TV-Diskussion vor Neuwahlen Die vertane Chance

Die britische Premierministerin hat zuletzt im Wahlkampf keine glückliche Figur abgegeben. Im letzten großen Fernsehauftritt vor dem Urnengang hatte sie die Chance, wieder Boden gut zu machen – sie hat sie kaum genutzt. Doch auch Labour-Chef Corbyn hat sich schlechter geschlagen als bei vorausgegangen Fernsehinterviews.

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Keine harten Zahlen, statt dessen wolkige Versprechen und Standardsprüche – Großbritanniens Premierministerin Theresa May ist bei ihrem Auftritt in einer BBC-Fernsehsendung am Freitagabend keinen Millimeter von ihrer bisherigen Wahlkampfstrategie abgewichen, obwohl sie in den vergangenen Wochen massiv unter Druck gekommen ist.

Ob sie Details und Zahlen zu ihrer geplanten Pflegereform nennen könne? Nein, man werde erst ein Diskussionspapier rausbringen und sich mit Betroffenen und Hilfsorganisationen beraten. Wie genau denn der schlechte Brexit-Deal aussehe, der laut May besser sei als gar keine Einigung mit der EU? Die Premierministerin und Chefin der konservativen Tory-Partei beginnt ihre Antwort erstmal mit einem Exkurs, dass einige in Brüssel Großbritannien bestrafen wollten und andere hier im Lande jede Art von Abkommen akzeptieren würden. Was denn aus ihrer Sicht ein schlechter Deal wäre, darauf geht sie nicht mehr ein – genauso wenig wie auf die Frage: Was sie denn eigentlich für die 48 Prozent der Briten tun wolle, die gegen den Austritt stimmten, wenn sie ständig wiederhole, sie wolle dem ganzen Land dienen.

Kommentatoren wie Tom Shipman von der „Sunday Times“, die als eher Tory-freundlich gilt, kommen danach zu dem Schluss: May habe sich zwar insgesamt etwas besser geschlagen als bei anderen Fernsehauftritten, aber es sei offenkundig gewesen, dass sie jede Minute der Sendung gehasst habe, schreibt Shipmann über den Kurznachrichtendienst Twitter.

Die Premierministerin hatte die Neuwahlen eigentlich ausgerufen, um die Mehrheit ihrer Partei im Unterhaus von derzeit 17 Sitzen deutlich auszubauen. Ihr Ziel dahinter: Sie will ein größeres Mandat für die anstehenden Brexit-Verhandlungen, sagte sie im April. Sie ist auch mit einem Vorsprung von mehr als 20 Prozentpunkten vor Labour-Chef Jeremy Corbyn in den Wahlkampf startet. Zuletzt ist dieser aber auf fünf Prozentpunkte gesunken. Das geht aus einer Umfrage von Ipsos Mori hervor, die am Freitag veröffentlicht wurde.

Die konservative Tory-Partei kommt dabei auf 45 Prozent der Stimmen, vier Prozentpunkte weniger als bei einer vergleichbaren Umfrage vom 18 Mai. Labour konnte im selben Zeitraum von 34 auf 40 Prozent zulegen. „Wenn es um den direkten Kontakt mit den Wählern geht, kommt May nicht gut an“, sagte Ipsos-Mori-Chef Ben Page der Nachrichtenagentur Reuters. Demnach verliert die Premierministerin vor allem bei mittelalten Wählern und bei Frauen an Zustimmung. Er geht aber weiterhin davon aus, dass May am Ende gewinnt. Die Briten wählen ihr Parlament am 8. Juni.

Auch in der BBC-Sendung schaffte May es nicht, mit Verständnis auf die Klage einer Krankenschwester aus dem Publikum zu reagieren, die ihr seit Jahren sinkendes Realeinkommen beklagt, und einen Draht zu ihr aufzubauen. Man schätze zwar die Arbeit von Krankenschwestern, aber man müsse innerhalb seiner Verhältnisse leben und das erfordere teilweise schwierige Entscheidungen, so May.

Nach ihr musste sich Labour-Chef Corbyn dem BBC-Publikum stellen und auch für ihn gab es eine Reihe von Fragen, denen er zunächst auszuweisen versucht – allen voran: Ob er es im Notfall bereit wäre, Atomwaffen einzusetzen? Corbyn ist Atomwaffengegner und tat sich in der Vergangenheit dafür stark gemacht, diese abzuschaffen. Einer klaren Antwort will er an diesem Abend ausweichen und versucht den Frager zunächst damit zufriedenzustellen: Wenn man eine Atomwaffe nutzen müsse, sei dies ein Versagen der Diplomatie – und ein Desaster für die Welt. Der Mann, der diese Frage stellte, gibt sich nicht zufrieden. Irgendwann schiebt Corbyn hinterher: Er würde einen Atomwaffen-Einsatz von den konkreten Gegebenheiten abhängig machen, einen Erstschlag schlug er aber kategorisch aus.

Bei vorausgegangenen Fernsehauftritten war es Corbyn gelungen, sich besser als erwartet zu schlagen. Auch dieses Mal geht er stärker als May auf die Fragen aus dem Publikum ein und versucht nicht immer nur seine Kernbotschaften loszuwerden. Seine Ausweichmanöver bei der Atomwaffen-Frage lassen ihn aber nicht gut aussehen. Da May aber noch mehr schwieriger Momente hatte, kommen Kommentaren am Ende zu Schluss: Die Debatte habe die grundsätzlichen Verhältnisse nicht geändert, es habe keine neue Wendung gegeben, schreibt BBC-Journalist Nick Robinson via Twitter. May bleibe im Wahlkampf weiter in der Defensive.

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