Ukraine-Krise Russland zeigt sich gesprächsbereit mit dem Westen – aber Putin macht auch Druck

Bundeskanzler Olaf Scholz und Russlands Präsident Wladimir Putin geben nach einem mehrstündigen Vier-Augen-Gespräch eine gemeinsame Pressekonferenz. Quelle: dpa

Zuletzt spitzte sich die Ukraine-Krise zu. Groß ist die Angst vor Krieg in Europa. Nun betont Moskau Dialogbereitschaft. Olaf Scholz sagt deutlich: Die diplomatischen Möglichkeiten seien bei weitem nicht ausgeschöpft.

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Das Wort „Dialog“ hätte in großen Lettern über der Pressekonferenz von Russlands Präsidenten Wladimir Putin und dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz prangern können. Es fiel sehr häufig im gemeinsamen Auftritt vor internationaler Presse im Kreml in Moskau nachdem die beiden Regierungschefs unter vier Augen gesprochen hatten.

Putin und Scholz bekannten sich beide nach ihrem Gespräch dazu, die Spannungen um die Ukraine zunächst durch Dialoge abbauen zu wollen. Scholz bekräftigte, dass eine weitere Aggression gegen die Ukraine schwerwiegende Folgen für Russland hätte. „Deeskalation ist dringend nötig“, sagte der Kanzler, lobte aber den Teilabzug der russischen Streitkräfte vor der Grenze zur Ukraine als „gutes Zeichen“. Es gebe keine vernünftigen Gründe für eine solche Truppenmassierung.

Beide verwiesen auf die Differenzen bei zentralen Sicherheitsfragen, bekannten sich aber zu guten deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen. Scholz kritisierte jedoch das russische Vorgehen gegen die Nichtregierungsorganisation Memorial und bemängelte, dass die Verurteilung des Regierungskritikers Alexej Nawalny nicht rechtsstaatlichen Grundsätzen genüge.

Wladimir Putin betonte, dass Russland keinen neuen Krieg in Europa wolle. „Dazu, ob wir das wollen oder nicht: Natürlich nicht!“, sagte Putin auf eine entsprechende Fragevor Journalisten. Auch deshalb habe Russland eine Debatte um die Sicherheit in Europa angestoßen, sagte Putin. Moskau sei weiter bereit, mit der Nato und mit den USA über Sicherheitsgarantien zu verhandeln.

Zugleich forderte er im Konflikt um die Ukraine den Westen auf, auf die Führung in Kiew Druck auszuüben, damit diese den Friedensplan von Minsk für die Ostukraine umsetzt. Putin hatte zuletzt mehrfach auch vor einer Aufnahme der Ukraine in die Nato gewarnt, weil damit ein Krieg drohe – etwa wenn Kiew sich die von Russland 2014 einverleibte Schwarzmeer-Halbinsel Krim mit militärischer Gewalt zurückholen wolle. Putin sicherte der Ukraine zu, dass sie auch nach einer Inbetriebnahme der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 Transitland für russisches Gas bleiben solle. Forderte aber nochmal mit Nachdruck eine Entscheidung der Nato, die Ukraine nicht in das Verteidigungsbündnis aufzunehmen.

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Schon seit Jahren werde versprochen, dass sich die Nato nicht ausdehne, behauptete Putin. Russland fordert schriftliche Garantien, dass dies nicht passiert. Die Frage einer Aufnahme der Ukraine in das Bündnis müsse jetzt entschieden werden. Putin wies einmal mehr zurück, dass die Nato ein friedliches Verteidigungsbündnis sei. Es nutze nichts, wenn er jetzt höre, dass das Land auf Jahre hin nicht Mitglied der Allianz werde. Scholz bekräftigte, dass diese Frage aktuell nicht auf der Tagesordnung stehe.

Moskau fordert aber auch, dass die Nato keine Waffen in der Ukraine stationiert und ihre Kräfte aus Osteuropa abzieht. Sowohl die Nato als auch die USA lehnen das allerdings ab und berufen sich auf die freie Bündniswahl von Staaten – zeigten sich aber dialogbereit. Das westliche Militärbündnis und die USA hatten bereits schriftlich auf Moskaus Forderungen geantwortet. Russland werde seine Antwort auf diese Schreiben veröffentlichen, sagte Lawrow.

Polens Außenminister Zbigniew Rau, einer der schärfsten Kritiker Russlands in Europa, war am Dienstag ebenfalls in Moskau und traf dort Lawrow, während der ukrainische Außenminister seinen italienischen Amtskollegen empfing. Rau und Lawrow diskutierten über Wege, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) für weitere Gespräche zu nutzen, mit dem Ziel, die Spannungen zu beruhigen.

Die OSZE bot Moskau einen neuen Dialog an. Dazu flog Polens Außenminister Zbigniew Rau in die russische Hauptstadt. Polen hat derzeit den OSZE-Vorsitz. Die Situation rund um die Ukraine bleibe außerordentlich angespannt und drohe, ernsthaft zu eskalieren, sagte Rau. „In diesem Sinne haben wir eine Initiative für einen neuen Dialog über europäische Sicherheit vorgeschlagen.“ Lawrow nannte den Vorschlag „interessant“. „Wir sind bereit zu einer sehr engen Zusammenarbeit mit dem OSZE-Vorsitz.“ Lawrow hatte seine OSZE-Kollegen Ende Januar zu einer schriftlichen Antwort auf die Frage aufgefordert, wie die Sicherheit eines Landes nicht auf Kosten eines anderen gewährleistet werden könne. Für Russland sei aber derzeit der Dialog mit den USA und der Nato das Wichtigste. „Ohne Fortschritte mit den USA und der Nato werden Gespräche in Wien keine Fortschritte bringen.“

Russland hat mehr als 130.000 Soldaten in der Nähe der Ukraine zusammengezogen und damit Angst vor einer Invasion geschürt. Russland bestreitet, dass es Pläne für einen Einmarsch hat, obwohl es Truppen an den Grenzen der Ukraine im Norden, Süden und Osten stationiert und in der Nähe umfassende Militärübungen abgehalten hat.

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Stunden vor der Erklärung des russischen Verteidigungsministeriums erklärte ein Vertreter des US-Verteidigungsministeriums zudem, russische Einheiten bewegten sich näher auf die ukrainische Grenze zu, statt von ihr weg. Und westliche Regierungsvertreter warnten am Dienstag weiterhin davor, dass eine Invasion jederzeit bevorstehen könnte. Einige nannten den Mittwoch als Tag einer möglichen Invasion.

Einen Tag zuvor hatte der russische Außenminister Sergej Lawrow angedeutet, sein Land sei bereit, weiter über die Sicherheitsbedenken zu sprechen, die zur Ukraine-Krise geführt hatten – eine Änderung des Tonfalls nach Wochen wachsender Spannungen. Lawrow sagte, die Möglichkeiten für Gespräche seien „noch lange nicht ausgeschöpft“. Auf die Erklärung vom Dienstag angesprochen, unterstrich Lawrow, dass Russland Militärübungen „auf seinem eigenen Territorium und nach eigenen Plänen“ abhalte, „sie beginnen, gehen weiter und enden wie geplant“. Solche Übungen hielten sich immer an einen Zeitplan, ungeachtet dessen, „wer was denkt und wer darüber hysterisch wird, wer echten Informationsterrorismus einsetzt“. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba erklärte: „Russland gibt ständig Erklärungen ab.“ Und: „Wenn wir sehen, dass sich die Truppen zurückziehen, werden wir an eine Deeskalation glauben.“

Aus dem Weißen Haus hieß es zuletzt kühl, der diplomatische Pfad bleibe offen, sofern Russland sich entschließe, konstruktiv vorzugehen. Kuleba beanspruchte unterdessen das Verdienst, den diplomatischen Weg für den Moment offen gehalten zu haben. „Wir haben es mit unseren Partnern geschafft, die Russische Föderation von einer weiteren Eskalation abzuhalten. Heute ist bereits Mitte Februar und man sieht, dass die Diplomatie weiter funktioniert“.

Der polnische Außenminister Rau schlug bei dem Treffen mit Lawrow die Schaffung „einer informellen Plattform für eine offene politische Diskussion und Zusammenarbeit“ vor. Diese Plattform könne es möglich machen, Vorschläge dazu zu erörtern, wie die Wirksamkeit von Mechanismen zur Verhinderung von Krisen wie der gegenwärtigen erhöht werden könne.

Die OSZE hat im Ukraine-Konflikt im Osten des Landes seit 2014 Hunderte internationale Beobachter stationiert. Trotz Ausreise-Aufrufen einzelner Staaten werde die Arbeit fortgesetzt, sagte Rau. „Die Beobachtermission erfüllt weiterhin ihre Pflichten.“

Aktienmärkte: „Jede Nachricht über eine potenzielle Deeskalation ist willkommen“

In der Hoffnung auf eine friedliche Lösung der Ukraine-Krise kehren Anleger an die europäischen Aktienmärkte zurück. „Obwohl es auf diplomatischer Ebene noch viel zu tun gibt, sind die laufenden Gespräche aus Sicht der meisten Investoren auf einem guten Weg“, sagte Analyst Pierre Veyret vom Brokerhaus ActivTrades. Dax und EuroStoxx50 stiegen am Dienstag um jeweils mehr als 1,5 Prozent auf 15.389 beziehungsweise 4131 Punkte.

Mut machten Börsianern vor allem Berichte über den Teilabzug russischer Truppen von der ukrainischen Grenze. Dies verhalf dem Moskauer Leitindex für in Dollar notierte Aktien zu einem Plus von zeitweise sechs Prozent. Bei russischen Staatsanleihen griffen Anleger ebenfalls wieder zu und drückten die Rendite der zehnjährigen Bonds auf 9,79 Prozent. Am Devisenmarkt kauften sie sowohl die russische als auch die ukrainische Währung. Im Gegenzug verbilligte sich der Dollar um zwei Prozent auf 75,15 Rubel beziehungsweise ein Prozent auf 28,20 Hrywnja. Andere riskante Anlagen wie Kryptowährungen standen ebenfalls wieder hoch im Kurs. Bitcoin rückte knapp fünf Prozent auf 44.243 Dollar und Ethereum sieben Prozent auf 3118 Dollar vor.

An den westeuropäischen Aktienmärkten gehörten Unternehmen mit großen Engagements in Russland nach ihren jüngsten Verlusten zu den Favoriten. So stiegen die Aktien der Geldhäuser Raiffeisen Bank, Societe Generale (SocGen) und Unicredit um jeweils etwa zwei Prozent.

„Jede Nachricht über eine potenzielle Deeskalation ist zwar willkommen“, sagte Stuart Cole, Chef-Volkswirt des Brokerhauses Equiti Capital. „Die Märkte werden aber etwas handfesteres sehen wollen, bevor sie die Krise für beendet erklären.“ Dennoch zogen sich einige Investoren aus „sicheren Häfen“ wie der Weltleitwährung zurück. Dies brockte dem Dollar-Index, der den Kurs zu wichtigen Währungen widerspiegelt, ein Kursminus von 0,3 Prozent ein. Die „Antikrisen-Währung“ Gold verbilligte sich um ein Prozent auf 1850 Dollar je Feinunze (31,1 Gramm). Bundesanleihen gerieten ebenfalls unter Verkaufsdruck, wodurch die Rendite der zehnjährigen Titel auf 0,311 Prozent stieg.

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Wegen einer nachlassenden Furcht vor Lieferausfällen ging es für den Ölpreis abwärts. Die Sorte Brent aus der Nordsee verbilligte sich um drei Prozent auf 93,73 Dollar je Barrel (159 Liter), nachdem sie am Montag ein Siebeneinhalb-Jahres-Hoch von 96,78 Dollar erreicht hatte. „Russland exportierte im Januar knapp 4,7 Millionen Barrel Rohöl pro Tag“, rechnete Commerzbank-Analyst Carsten Fritsch vor. „Sollte im Falle einer militärischen Auseinandersetzung und aufgrund von westlichen Sanktionen ein Teil davon wegfallen, könnte dies nicht so ohne weiteres aufgefangen werden.“ Auch am Erdgasmarkt entspannte sich die Lage. Der europäische Terminkontrakt gab gut fünf Prozent auf 76,18 Euro je Megawattstunde nach. Russland ist ein wichtiger Gaslieferant.

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