
Entspannung, Spannung, Ermahnungen und gegenseitige Vorwürfe: Während sich die Lage im Kriegsgebiet der Ostukraine scheinbar entspannt, wachsen auf internationaler Ebene die Spannungen zwischen Russland und dem Westen. Vor allem Moskau sieht sich durch das US-Militär und die Nato provoziert und wirft Washington vor, es erhöhe den Druck auf Russland. Die USA wiederum beschuldigten den Kreml am Mittwoch erneut, die Separatisten in der Ostukraine mit Waffen zu beliefern.
Der russische Außenminister Sergej Lawrow beklagte bei einem Telefonat mit seinem deutschen Kollegen Frank-Walter Steinmeier eine weiterhin angespannte Lage in der Ostukraine. Nach Abschluss des Minsker Friedensabkommens am 12. Februar werde von den Konfliktparteien eine Feuerpause zwar weitgehend eingehalten, und auch schwere Waffen würden von der Frontlinie abgezogen.





Deutschland und die USA ermahnten die Konfliktparteien zur Einhaltung der Friedensvereinbarungen. US-Außenminister John Kerry sagte am Mittwochabend (Ortszeit) bei einem Treffen mit Steinmeier in Washington: „Wir bestehen darauf, dass der Abzug von schweren Waffen stattfinden muss, und zwar auf beiden Seiten.“ Russland müsse die Unterstützung der Separatisten im Osten des Landes beenden.
Steinmeier warnte davor, nach Fortschritten bei der Einhaltung des Waffenstillstands nun nachzulassen. „Wir sind beide weit davon entfernt, zufrieden zu sein. Wir müssen jetzt den Druck auf die Konfliktparteien halten.“ Nach seiner Meinung habe sich die Lage im Osten der Ukraine „deutlich stabilisiert“. Er forderte jedoch seinen russischen Kollegen Lawrow auf, Einfluss auf die Separatisten zu nehmen, um dem Waffenstillstand Geltung zu verschaffen.
Die wirtschaftliche Bedeutung der Ukraine
Das flächenmäßig nach Russland größte europäische Land besitzt jede Menge davon: Eisenerz, Kohle, Mangan, Erdgas und Öl, aber auch Graphit, Titan, Magnesium, Nickel und Quecksilber. Von Bedeutung ist auch die Landwirtschaft, die mehr zum Bruttoinlandsprodukt beiträgt als Finanzindustrie und Bauwirtschaft zusammen. Etwa 30 Prozent der fruchtbaren Schwarzerdeböden der Welt befinden sich in der Ukraine, die zu den größten Weizenexporteuren gehört. In der Tierzucht spielt das Land ebenfalls eine führende Rolle.
Sie ist gering. Das Bruttoinlandsprodukt liegt umgerechnet bei etwa 130 Milliarden Euro, in Deutschland sind es mehr als 2700 Milliarden Euro. Das Pro-Kopf-Einkommen beträgt nicht einmal 3900 Dollar im Jahr. Wuchs die Wirtschaft 2010 um 4,1 und 2011 um 5,2 Prozent, waren es 2012 noch 0,2 Prozent. 2013 dürfte es nur zu einem Plus von 0,4 Prozent gereicht haben.
Exportschlager sind Eisen und Stahl, gefolgt von Nahrungsmitteln, Rohstoffen und chemischen Produkten. Wichtigstes Importgut ist Gas. Auch Erdöl muss eingeführt werden. Die Ukraine könnte aber vom Energie-Importeur zum -Exporteur werden, weil sie große Schiefergasvorkommen besitzt.
Sie ist von der Schwerindustrie geprägt, besonders von der Stahlindustrie, dem Lokomotiv- und Maschinenbau. Ein Grund ist, dass die Sowjetunion einen Großteil der Rüstungsproduktion in ihrer Teilrepublik Ukraine angesiedelt hatte. Eine Westorientierung und die Übernahme von EU-Rechtsnormen könnte das Land zunehmend zum Produktionsstandort für westliche Firmen machen.
Deutschland ist einer der wichtigsten Handelspartner der Ukraine. Gemessen an der Größe des Landes ist das deutsche Handelsvolumen aber unterdurchschnittlich. Zu den wichtigsten deutschen Exportgütern zählen Maschinen, Fahrzeuge, Pharmaprodukte und elektrotechnische Erzeugnisse. Wichtigste ukrainische Ausfuhrgüter sind Textilien, Metalle und Chemieprodukte. Nach Angaben des Ostausschusses der Deutschen Wirtschaft sind knapp 400 deutsche Unternehmen in der Ukraine vertreten. Bei den Direktinvestitionen liegt Deutschland auf Platz zwei hinter Zypern.
Chancen ergeben sich für die deutsche Wirtschaft vor allem im ukrainischen Maschinen- und Anlagenbau. Zudem ist die frühere Sowjetrepublik mit ihren rund 45 Millionen Einwohnern ein potenziell wichtiger Absatzmarkt für Fahrzeuge. Korruption und hohe Verwaltungshürden stehen Investitionen indes im Wege.
Rund ein Drittel der ukrainischen Exporte fließt in die EU. Eine engere wirtschaftliche Verknüpfung durch ein Handels- und Assoziierungsabkommen liegt auf Eis, nachdem Präsident Viktor Janukowitsch auf russischen Druck seine Unterschrift verweigerte. Für die EU ist die Ukraine für die Versorgung mit Erdgas von Bedeutung. Rund ein Viertel ihres Gases bezieht die EU aus Russland, die Hälfte davon fließt durch die Ukraine.
Mit Abstand wichtigster Handelspartner der Ukraine ist Russland. Ein Drittel der Importe stammt aus dem Nachbarland, ein Viertel der Exporte gehen dorthin. Der Regierung in Moskau ist eine Orientierung der Ukraine nach Westen ein Dorn im Auge. Stattdessen drängt sie das Land zum Beitritt zur Zollunion mit Kasachstan und Weißrussland.
Streit flammt zwischen beiden Ländern immer wieder über Gaslieferungen auf. Die Ukraine importiert fast ihr gesamtes Gas aus Russland, muss dafür aber einen für die Region beispiellos hohen Preis zahlen. Der Konflikt über Preise und Transitgebühren hat in der Vergangenheit zu Lieferunterbrechungen geführt, die auch die Gasversorgung Europas infrage stellten.
Die Nato befürchtet dagegen, dass die pro-russischen Separatisten ihre schweren Waffen nur zur Vorbereitung einer neuen Offensive zurückziehen könnten. „Wir begrüßen die Waffenruhe, (...) aber absolut wichtig ist, dass die Überwachung verbessert wird“, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Mittwoch bei einem Besuch des militärischen Hauptquartiers der Nato in Mons in Belgien. „Die kurze Antwort ist: Ja“, sagte Stoltenberg auf die Frage, ob er das Risiko sehe, dass Waffen nur umpositioniert werden.
Russlands Vize-Außenminister Sergej Rjabkow warf unterdessen den USA vor, kein Interesse an einer Normalisierung der Lage in der Ukraine zu haben. Das Entsenden von US-Soldaten ins Baltikum sei ein Versuch, Russland unter Druck zu setzen, sagte Rjabkow. Moskau lasse dies nicht unbeantwortet.
Altkanzler Helmut Schmidt sprach sich für mehr Verständnis für Russland und Präsident Wladimir Putin aus. Andernfalls sei „nicht völlig ausgeschlossen“, dass aus dem Konflikt um die Ukraine „sogar ein heißer Krieg wird“, sagte Schmidt der „Bild“-Zeitung. Die großen Sorgen Putins gälten weniger der Ukraine, Polen oder Litauen, sondern den Nachbarn China, Pakistan und ehemaligen sowjetischen Teilrepubliken, sagte Schmidt. Angesichts dieser Lage sei Putin die Zukunft der Ukraine „weniger wichtig“.
US-Vizepräsident Joe Biden telefonierte am Mittwoch mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko, wie das Weiße Haus mitteilte. Biden zeigte sich demnach besorgt über Verletzungen der vereinbarten Waffenruhe. Die beiden sprachen auch über mögliche neue Sanktionen gegen Russland und die prorussischen Separatisten.
Die USA beschuldigten Russland erneut, die ostukrainischen Separatisten mit Waffen zu unterstützen. Washington will seinerseits das ukrainische Militär mit weiteren Rüstungsgütern im Wert von 75 Millionen Dollar (71 Millionen Euro) beliefern. Das sagte Regierungssprecher Josh Earnest am Mittwoch. Bislang haben die USA Kiew mit Rüstungsgütern im Wert von rund 120 Millionen Dollar unterstützt. Eine Entscheidung über die Lieferung von schweren Defensiv-Waffen hält sich Präsident Barack Obama nach wie vor offen.