Ukraine-Krieg Das riskante politische Engagement von Unternehmen im Kriegsfall

Tesla-Gründer Elon Musk Quelle: REUTERS

Der Tesla-Gründer Elon Musk unterstützt die Ukraine mit seinem Satelliten-Internet. Er handelt damit politisch. Moralisch mag das richtig sein. Legitimiert ist sein Handeln nicht. Es ist außerdem brandgefährlich. Ein Gastbeitrag.

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Markus Scholz ist ein deutscher Wirtschaftswissenschaftler und Unternehmensethiker. Er lehrt als Professor für Corporate Governance und Business Ethics an der FHWien der WKW. Scholz forscht und publiziert schwerpunktmäßig unter anderem zu politischen Aktivitäten und der Verantwortung von Unternehmen, insbesondere in Bezug auf Menschenrechtsthemen.

Am vergangenen Wochenende verkündete der US-Unternehmer und Tesla-Gründer Elon Musk die Aktivierung seines Satelliteninternetdienstes Starlink in der Ukraine: „Starlink ist jetzt im Betrieb. Weitere Terminals unterwegs“, schrieb Musk am Samstag auf Twitter. Starlink arbeitete außerdem daran, weitere Stationen freizuschalten. Musk entsprach damit einem Hilferuf des ukrainischen Ministers für Digitales, Mychailo Fedorow. Dieser forderte Musk auf, die Ukraine angesichts des russischen Einmarsches mit Satelliteninternet zu versorgen und zu unterstützen.

Die politische Verantwortung von Unternehmen

Während viele in den sozialen Medien Musk zu der Aktion gratulieren, sehen einige darin einen klassischen PR-Stunt, um den Musk sowieso selten verlegen ist. Welche Gründe Elon Musk hier antreiben, ist für den Moment auch nebensächlich. Was wichtiger ist: Elon Musks Bereitschaft, mit seinem Unternehmen die Ukraine zu unterstützen, hat politischen Charakter. Der Unternehmer bezieht im Russland-Ukraine-Konflikt damit eine klare politische Position.

Lesen Sie auch unseren Bericht: Ein Experte warnt: Starlink ist ein Leuchtfeuer für Lenkwaffen

Musk stößt hier in eine Dimension vor, die aus wirtschaftsethischer Perspektive höchste Relevanz besitzt und gleichzeitig stark umkämpft ist. Einerseits kommt Musk solchen Positionen entgegen, die eine politische Verantwortungsübernahme von Unternehmen fordern: In einer weitgehend globalisierten Welt mit gleichzeitig schwächelnden globalen Institutionen, verlieren klassische politische Akteure, beispielsweise Nationalstaaten, zunehmend an Einfluss. In dieser Konstellation sollen sich insbesondere die großen, einflussreichen Unternehmen als sogenannte Corporate Citizen stärker den großen Herausforderungen, etwa dem fairen Zugang zu Corona-Impfstoffen, dem Klimawandel und dem Schutz der Menschenrechte annehmen.

Die normative Begründung für diese Verantwortung resultiert nicht zuletzt aus dem Argument der stillen Komplizenschaft. Dieses stellt auf den großen Einfluss von Unternehmen ab und betont die mit diesem Einfluss einhergehende Verantwortung. Wenn ein Unternehmen die Möglichkeit hat, sich beispielsweise aktiv Menschenrechtsverletzungen entgegenzustellen, dies aber unterlässt, wird es zu einem stillen Komplizen. Die Neutralität, auf die sich viele Unternehmen berufen, gibt es hier nicht.

Neutralität mündet häufig in indirekter Komplizenschaft

Bezüglich des Krieges in der Ukraine ließ sich dieses Argument etwa auf Schweizer Großbanken anwenden. Aufgrund der „Neutralität“ der Schweiz hätten diese weiterhin munter mit Russland Geschäfte gemacht. Sie müssten sich nur den Vorwurf der Komplizenschaft mit dem Kriegstreiber Putin gefallen lassen. (Anmerkung der Redaktion: Mittlerweile hat die Schweiz sich aber auch von ihrer Neutralität abgekehrt und den EU-Sanktionen angeschlossen.)

Ganz anders verhält es sich aus dieser Perspektive mit Elon Musk. Mit der offenen Unterstützung der Ukraine durch die Technologie seines Unternehmens handelt er als vermeintlich verantwortungsvoller Unternehmer. Er agiert politisch und unterstützt die Ukrainer in ihrem Kampf gegen eine völkerrechtswidrige Invasion.

Diese Unternehmen wenden sich von Russland ab
LindeAngesichts der Sanktionen gegen Russland stehen beim Gasekonzern Linde Anlagenbau-Projekte im Volumen von bis zu zwei Milliarden Dollar zur Disposition. Per Ende März habe Linde Verträge in dieser Höhe, etwa für Anlagen zur Gasverflüssigung, in Russland in den Büchern gehabt, teilte der amerikanisch-deutsche Konzern am 28. April bei Vorlage der Quartalszahlen mit. Von Sanktionen nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine seien im ersten Quartal bereits Projekte im Volumen von rund 350 Millionen Dollar betroffen gewesen oder seien voraussichtlich betroffen. Linde hatte das Neugeschäft in Russland gestoppt und ist dabei, die Aktivitäten dort nach und nach zurückzufahren: Bestimmte Kunden würden nicht mehr beliefert, zumindest von einem Teil der Anlagen wolle man sich trennen. Für das zweite Halbjahr hat Linde keine Umsätze aus Russland mehr in seinen Planungen berücksichtigt. Quelle: dpa
BASFDer Chemiekonzern BASF stoppt wegen des Krieges in der Ukraine seine Aktivitäten in Russland und Belarus. Eine Ausnahme sei das Geschäft zur Unterstützung der Nahrungsmittelproduktion, teilte der Ludwigshafener Konzern am 27. April mit. Seit März schließt BASF bereits keine neuen Geschäfte mehr in den Ländern ab. Wegen der jüngsten Entwicklungen in dem Krieg und den von der EU verhängten Sanktionen gegen Russland habe der Konzern nun entschieden, auch die bestehenden Aktivitäten in Russland und Belarus bis Anfang Juli einzustellen. Derzeit hat BASF 684 Beschäftigte in den beiden Ländern, diese sollen bis zum Jahresende weiter unterstützt werden. Die Geschäfte in Russland und Belarus machten im vergangenen Jahr rund ein Prozent des Konzernumsatzes aus, in der Ukraine waren es 0,2 Prozent.Mehr dazu lesen Sie hier: BASF stoppt Neugeschäft in Russland. Quelle: dpa
SAPDer Softwarekonzern gab am 19. April bekannt, den russischen Markt endgültig zu verlassen. Das Unternehmen kündigte zwei weitere Schritte „für den geordneten Ausstieg aus unserem Geschäft in Russland“ an. Hinsichtlich seiner Cloud-Dienste hatte SAP nicht von Sanktionen betroffene Unternehmen bereits vor die Wahl gestellt, Daten löschen zu lassen, diese in Eigenregie zu übernehmen oder sie in ein Rechenzentrum außerhalb von Russland zu überführen. SAP kündigte nun an, die Verträge russischer Firmen, die sich für eine Migration der Daten ins Ausland entschieden hätten, nach Ablauf der Abonnementlaufzeit nicht zu verlängern. Zudem beabsichtige SAP, den Support und die Wartung für Produkte, die auf lokalen Servern in Russland installiert sind (On-Premise), einzustellen. „Wir prüfen derzeit verschiedene Optionen, wie sich diese Entscheidung umsetzen lässt“, teilte das Unternehmen mit. Das Hauptaugenmerk liege darauf, den rechtlichen Verpflichtungen gegenüber nicht-sanktionierten Kunden weiter nachzukommen. Bereits Anfang März hatte SAP erklärt, sich den Sanktionen anzuschließen und das Neugeschäft in Russland wie auch Belarus einzustellen. Das beinhaltete allerdings nicht Dienstleistungen gegenüber Bestandskunden wie Wartungen oder Cloud-Dienste, die zunächst weiter angeboten wurden. Medienberichten zufolge soll diese Entscheidung intern von Mitarbeitern kritisiert worden sein. Mehr dazu lesen Sie hier. SAP macht nicht öffentlich, wie groß das Geschäft in Russland ist. Aus dem Integrierten Bericht 2019 – den letzten verfügbaren Daten – geht hervor, dass die russische Tochtergesellschaft unkonsolidiert im Jahr knapp 483 Millionen Euro umsetzte. Quelle: imago images/photothek
HenkelDer Konsumgüterkonzern gibt sein Russland-Geschäft nun doch auf. Das Unternehmen hinter Marken wie Persil, Schwarzkopf und Fa kündigte am 19. April an, es habe angesichts der aktuellen Entwicklung des Ukraine-Krieges beschlossen, seine Aktivitäten in dem Land einzustellen. „Der Umsetzungsprozess wird nun vorbereitet.“ Henkel werde mit seinen Teams in Russland an den Details arbeiten, um einen geordneten Ablauf zu gewährleisten, hieß es. Währenddessen würden die 2500 Beschäftigten von Henkel in Russland weiterbeschäftigt und -bezahlt. Die mit der Entscheidung verbundenen finanziellen Auswirkungen des geplanten Ausstiegs für Henkel könnten zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht näher quantifiziert werden. Henkel hatte mit dem Schritt lange gezögert. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine Ende Februar hatte der Konzern zwar entschieden, alle geplanten Investitionen in Russland zu stoppen sowie Werbung und Sponsoring einzustellen. Die dortige Produktion sollte jedoch weiterlaufen. Dafür gab es auf der Hauptversammlung Anfang April Kritik von Aktionären, die etwa einen Reputationsschaden für Henkel fürchteten. Quelle: REUTERS
Dr. OetkerAuch der Nahrungsmittelhersteller Dr. Oetker zieht sich wegen des Ukraine-Krieges komplett aus Russland zurück. Das Familienunternehmen teilte am 8. April mit, dass es alle Anteile an seiner Russlandtochter an die bisherigen russischen Geschäftsführer verkaufe und damit sämtliche Aktivitäten in dem Land beende. Das Unternehmen hatte bereits direkt nach dem russischen Überfall auf die Ukraine alle Exporte nach Russland, alle Investitionen in die russische Schwestergesellschaft sowie sämtliche nationalen Marketingaktivitäten gestoppt. Das von Dr. Oetker in der Stadt Belgorod betriebene Nährmittelwerk produzierte seitdem nach Unternehmensangaben nur noch Grundnahrungsmittel wie Hefe und Backpulver für die russische Bevölkerung. Quelle: imago images
IntelDer Chip-Hersteller Intel stellt ab dem 6.April alle Geschäfte in Russland ein. Es seien Vorkehrungen getroffen worden, dass das weltweite Geschäft dadurch so gering wie möglich beeinträchtigt werde, teilt der Chip-Hersteller mit. Quelle: dpa
DecathlonDer französische Sportausrüster Decathlon stellt sein Geschäft in Russland ein. Das teilte das Unternehmen am 29. März mit. Die Lieferbedingungen unter strikter Beachtung der internationalen Sanktionen ließen eine Fortsetzung der Aktivitäten nicht mehr zu, teilt der Konzern mit. Decathlon ist im Besitz der französischen Unternehmerfamilie Mulliez, der unter anderem auch die Supermarktkette Auchan gehört. Zuletzt war der Druck auf die Familie gewachsen, ihre Geschäfte in Russland einzustellen. Auchan erklärte jedoch kürzlich, dort präsent zu bleiben. Andernfalls würden ein Verlust von Vermögenswerten und juristische Probleme für Auchan-Manager befürchtet. Auchan hat rund 30.000 Angestellte in Russland, Decathlon etwa 2500. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte heimische Konzerne vor Reputationsschäden gewarnt, wenn sie in Russland bleiben. Quelle: imago images

Andererseits betonen Wirtschaftsethiker, dass mit dem politischen Handeln von Unternehmen erhebliche Gefahren einhergehen. Das Standardargument gegen das politische Handeln von Unternehmen besteht in der mangelnden politischen Legitimität dieser Akteure. Unternehmer und Manager sind nicht demokratisch dazu legitimiert zu entscheiden, wie der Kampf gegen den Klimawandel geführt werden soll, wer welche Impfstoffe zuerst erhält oder welche Kriegspartei unterstützt werden soll.

Die Gefahren des politischen Handelns von Unternehmen in Kriegsfällen

Die Gefahren des nicht abgestimmten politischen Handelns von Unternehmen werden in Kriegsfällen nochmal verstärkt und sind jedenfalls wissenschaftlich noch nahezu unerforscht. Typische Kriege werden zwischen Ländern oder Blöcken ausgetragen. Hier bestimmen die politischen Führungen die jeweiligen Handlungen.

Im gegenwertigen Krieg in der Ukraine werden die Handlungen der Nato-Partner von demokratisch legitimierten Führern bestimmt. Sanktionen werden in bestehenden und ebenfalls demokratisch legitimierten Institutionen abgestimmt. Die Entscheidungsträger müssen sich in Demokratien für ihre Handlungen zudem regelmäßig rechtfertigen.

Mit Elon Musk betritt ein politischer Akteur die Bühne, für den solche Mechanismen der Rechenschaftspflicht nicht gelten. Musk handelt wie er will. Während wir seine Unterstützung der Ukraine aus einer moralischen Perspektive wahrscheinlich begrüßen werden, sollte uns dieser Fall zu denken geben. Hier handelt ein Multi-Milliardär fast ohne Checks and Balances. Seine Handlungen mögen moralisch richtig sein, aber ihnen fehlt jegliche demokratische Legitimität.

Dies ist nicht nur ein abstraktes Demokratie-politisches Problem, um das sich Wissenschaftler und Philosophen kümmern sollten. Es ist bisher unklar, wie die russische Seite Musks Handlungen einordnen wird. Bewerten die Russen Musks Handlungen als das Tun eines exzentrischen Milliardärs, der wie so häufig auf eigene Rechnung handelt? Oder bewerten sie die Unterstützung des Führers eines der mächtigsten und bekanntesten amerikanischen Unternehmens, für das Musk schließlich steht, generell als amerikanische Intervention im Ukraine-Krieg? Letzteres würde beim russischen Aggressor wahrscheinlich ebenfalls eine harsche Reaktion auslösen.



Die Diskussion über das politische Engagement von Unternehmen und die Konsequenzen dieses Handelns in Kriegsfällen hat gerade erst begonnen.

Mehr zum Thema: Elon Musk schickt zahlreiche SpaceX-Satellitenantennen in die Ukraine. Doch die Technik birgt im Krieg für Militär und Politik offenbar eine tödliche Gefahr.

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