Ukraine-Krise Joe Biden wird zum Brandstifter

US-Vizepräsident Joe Biden verspricht der Ukraine in Kiew militärische Hilfe – und heizt damit den Konflikt mit Russland weiter an. Ob die Spaltung abgewendet werden kann, bleibt offen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
US-Vizepräsident Joe Biden in Kiew Quelle: AP


Je nachdem woher der Wind weht, kann US-Vizepräsident Joe Biden den „Maidan“ riechen, wenn er auf dem Balkon des Hyatt-Hotels am Sophienplatz in Kiew steht. Es ist der Geruch der Lagerfeuer, die sie etwas unterhalb des Hotels abends auf dem Unabhängigkeitsplatz entzünden. Ein halbes Jahr campieren dort schon einige Hundert zerzauster Ukrainer in Armeezelten; die Gesichter meist schwarz vor Ruß, die Tarnfleck-Jacken schmutzig.

Die Reste der Revolution sind oft arme Leute, die in ihrer Zeltstadt Gesellschaft finden und warme Mahlzeiten bekommen.

Joe Biden machte einen großen Bogen um die Lagerfeuer auf dem Maidan. Der Sonnyboy aus Pennsylvania goss im klobigen Regierungssitz dafür reichlich Öl ins Feuer: Zwar fiel seine Finanzzusage von 50 Millionen Dollar Soforthilfe umfänglich bescheiden aus. Aber er kündigte die militärische Unterstützung der Ukraine an, die sich im Osten einer Bedrohung durch russlandnahe Separatisten ausgesetzt sieht. Das dürfte auf Moskau ähnlich provokativ wirken wie der Besuch des CIA-Präsidenten John Brennan ein paar Tage zuvor. Und gibt Wasser auf die Mühlen der russischen Propaganda, die jegliche Form politischer Proteste im Nachbarland als von den USA finanziert und inszeniert abtut.

So kühlt niemand den Konflikt mit Russland herunter, der im Osten des Landes weiterhin am Rande einer militärischen Eskalation steht. Dort war es am Osterwochenende zu einer Schießerei mit fünf Toten gekommen – ein Zwischenfall, für den sich Russen und Ukrainer gegenseitig die Verantwortung zuschieben. Vom diplomatischen Erfolg der ukrainisch-russischen Verhandlungen in Genf ist nicht mehr viel übrig: Ein dünnes Papier schreibt vage den Abzug der Separatisten fest, doch jene pro-russischen Aktivisten im Osten halten weiterhin staatliche Gebäude besetzt. Auch auf dem Maidan sind keine Zeichen von Abzug erkennbar; noch immer ist die Kiewer Stadtverwaltung in der Hand der Demonstranten, weshalb Beamten teilweise in Hotels ihren Job tun müssen. Die Genfer Erklärung wird offenkundig ignoriert, was in Kiew kein großes Aufsehen mehr erregt.

Ökonomische Stabilisierung kommt voran

Militäreinsatz gegen Separatisten gestartet
Ukrainische Soldaten stehen mit unsicher-angespanntem Gesichtsausdruck zwischen Panzern, auf denen die ukrainische Flagge weht. Erstmals hat die Ukraine auf den prorussischen Aufstand im Osten des Landes mit einer Militäraktion reagiert. Quelle: AP
Die pro-russischen Separatisten lassen sich derweil nicht beeindrucken. Sie bauen weiter Barrikaden und verteidigen diese mit teils selbst gebastelten Waffen, so wie hier in der Stadt Kramatorsk. Quelle: AP
Südlich von Kramatorsk sollen am Dienstag ukrainische Spezialkräfte an einem Flughafen rund 30 bewaffnete Männer zurückgedrängt haben, sagte General Vasyl Krutow. Quelle: AP
Separatisten greifen ukrainisches Sicherheitspersonal am Flughafen von Kramatorsk an. Über den genauen Hergang der Gefechte gab es widersprüchliche Angaben. Quelle: AP
Laut der ukrainischen Regierung gab es keine Opfer, russische Medien berichteten jedoch von vier bis elf Toten am Flughafen. Ein Sprecher einer prorussischen Verteidigungsgruppe, Juri Schadobin, sprach von zwei Leichtverletzten, die in eine Klinik gebracht worden seien. Laut der Regierung in Kiew wurde eine nicht näher genannte Zahl von Milizionären gefangen genommen. Quelle: AP
Moskau verurteilte das ukrainische Vorgehen. Es sei „kriminell, mit den eigenen Landsleuten zu kämpfen, während sie für legale Rechte aufstehen“, erklärte das Außenministerium in Moskau. Ressortchef Sergej Lawrow hatte Kiew zuvor vor dem Einsatz von Gewalt gegen die prorussischen Demonstranten gewarnt. Man könne nicht Panzer schicken und zur selben Zeit Gespräche führen, sagte er mit Blick auf die für Donnerstag in Genf geplanten Verhandlungen mit den USA, der Europäischen Union und der Ukraine über die Krise. Quelle: AP
Einige Truppen haben laut Berichten von Reportern vor Ort mittlerweile die Seiten gewechselt. Sie sollen samt Panzern zu den pro-russischen Milizionären übergelaufen sein. Quelle: AP

Von einer nachhaltigen Lösung der Krise ist die Ukraine weit entfernt. Beide Seiten beschwören den bösen Geist des Patriotismus, insbesondere die russischen TV-Kanäle helfen bei der Meinungsbildung mit teils abstrusen Verschwörungstheorien nach – so als würden in Kiew einzig Nazi mit Hakenkreuz-Binden durch die Straßen laufen. Aber weder die Regierung in Kiew noch die im Osten durchaus mächtigen Oligarchen unternehmen viel, um ihre ökonomischen Pläne für den Wiederaufbau des Landes oder die Möglichkeit des Freihandels mit Russland und der Europäischen Union zu erörtern. Tief sind die Gräben – und niemand scheint sie wirklich zuschütten zu wollen.

Eckpunkte der Genfer Erklärung zur Ukraine-Krise

Dabei kommt die ökonomische Stabilisierung durchaus voran. Zwar ist weiterhin unklar, wie das Land die 16-Milliarden-Dollar-Rechnung für russisches Gas an den Kreml-Konzern Gazprom bezahlen soll. Aber das Land erhöht die bislang stark subventionierten Gaspreise zum 1. Mai um die Hälfte; alternative Gasquellen sollen angezapft oder im Landesinnern entwickelt werden. Die Interimsregierung, die ihren Job laut Premierminister Arsenij Jazenjuk für „politischen Selbstmord“ hält, treibt jene schmerzhaften Reformen voran, die aus blankem Populismus unter sämtlichen Vorgängerregierungen nicht durchsetzbar waren.

Der Legitimität dieser Regierung helfen indes auch etwaige ökonomische Erfolge nicht weiter. Nach wie vor sitzen zwei Vertreter der rechtsextremen Partei Swoboda, sowie den Generalstaatsanwalt. „Diese Elemente richten einen immensen Schaden für die Ukraine an“, schimpft ein hoher Regierungsbeamter, der – wie viele in Kiew – nicht versteht, weshalb Arseni Jazenjuk mit den Rechten paktiert. Vermutlich, weil sie anders als die ausgewiesenen Demokraten auf dem „Maidan“ weiterhin einen gewissen Einfluss haben.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%