Uhrenumstellung Warum China keine Sommerzeit hat

Sommerzeit China Quelle: imago images

Während man in Deutschland dieses Wochenende die Uhren vorstellt, verzichtet man in China auf die Anpassung. Das viertgrößte Land der Welt hat nur eine Zeitzone. Ein Lehrstück für den deutschen Uhren-Wahnsinn.

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In China kann man nach den Abendnachrichten die Uhr stellen. Jeden Abend um Punkt Sieben berichtet Chinas Staatsfernsehen 30 Minuten lang. Die ersten zehn Minuten handeln vom Chaos in der Welt, zehn weitere zählt der Moderator die Erfolge der Partei auf. Seit einiger Zeit folgen dann weitere zehn Minuten über diese oder jene vermeintlich feinsinnige Kampagne des Staatspräsidenten Xi Jinping.

In einigen Teilen des viertgrößten Staates der Welt ist es währenddessen schon dunkel, in einigen noch hell. Aber überall ist es sieben Uhr abends. Obwohl zwischen dem westlichsten und östlichsten Teil des Landes rund 5.200 Kilometer liegen, hat das Land nur eine Zeitzone. Und weder im Sommer noch im Winter stellen Chinas Einwohner die Uhr vor oder zurück. Aber wie ist das möglich, wo wir schon im vergleichsweise winzigen Deutschland zweimal im Jahr hektisch an den Zeigern drehen?

Versucht hat Peking die jährliche Umstellung durchaus. Als 1912 die letzte chinesische Dynastie zu Ende ging, beschloss die neu ausgerufene Republik China, fünf Zeitzonen im Land zu schaffen. Es war eine Zeit des Aufbruchs, man sollte sie auch an den Uhren ablesen können. Die neuen Zeitzonen, wie die Republik selbst, konnten sich aber nie durchsetzen. 1949 einigte Staatsgründer Mao Zedong das Land nach Jahren des Bürgerkrieges und bestand weiterhin auf einer einheitlichen Uhrzeit. Ein Land brauche eine Uhrzeit, so Mao.

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Das bleibt nicht ohne Folgen. Auswärtige, die sich sonst auf ihr Bauchgefühl verlassen, wenn es um die Uhrzeit geht, gemäß der Formel Tageslicht minus Dunkelheit gleich Uhrzeit, verlieren in China mitunter die Orientierung. Besonders stark ist der Unterschied in der westlichsten Provinz des Landes. In Xinjiang geht die Sonne im Sommer erst um Mitternacht unter, während sie sich im Winter nicht vor zehn Uhr morgens blicken lässt. Die Provinz ist auch die einzige, die eine Art inoffizielle Zeitzone gegenüber Peking verteidigt. So nutzt die ethnische Minderheit der Uiguren eine Uhrzeit, die zwei Stunden hinter der offiziellen chinesischen Zeit Pekings liegt.

Diese ist allerdings weniger der Versuch, Strom zu sparen. Weite Teile der uigurischen Minderheit fordern die Unabhängigkeit von China. Die muslimisch geprägte Bevölkerung kämpft seit langem gegen die Übermacht Pekings. Es ist ein stiller Widerstand gegen den Zentralstaat, der die Menschen dort seit Jahren gängelt, kontrolliert und überwacht.

Was verschiedene Zeitzonen für Folgen haben können, zeigt sich in den USA. Das Land ist zwar mit 4.506 Kilometern zwischen Ost- und Westküste horizontal weniger weit ausgedehnt als China, hat aber seit 1883 vier Zeitzonen. Das führt dazu, dass man in New York schon vorm Fernseher den Freitagabend-Blockbuster schaut, während die Leute in San Francisco noch im Büro hocken. Die Acht-Uhr-Nachrichten sind in Washington schon überholt, da haben sie Berkeley noch gar nicht angefangen. Durch einige Bundesstaaten verlaufen sogar mehrere Zeitzonen. Und Pierre, die Hauptstadt von South Dakota, liegt in der Zeitzone Central – allerdings nur der Teil östlich des Missouri-Flusses. Wer diesen überquert, landet auf der anderen Seite in der sogenannten Mountain-Zeitzone. Zeitunterschied: eine Stunde.

Dazu stellen die Amerikaner seit den 1970er Jahren ihre Uhren wie in Deutschland – und knapp 80 anderen Ländern der Welt – im Sommer vor und im Winter wieder zurück. Damals hatte eine Studie des staatlichen Department of Transportation ergeben, dass man 100.000 Barrels Öl pro Tag durch die halbjährliche Umstellung sparen könnte. Also entschied Washington für die regelmäßige Umstellung.

In China ließ man sich für kurze Zeit vom Sommerzeit-Hype anstecken. 1986 startete die Regierung den Versuch, zwar keine Zeitzonen, aber wenigstens die Sommerzeit einzuführen. Eine Studie der Pekinger Universität hatte ergeben, dass das Land so rund zwei Milliarden Kilowattstunden pro Jahr sparen könnte. Und was im Westen scheinbar erfolgreich war, müsste doch auch der aufstrebenden Nation Aufwind geben?

Der Versuch wurde allerdings bereits nach fünf Jahren wieder rückgängig gemacht. Die Provinzen im Westen des Landes, darunter Xinjiang, Yunnan, Sichuan und Tibet, hatte Peking von Beginn an außen vorgelassen. Ohne die Zeitzonen sind sie ohnehin bereits drei Stunden hintendran. Aber nicht nur die Koordination zwischen diesen Provinzen – mit mehreren hundert Millionen Einwohnern – und dem Rest des Landes sorgte für Chaos. In vielen Teilen des Landes konnte die neue Zeit nie richtig durchgesetzt werden. So weigerte sich beispielsweise die südchinesische Provinz Guangzhou an der Grenze zu Hongkong, die Umstellung konsequent durchzusetzen. Die Klagen der Arbeiter seien zu massiv, die Müdigkeit des Volkes zu groß, so die Behörden. Aufgrund ihrer Lage profitierte die Region nicht von der Sommerzeit und damit mehr Sonne – die Menschen waren einfach nur müder. 1992 stoppte Peking den Versuch wieder. Fazit: Die Sommerzeit sei schlicht „Unsinn“.

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Auch in anderen Ländern ist die Kritik heute groß. Befürworter argumentierten für die Umstellung, weil diese mehr Sonne verspricht. Und mehr Licht bedeutet einen niedrigeren Stromverbrauch. Allerdings belegen Studien, dass die Uhrumstellung Menschen in ihrer Produktivität hemmt. Der Biorhythmus gerät durcheinander, das erhöht das Risiko von Erkrankungen und Herzinfarkte. Zudem kostet die Koordination zwischen den Zeitzonen und das halbjährliche vor und zurück viel Geld. Allein die amerikanischen Fluggesellschaften beklagen laut der amerikanischen Vereinigung der Fluggesellschaften Air Transport Association Mehrkosten von rund 147 Millionen Dollar pro Jahr allein durch die Sommerzeit-Umstellung.

Die Belege scheinen so erdrückend, dass nun auch die EU-Kommission ein Ende der Sommerzeit prüft, die seit 1996 in der EU gilt. In Deutschland könnte somit in den kommenden Jahren Schluss sein mit den regelmäßigen Augenringen – und Chinas Umgang mit der Sommerzeit zum Vorbild werden. Denn dort dreht man an den Öffnungszeiten, anstatt den Uhren. Das verhindert Schlafmangel und hohe Kosten und vereinfacht die Koordination. Und was das Stromsparen angeht, sind die Chinesen sowieso pragmatischer. So fahren sie im öffentlichen Straßenverkehr zum Beispiel gerne ohne Beleuchtung. Was vielen Menschen im Jahr das Leben kostet, aber niemanden Strom.

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