschaftswahl

Tunesiens junge Demokratie steht vor einem Umbruch. Die etablierten Parteien wurden dramatisch abgestraft. Ein völliger Außenseiter ist wahrscheinlich der nächste Präsident.

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Der Jura-Professor dürfte der nächste tunesisches Präsident werden. Quelle: AP

Bei der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl in Tunesien sehen die Nachwahlbefragungen einen deutlichen Sieger. Der parteilose Verfassungsrechtler Kais Saied kommt nach einer Befragung von Emrhod Consulting auf 72,5 Prozent der Stimmen. Der bis vor kurzem inhaftierte Medienunternehmer Nabil Karoui kommt demnach auf 27,5 Prozent wie der staatliche Fernsehsender Watania am Sonntagabend berichtete.

Das Meinungsforschungsunternehmen Sigma Conseil sieht den Juristen sogar bei knapp 77 Prozent. Ein amtliches Endergebnis wird innerhalb der kommenden zwei Tage erwartet.

Tausende Unterstützer von Kais Saied feierten am Abend bereits lautstark unter anderem in der Innenstadt von Tunis, nachdem das staatliche Fernsehen die Umfrageergebnisse verkündet hatte. Auch an anderen Orten des nordafrikanischen Landes gab es spontane Autokorsos und Hupkonzerte.

„Die Tunesier haben heute der ganzen Welt eine Lektion erteilt“, sagte Saied auf einer Pressekonferenz. „Es ist ein neues Konzept einer Revolution innerhalb des Verfassungsrahmens.“ Der Staat werde weiter zu seinen Verpflichtungen stehen und sich an alle Regeln halten, betonte Saied.

„Heute bauen wir unsere eigenen Möglichkeiten: ein neues Tunesien. 2010 haben die Menschen gerufen: wir wollen! Und heute erreicht ihr, was ihr wollt.“ Der 61 Jahre alte Kais Saied wurde laut Umfragen vor allem von jungen Tunesiern und Akademikern gewählt. Er absolvierte seinen Wahlkampf ohne großes Kampagnenteam und ohne die Unterstützung einer eigenen Partei.

Das politische System steht vor einem Umbruch

Tunesien hatte nach dem sogenannten Arabischen Frühling vor acht Jahren zwar tiefgreifende demokratische Reformen eingeleitet. Das Land kämpft aber mit großen wirtschaftlichen Problemen und hoher Arbeitslosigkeit. Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung ist groß.

Tunesiens politisches System steht vor einem tiefgreifenden Umbruch. Innerhalb weniger Wochen wurden sowohl der Präsident, als auch das Parlament neu gewählt. Bei der Parlamentswahl in der vergangenen Woche wurden die bislang etablierten Parteien deutlich abgestraft. Die moderat islamistische Ennahda sicherte sich zwar 52 der insgesamt 217 Sitze im Parlament, verlor aber deutlich an Zuspruch.

Auf Platz zwei folgte die von Präsidentschaftskandidat Karoui neu gegründete Partei „Kalb Tounes“ (Herz von Tunesien) mit 38 Sitzen. Beide Parteien schließen eine Koalition aus. Das Parlament ist stark zersplittert, was eine Regierungsbildung nach Ansicht von Beobachtern schwierig machen könnte.

Auch die erste Runde der Präsidentschaftswahl hatte mit Kais Saied und Nabil Karoui zwei Außenseiter in die Stichwahl am Sonntag gebracht. Der Medienunternehmer Karoui saß bis Mitte vergangener Woche noch wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung und Geldwäsche in Untersuchungshaft.

Die Wahlbeteiligung lag nach Angaben der Oberen unabhängigen Wahlbehörde ISIE über der Beteiligung bei den vergangenen Wahlgängen. Demnach gaben mindestens 58 Prozent der registrierten Wähler ihre Stimme ab. Allerdings lagen am Sonntagabend zunächst nur die Daten aus 70 Prozent der Wahlstationen vor. Bei der ersten Runde der Präsidentschafts- und der anschließenden Parlamentswahl beteiligten sich allerdings lediglich 45 und 41 Prozent. Insgesamt sind rund sieben Millionen Tunesier als Wähler registriert.

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