


In Brüssel beraten die EU-Außenminister am Dienstag über neue Sanktionen gegen Russland. Der Europäische Rat hatte die Chefdiplomaten zuvor dazu ermächtigt – und seit dem Absturz eines malaysischen Passagierjets spricht viel dafür, dass es zu ersten wirtschaftlichen Sanktionen kommt. Indizien sprechen dafür, dass Separatisten das Flugzeug abgeschossen haben. Diese blockieren seither die Freigabe der 298 Leichen und die Untersuchung des Unglücks seitens der OSZE und niederländischer Experten.
Praktisch dürfte es indes nicht einfach werden, konkrete Sanktionen zu verhängen. Zum einen gibt es bisher zahlreiche Indizien, aber keinerlei stichhaltige Beweise, dass die Separatisten die Rakete abgeschossen haben. Auch die konkrete Beteiligung russischer Stellen ist in diesem Kontext schwer nachweisbar.
Zwar können Separatisten oder deren russische Unterstützer weder Beweise noch Indizien für einen Abschuss seitens des ukrainischen Militärs vorlegen; die Argumentation der Russen stützt sich auf Verschwörungstheorien und zynische Propaganda. Dennoch würde der Westen mit harten Wirtschaftssanktionen ganz dünnes Eis betreten – auch weil bei bisherigen Sanktionsschritten nie klar eine „rote Linie“ als Voraussetzung für die Inkraftsetzung weiterer Maßnahmen definiert wurde.
Sanktionen treffen deutsche Exporteure
Die US-Cowboys sind mit Sanktionen gegen russische Unternehmen mal wieder vorgeprescht. Die bekommen auch deutsche Unternehmen zu spüren. Laut einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) treffen die Sanktionen jeden vierten deutschen Exporteur. Das gilt in besonderem Maße für jene Unternehmen, die neben Russland auch in die USA exportieren. Deutsche Unternehmen müssen prüfen, ob ihre Russlandexporte mit dem US-Sanktionsrecht in Einklang stehen. Im Einzelfall kann sich dies auch auf Komponenten beziehen, die etwa in deutschen Produkten verbaut werden. Wer also ein deutsches Produkt mit US-Teilen an Russland verkauft, riskiert einen Konflikt mit den US-Behörden. Im Fall der Iran-Sanktionen hat dies zu hohen Strafen gegen Banken geführt, die das Embargo umgangen haben.
Chronologie - Dramatische Tage auf der Krim
Schon lange ist die Krim zwischen Russen und Ukrainern umstritten. Seit dem Sturz des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch am 22. Februar haben sich die Spannungen auf der überwiegend von Russen bewohnten Schwarzmeer-Halbinsel dramatisch verschärft. Ein Rückblick:
Wenige Tage nach dem Umsturz in der ukrainischen Hauptstadt Kiew geraten auf der Krim Anhänger und Gegner einer Annäherung an Russland aneinander. Tausende Krimtataren demonstrieren gegen eine Abspaltung der autonomen Republik. Prorussische Demonstranten fordern die engere Anbindung an Moskau.
Bewaffnete besetzen Regionalparlament und Regierungsgebäude in der Hauptstadt Simferopol - um die russische Bevölkerung auf der Krim zu verteidigen, wie sie sagen. Das prorussische Krim-Parlament spricht sich für eine Volksbefragung über die Autonomie der Region im Mai aus und setzt die Regierung ab.
Eine bewaffnete prorussische Gruppe besetzt kurzzeitig den Flughafen der Hauptstadt. Das ukrainische Parlament appelliert an Moskau, alles zu unterlassen, was die territoriale Einheit des Landes gefährde. Nach ukrainischen Berichten sind auf der Krim russische Militärmaschinen mit rund 2000 Soldaten gelandet. Interimspräsident Alexander Turtschinow spricht von einer „militärischen Invasion“ unter dem Deckmantel einer Übung.
Der moskautreue neue Krim-Regierungschef Sergej Aksjonow übernimmt vorübergehend die Befehlsgewalt und bittet Kremlchef Wladimir Putin um Beistand. Er zieht das Referendum über die Zukunft der Krim auf den 30. März vor. Die russische Staatsduma ruft Putin auf, der neuen Regierung auf der Krim Beistand beim Schutz der Bürger zu leisten. Die prorussische Krim-Regierung und die auf der Halbinsel stationierte russische Schwarzmeerflotte vereinbaren eine Zusammenarbeit bei der Sicherung der öffentlichen Ordnung. In mehreren russisch geprägten Städten der Schwarzmeer-Halbinsel gibt es Proteste gegen die Regierung in Kiew.
Putin erklärt, Russland könne bei weiterer Gewalt gegen die russischsprachige Bevölkerung „nicht tatenlos zusehen“. In Kiew ordnet Interimspräsident Alexander Turtschinow die volle Kampfbereitschaft der ukrainischen Armee an und droht, eine Intervention Moskaus werde „der Beginn eines Krieges und das Ende aller Beziehungen sein“.
Das ukrainische Parlament, die Oberste Rada, berät in nicht-öffentlicher Sitzung über die heikle Lage. Die sieben führenden Industrienationen der Welt (G7) setzen alle Vorbereitungstreffen für den G8-Gipfel mit Russland im Juni in Sotschi aus. US-Präsident Barack Obama und Kanzlerin Angela Merkel werfen Russland vor, mit der Intervention auf der Krim gegen das Völkerrecht zu verstoßen.
Auf der Krim herrscht gespannte Ruhe. Russland lehnt die Entsendung einer Mission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) in die Ukraine ab. Außenminister Sergej Lawrow sagt, es gehe Moskau um die „Frage der Verteidigung unserer Bürger und Landsleute“. Die EU-Außenminister beraten bei einer Krisensitzung in Brüssel über die Lage auf der Krim.
Indirekt zwingen die Amerikaner deutsche Unternehmen also zur Übernahme ihrer Sanktionen. Mit Folgen für deutsche Unternehmen: Wer jetzt in Russland investieren oder dorthin exportieren will, wird sich dies dreimal überlegen. Ob dies der russischen Wirtschaft in großem Maße schadet, ist eher fraglich. Zumal direkte europäische Sanktionen gegen Russland eher schwer durchsetzbar sind: Anders als die USA verfügen viele Unternehmen in der EU über enge Drähte zu russischen Konzernen – auch zu solchen, die unter der Regie von Putin-Freunden stehen und Zielscheibe von Sanktionen werden könnten.
Britische Regierung könnte Widerstand leisten
Rosneft ist so ein Beispiel. Der staatliche Ölkonzern, den mit Igor Setschin ein enger Vertrauter von Wladimir Putin leitet, steht auf der US-Sanktionsliste. Am Konzern ist aber auch British Petroleum (BP) beteiligt, weshalb die sonst so russlandkritische britische Regierung wohl Widerstand leisten würde. Dasselbe gilt für Gazprom, mit denen sowohl deutsche Unternehmen (Wintershall und E.On) als auch französische und italienische Versorger dick im Geschäft sind.
Auch die russische Staatsbahn RZD, deren Chef und Putin-Kumpel Wladimir Jakunin zuletzt mit dezidiert antieuropäischen Äußerungen aufgefallen ist, dürfte schwer zu treffen sein mit Sanktionen: Unter anderem buhlen Siemens und Alstom um milliardenschwere Aufträge im Bahngeschäft, weshalb die Regierungen Deutschlands und Frankreichs den Konzern wohl nicht auf die Liste setzen würden. Paris wird zudem alles geben, damit die Auslieferung der bereits verkauften Kampfschiffe vom Typ „Mistral“ an Russland nicht blockiert wird.
So werden Sanktionen zu Sanktiönchen, kleinverhandelt im Brüsseler Kuhhandel. Am ehesten vorstellbar ist noch, dass Förderbanken wie die EBRD oder die deutsche KfW ihr Russlandgeschäft auf Eis legen müssen. Viel mehr ist wohl nicht drin.
Abgesehen davon stellt sich weiterhin die Frage, was Sanktionen überhaupt bringen können: Ist es überhaupt möglich, Putin mit Druck von Außen zu einem Einlenken in der Ukraine-Krise zu zwingen? Oder wird er die Strafaktionen nutzen, um sich vor den Landsleuten als Märtyrer im Kampf gegen den „imperialistischen Westen“ zu inszenieren? Viel spricht für die letztere Möglichkeit. Daher sollte bei allem Frust ob der Ohnmacht in Osteuropa stets klar definiert werden, was Sanktionen erreichen können – und was sie erreichen sollen. Im Zweifel müssen sie scharf genug sein, damit sie stechen können. Aber meist sind sie am Ende eher ein stumpfes Schwert.