Ukraine Der Freihandel findet nicht statt

Ein Abkommen mit der EU ließ ukrainische Unternehmer auf Exportzuwächse hoffen. Die Realität enttäuscht nun diese Hoffnungen.

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Ukrainische Aktivisten Quelle: dpa

Der Traum von Europa endet auf den Schlachthöfen im Norden der Ukraine. Dorthin muss Alex Lissitsa viele seiner einst 6000 Milchkühe verkaufen, obwohl er mit ihnen andere Pläne hatte: Milch sollten sie geben für die Europäer. Das war einmal das Kerngeschäft der International Milk Corporation (IMC), eines der größten Agrarkonzerne der Ukraine. Lissitsa hoffte wie viele ukrainische Unternehmer auf einen riesigen Markt, als Brüssel 2015 die meisten Zölle kassierte und zu Jahresbeginn mit dem Abkommen DCFTA den Aufbau der „tiefen und umfassenden Freihandelszone“ startete.

Seine Hoffnung hat sich nicht erfüllt. „Die EU gestattet uns über Importquoten den Handel mit Waren, die wir gar nicht herstellen“, sagt der Agrarmanager. Was die Ukraine dagegen in Hülle und Fülle hat, findet nicht so einfach den Weg nach Europa: Lissitsa etwa würde gern Milch und Getreide liefern, doch die Mengen für zollfreie Exporte in die EU sind niedrig, wer sie überschreitet, zahlt Zölle.

Und da es in anderen Branchen auch nicht besser läuft als bei dem Agrarmanager, spüren die Ukrainer fast nichts vom einst versprochenen Aufschwung. 2015, als ukrainische Waren nach Zollabbau und Abwertung am Weltmarkt bereits spottbillig waren, stiegen die Exporte nach Deutschland um gerade mal 2,5 Prozent. Die Ausfuhr von Agrarprodukten in die EU ging um acht Prozent zurück. „Es ist erstaunlich, dass die Exportindustrie nicht von der stark verbesserten Wettbewerbsfähigkeit infolge der Währungsabwertung profitiert“, sagt Gunter Deuber, Osteuropaexperte der Raiffeisen Bank International in Wien.

Wirtschaftswachstum und Inflation in der Ukraine

Dabei schürte gerade das EU-Abkommen in der Ukraine Hoffnungen auf ein besseres Leben. Als es der damalige Präsident Viktor Janukowitsch im Herbst 2013 auf Eis legte, löste das Proteste aus, die zum Sturz des Staatschefs führten. Die Nachfolgeregierung einigte sich zwar mit den Europäern, das ukrainische Bruttoinlandsprodukt (BIP) sank dennoch seit 2014 um mehr als 16 Prozent, die Preise stiegen um fast zwei Drittel.

Dabei waren die Erwartungen hoch. DCFTA ist nicht nur ein Freihandelsabkommen, es ist eine 2137-Seiten-Anleitung zur Einführung von EU-Standards. „Der entscheidende Effekt des Vertrags ist der Abbau nicht tarifärer Handelshürden“, sagt Ricardo Giucci von der Deutschen Beratergruppe, die die Ukraine in Wirtschaftsfragen berät. Sprich: Es sollten nicht nur Zölle sinken, sondern auch Standards einheitlicher werden.

Kritik der Umweltschützer an TTIP

Politiker, Beamte, Richter - alle käuflich

Immerhin siedeln Zulieferer der Autoindustrie vor allem im Westen der Ukraine lohnintensive Tätigkeiten wie die Kabelkonfektion an – bei einem Brutto-Stundenlohn von rund zwei Euro ist die Ukraine günstig wie kein anderes europäisches Land. Doch viel eher braucht das Land Investoren, die Technologien mitbringen, die helfen, mehr Wertschöpfung zu generieren.

Die aber betrachten die Ukraine als Hochrisikoland, zumal sich die Regierung als reformresistent erweist: Die Korruption blüht, Bürokratie wuchert, im Steuerwesen blickt keiner mehr durch. Und wer dennoch Geld verdient, kann es wegen der Kapitalverkehrskontrollen nur in der Ukraine nutzen. Nach dem Rücktritt der Reformminister im Februar verlor die Regierung über Wochen ihre Handlungsfähigkeit – und selbst wenn die Grabenkämpfe enden, bleibt die Frage: Wie soll man einem Markt vertrauen, wenn die Oligarchen Politiker, Beamte und Richter kaufen können?

Reformversprechen der Pro-Europäer folgten bisher kaum Taten. Also hat der Internationale Währungsfonds (IWF) die Zahlung einer 1,2-Milliarden-Dollar-Kredittranche ausgesetzt – obwohl Kiew nach IWF-Vorgaben eisern gespart hat und der Haushalt von günstigeren Gasimporten profitiert.

In Berlin wächst die Sorge. Es drohe das Scheitern des europäischen Weges, warnt Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und sagt: „Ich bin etwas ratlos.“

Agrarmanager Lissitsa hofft, dass seine Regierung endlich mit dem Regieren beginnt. Es gilt, mit ordentlicher Wirtschaftspolitik den EU-Handel anzukurbeln: „Milch- und Fleischexporteure brauchen heute Marktzugang. Sonst sind sie in zehn Jahren pleite.“

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