Was bedeutet das für Deutschland?
Die Bundesrepublik findet sich plötzlich zwischen zwei Großmächten wieder, die das internationale System nach ihren Interessen neu ausrichten wollen. Auf der einen Seite Russland – auf der anderen die USA. Beide Länder drängen auf Veränderungen. Für Deutschland ist das ein Problem, denn Deutschland findet das aktuelle internationale System gut. Es profitiert von der Nato mit ihren Schutzgarantien und von Europa mit seinem Wirtschaftsraum. Wenn die USA und Russland versuchen, ihre Interessen durchzusetzen, kann Deutschland fast nur verlieren.
Gilt das auch für die Wirtschaft?
Ja. Trump hat sich noch nicht direkt zum Freihandelsabkommen TTIP geäußert. Ich glaube aber, dass es erst mal für unbestimmte Zeit im Eisfach liegt. Außerdem überprüfen die Amerikaner gerade ihre Handelsbilanzdefizite mit allen Ländern der Welt. Und für Deutschland fällt das besonders hoch aus: 65 Milliarden Dollar pro Jahr. So was mögen die Amerikaner nicht. Da könnte es Gegenmaßnahmen geben.
Welche?
Ich glaube, die Border Adjustment Tax ist vom Tisch. Stattdessen könnte es noch härtere „Buy American“-Richtlinien geben. So könnte Trump sicherstellen, dass auch wirklich jeder Dollar, den der Staat ausgibt, in den USA bleibt. Auch nicht-tarifäre Handelshemmnisse, also besonders harsche Vorschriften für den Import von Agrarprodukten kann ich mir gut vorstellen. Trump hat dafür zumindest schon mal eine extra Abteilung im Agrarministerium erstellt.
Wie wichtig die USA für die deutsche Wirtschaft sind
2015 wurden die USA der wichtigste Exportkunde der deutschen Unternehmen, nachdem über mehr als sechs Jahrzehnte Frankreich diese Position innehielt. 2016 behaupteten die Vereinigten Staaten ihre Spitzenposition: Waren im Wert von rund 107 Milliarden Euro wurden damals dorthin verkauft - vor allem Fahrzeuge, Maschinen und chemische Produkte. Das entspricht einem Anteil von etwa zehn Prozent an den gesamten Ausfuhren. Umgekehrt importierte Deutschland Waren im Wert von knapp 58 Milliarden Euro aus den USA, was sechs Prozent aller deutschen Einfuhren entspricht.
Mehr als eine Million Jobs in Deutschland hängen direkt oder indirekt von den Exporten in die USA ab. Weitere 630.000 Arbeitsplätze gibt es in Betrieben, die von US-Firmen kontrolliert werden. Allein McDonald's Deutschland zählt etwa 58.000 Mitarbeiter, der Personaldienstleister Manpower 27.000 und die Ford-Werke gut 25.000.
Umgekehrt schaffen deutsche Unternehmen in den USA ebenfalls Hunderttausende Stellen. Zu den größten deutschen Arbeitgebern dort gehören die Deutsche-Post-Tochter DHL mit rund 77.000 Beschäftigten, Siemens (50.000) und Volkswagen (60.000).
Die deutschen Unternehmen haben mehr als 271 Milliarden Euro an Direktinvestitionen in den USA - etwa Fabriken und Immobilien. Mehr als 3700 Unternehmen sind in den Vereinigten Staaten tätig. Allein die 50 größten deutschen Firmen dort kommen auf einen Jahresumsatz von 400 Milliarden Dollar.
Auch US-Unternehmen haben erhebliche Beträge in Deutschland investiert: Der Bestand summiert sich auf rund 27 Milliarden Euro. 2015 wurden 252 neue Projekte hierzulande von US-Firmen gestartet, von Neuansiedlungen auf der grünen Wiese über Erweiterungen bis hin zu Standortwechseln. Nur chinesische Unternehmen waren aktiver. Die 50 größten US-Unternehmen kommen in Deutschland auf einen Jahresumsatz von rund 170 Milliarden Euro.
Welche Veränderungen sind gefährlicher für Deutschland: die ökonomischen oder die außenpolitischen?
Beide sind brenzlig. Deutschland geht es derzeit so gut wie selten - mit Trump kann es für Deutschland nur schlechter werden. Vor fünf Jahren hätte ich gesagt, dass die ökonomischen Veränderungen die größere Herausforderung sind. Aber jetzt gibt es zwei Gefahrenherde: der Nahe Osten und Russland. Beide sind stark mit Deutschland verbunden – und beide könnten durch Trump destabilisiert werden. Das hätte jeweils starke Auswirkungen auf Deutschland.
Also muss Deutschland aufrüsten und selbst zur Führungsmacht werden?
Es gibt ja dieses Konzept des dienenden Führens für Deutschland. Ich finde das gar nicht verkehrt. Aber ich glaube, die deutsche Kultur gibt das nicht her. Mit Aufrüstung und Militär kann man in Deutschland keine Wahlen gewinnen. Stattdessen Deutschland könnte Europas Einheit wieder stärken. Es könnte helfen, Frankreich wieder aufzubauen. Es könnte dafür sorgen, dass militärische Kommandostrukturen harmonisiert werden. Es könnte mehr Geld für die Infrastruktur ausgeben. Teilweise macht Deutschland das alles auch schon – aber es sind bislang eher Babyschritte.
Vielleicht weil das alles nicht ganz billig ist.
Klar. Vor einigen Jahren habe ich mal Thomas de Maizière in Harvard getroffen, er war damals noch Verteidigungsminister. Als wir über Sicherheitspolitik sprachen grinste mich de Maizière an und sagte: Alle fordern, dass Deutschland wieder eine stärkere Führungsrolle übernimmt – aber am Ende meinen alle eigentlich nur Geld. Da hat er Recht gehabt.