Ukraine-Konflikt Ist Russland mehr als eine „Tankstelle mit Atomwaffen“?

Russlands Präsident Wladimir Putin (links) und US-Präsident Joe Biden (rechts) schicken Delegationen nach Genf für gemeinsame Gespräche.. Quelle: dpa/imago images

In der Schweiz kommen heute amerikanische und russische Diplomaten zusammen, um über den Ukraine-Konflikt zu beraten. Was wollen sie erreichen? Ein Mailwechsel der WiWo-Korrespondenten in Washington und Moskau.

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Maxim Kireev beobachtet für die WirtschaftsWoche die russische Politik, Julian Heissler ist USA-Korrespondent in Washington D.C. 

Maxim Kireev: Lieber Julian, es sind besondere Zeiten: Noch nie hat Russlands Präsident Wladimir Putin dermaßen selbstbewusst die Konfrontation mit dem Westen, genau genommen mit den USA gesucht. Nicht nur in Moskaus politischer Elite, sondern auch in weiten Teilen der Bevölkerung ist die Ansicht verbreitet, dass Russland in den vergangenen Jahrzehnten zu viele Zugeständnisse gemacht und zu oft geschwiegen hat, wenn seine Interessen angeblich ignoriert worden sind. Angefangen bei der NATO-Osterweiterung, über humanitäre Interventionen im Irak oder in Libyen, bis hin zur verbalen Unterstützung des Westens für russische Oppositionelle wie Alexej Nawalny. 

Die ultimativ formulierten russischen Forderungen nach Sicherheitsgarantien sollen signalisieren, dass diese Zeit vorbei ist. Putin will wieder auf Augenhöhe sein. Besonders in Erinnerung geblieben ist bei ihm wohl Barack Obamas Äußerung, bei Russland handele es sich um eine Regionalmacht. Im Vorfeld der Gespräche bleibt für mich die Frage, Julian, ob sich an dieser aus Perspektive des Kremls überheblichen Sichtweise in den USA etwas verändert hat? Und wie ernst werden in den USA das russische Ultimatum und die nicht ausgesprochenen Konsequenzen im Falle eines Fehlschlags der Verhandlungen genommen?

Julian Heissler: Hi Maxim, in Washington horcht man auf, wenn Russland von seinen Interessen spricht – insbesondere, wenn sie sich auf die Rechte anderer Staaten beziehen. Dass die Ukraine nicht näher an Europa rücken soll, auch wenn ihre Bevölkerung das wünscht, nur weil es dem Kreml nicht passt, dafür fehlt hier jedes Verständnis. Man erinnert sich noch gut an die Spaltung Europas nach dem Zweiten Weltkrieg, auf die sich Roosevelt und Stalin auf der Jalta-Konferenz geeinigt hatten und die für die Staaten Mittel- und Osteuropas Jahrzehnte der Diktatur brachten. Damals hatten die USA das Gefühl, angesichts der Kriegsanstrengungen gegen Deutschland und Japan nicht anders zu können, doch bis heute wird die Entscheidung in Teilen der amerikanischen Öffentlichkeit kritisiert. Und wiederholen soll sich eine solche Situation nicht.

Deshalb kann Präsident Joe Biden gar nicht anders, als gegen Putin eine harte Linie zu fahren. Die USA werden vermutlich keinen Krieg mit Russland riskieren, aber die Rückendeckung für die Ukraine aufzugeben, das ist für Washington auch keine Option. Umso größer ist die Verärgerung über Deutschland: Aus amerikanischer Sicht erleichtert es Berlin durch sein Festhalten an Nord Stream 2 Moskau, Druck auf Kiew aufzubauen. Auch deshalb haben die USA wieder die Kontrolle über die Gespräche mit Putin übernommen. Man hätte das Thema ja gern an Berlin oder die Europäer ausgelagert, doch das scheint nicht zu funktionieren. 

Das nervt hier viele. Obamas Satz von der Regionalmacht mag beleidigend gewesen sein. Aber: Gemessen an dem, was so mancher Kongressabgeordneter über Russland denkt, ist es geradezu höflich. Eine Tankstelle, die sich als Land ausgibt, hat der verstorbene Senator John McCain Russland einmal genannt. Abwandlungen davon kursieren bis heute - unter anderem: Eine Tankstelle mit Atomwaffen. Soll heißen: Nicht übermäßig wichtig, aber gefährlich. Putin gilt hier vor allem als Störenfried, der die Demokratie auf der ganzen Welt untergraben will, um seine Macht zu sichern. Und als Ablenkung von der strategischen Herausforderung durch China, die man in Washington überparteilich viel wichtiger findet als den nächsten Grenzstreit in Zentraleuropa.

Umso mehr ärgert man sich, dass Themen wie Nord Stream 2 so viel Zeit beanspruchen. Sag mal, wie wichtig ist die Pipeline denn für die Russen?

Kireev: Die Bedeutung ist groß. Das sieht man allein daran, dass Gazprom alles dafür getan hat, dass diese Pipeline letzten Endes fertig gebaut wird. Sie würde dem Kreml deutlich mehr Spielraum bei Konflikten mit seinen westlichen Nachbarn, allen voran mit der Ukraine, aber auch bei politischen Streitigkeiten mit Polen geben, ohne dass Russland sich sorgen um die Gasexporte in die EU machen müsste. Zudem besteht in Moskau die Hoffnung, dass Deutschland als wichtiges EU-Land, wenn es künftig zu einem Umschlagplatz für russisches Gas avanciert, seine Position gegenüber Russland langfristig abmildert.



Gleichwohl steht auf Putins politischer Agenda die Ukraine viel weiter oben als Nord Stream 2. Russland verfügt über zahlreiche andere Exportrouten, und die Einnahmen aus dem Gashandel machen nur einen kleineren Teil der russischen Exporterlöse aus. In den vergangenen Jahren hat Putin keinen Zweifel daran gelassen, dass er die Ukraine, ähnlich wie Belarus, in den russischen Orbit zurückholen müsste. Da die Ukraine auch unter Präsident Zelenskij weiter Richtung Westen driftet, macht sich in Moskau ein Gefühl breit, dass die Zeit davonläuft. In den vergangenen Monaten hat Zelenskij zudem einen Großangriff auf politische Kräfte im Inland gefahren, die Russland potenziell als Verbündete im Ringen um die ehemalige Sowjetrepublik betrachtet.

Vieles spricht dafür, dass ein drohendes Aus für die Pipeline nicht ausreichen würde, um Putins von seinem Versuch abzubringen, die Westbindung der Ukraine zu torpedieren. Natürlich wissen Putins Berater, dass eine Aufnahme der Ukraine in die NATO noch lange nicht in Sicht ist. Dennoch hofft der Kreml, dass ein langfristiger Ausschluss einer Mitgliedschaft der Ukraine den Westdrift anhalten würde. (Streitfall Nord Stream 2: Wie die Frau tickt, die über Deutschlands heikelstes Projekt entscheidet, erfahren Sie hier.)

Zum heutigen Treffen würde mich interessieren: Viele unabhängige Beobachter in Russland fragen sich, was denn die USA überhaupt mit in die Verhandlungen mit Russland mitbringen. Gibt es - abgesehen von drohenden Sanktionen -  auch eine Diskussion in den USA um Aspekte, bei denen Washington auf Moskau trotz allem zugehen könnte?

Heissler: In Geberlaune ist man in Washington gerade tatsächlich nicht. Außerdem will Biden darauf achten, die Verbündeten – inklusive Kiew - nicht zu brüskieren. Ihnen wird versichert: Wir sprechen nicht ohne euch über euch. Das macht den Spielraum natürlich klein. Und ein dauerhaftes Ausschließen einer NATO-Mitgliedschaft der Ukraine ist für die USA sowieso nicht vorstellbar. Nicht, weil man Kiew unbedingt im Bündnis will, sondern weil der Schritt Moskau ein Veto über die freie Bündniswahl eines unabhängigen Landes einräumen wurde. Und das kann Washington nicht akzeptieren. Eine faktische russische Einflusszone, in denen der Kreml die Außenpolitik souveräner Staaten mitbestimmt, ist aus amerikanischer Sicht inakzeptabel.

Trotzdem will Washington Gesprächsbereitschaft signalisieren. Man sei bereit, mit Russland über die Stationierung von Raketen oder den Umfang von Militärübungen zu verhandeln, heißt es. Einseitige Zugeständnisse wird es aber nicht geben. Man erwartet also auch von Moskau konkrete Schritte.

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Damit gibt es immerhin eine Chance, dass die Gespräche in Genf die Situation ein Stück weit deeskalieren. Aber die Amerikaner sind nicht sicher, dass es so kommt. Hier will man sehen, wie die russische Delegation auf die Vorschläge reagiert – ein Test, der zeigen soll, ob es den Russen mit dem Dialog ernst ist. Wenn nicht, dann dürfte auch der Druck auf Biden steigen, das Vorgehen gegen Putin zu verschärfen. Das würde heißen: Neue Sanktionen. Mindestens.

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