Die ukrainische Regierung hat den Separatisten im Osten des Landes den Beschuss eines Flüchtlingskonvois vorgeworfen. Viele Menschen seien getötet worden, darunter Frauen und Kinder, teilte der Sicherheitsrat in Kiew am Montag mit. Die prorussischen Aufständischen hätten die Kolonne im Gebiet Lugansk mit Raketen und Granaten attackiert, hieß es in der Mitteilung. Separatistensprecher Konstantin Knyrik wies den Vorwurf zurück. Niemand habe eine Flüchtlingskolonne beschossen, sagte er der Agentur Interfax. Vor den Kämpfen zwischen Regierungstruppen und Aufständischen sind in den vergangenen Wochen Zehntausende geflohen. Die prowestliche Führung in Kiew startete im April eine „Anti-Terror-Operation“ gegen militante Gruppen in der Ostukraine.
Derweil wird der vor der ukrainischen Grenze wartende russische Hilfskonvoi nach Angaben von Russlands Außenminister Sergej Lawrow voraussichtlich bald in die Ukraine fahren. Bei einer Pressekonferenz in Berlin sagte Lawrow am Montag, „alle Fragen“ mit Blick auf die humanitäre Hilfsmission für die Ostukraine seien ausgeräumt. Zudem sei eine Vereinbarung mit der Ukraine und dem Internationalen Roten Kreuz getroffen worden, das die mehr als 250 Fahrzeuge begleiten soll. Ob sich Lawrow dabei auf Sicherheitsgarantien bezog, die das Rote Kreuz von allen Parteien fordert, war zunächst unklar.
Der Streit um humanitäre Hilfe
Die Menschen in der umkämpften Ostukraine benötigen dringend Hilfsgüter. Seit Tagen streiten Moskau und Kiew, wie Lastwagenkonvois die Betroffenen erreichen können.
Kremlchef Wladimir Putin kündigt russische Hilfe an. Ein Konvoi soll in Abstimmung mit dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) organisiert werden.
In Russland werden laut Staatsfernsehen etwa 280 Lastwagen mit rund 2000 Tonnen Nahrungsmitteln, Medikamenten und anderen Gütern beladen. Beim Start ist unklar, ob der Transport mit Kiew abgestimmt ist. Der Vizechef der ukrainischen Präsidialverwaltung, Waleri Tschaly, sagt, man werde keinen rein russischen Konvoi auf ukrainisches Staatsgebiet lassen. Die Regierung in Kiew befürchtet, dass der Kreml unter dem Deckmantel einer Hilfsaktion Waffen für Separatisten einschmuggeln könnte. Moskau weist dies zurück.
In Kiew bekräftigt Ministerpräsident Arseni Jazenjuk, nur unter IKRK-Federführung werde der Konvoi ins Land gelassen. Laut Innenminister Arsen Awakow dürfen die Lastwagen nicht wie zunächst geplant durch das Gebiet Charkow fahren. Erstmals kündigt auch die Regierung in Kiew Unterstützung für die notleidenden Menschen an.
Der russische Konvoi steht vor der Grenze im Gebiet Rostow. Von dort können die Lastwagen direkt in ein von Separatisten kontrolliertes Gebiet einfahren. Die ukrainische Regierung startet Fahrzeuge mit eigenen Hilfsgütern. Insgesamt will Kiew mehr als 70 Lastwagen mit rund 800 Tonnen Hilfsgütern ins Krisengebiet schicken und dort dem Roten Kreuz übergeben. Erste ukrainische Transporter mit Medikamenten und Lebensmitteln erreichen am Abend einen Sammelpunkt nördlich von Lugansk. Ob der russische Konvoi die Grenze passieren darf, ist unklar. Er hängt wegen mangelnder Absprachen zwischen Moskau, Kiew und dem Roten Kreuz fest.
Moskau und Kiew einigen sich. Der russische Konvoi darf über die Grenze, wenn seine Ladung vom Roten Kreuz kontrolliert und formell übernommen wird. Laut Pentagon hat Moskau Washington versichert, der Konvoi sei kein Vorwand für militärisches Eingreifen. Berichte über einen angeblichen russischen Armeekonvoi auf ukrainischem Gebiet sorgen für Aufregung. Der Westen wirft Russland Provokation vor. Moskau weist die Vorwürfe zurück.
Separatistenführer Andrej Sachartschenko spricht von Verstärkung - unter anderem „1200 in Russland ausgebildete Kämpfer“. Der Kreml dementiert aber später erneut jede Unterstützung. Der Hilfskonvoi aus Moskau steht weiter vor der ukrainischen Grenze. Russland fordert für die Verteilung der Güter durch das Rote Kreuz eine Feuerpause. Die Lebensmittel sollen vor allem Lugansk zu Gute kommen - in der Separatistenhochburg leben rund 200 000 Bewohner ohne Versorgung. Eine baldige Waffenruhe ist aber nicht in Sicht.
Im Osten nichts Neues - das Rote Kreuz wartet weiter auf Sicherheitsgarantien, sonst will die Organisation den Konvoi nicht in die Kampfzone führen. Die Separatisten schießen ein Armeeflugzeug ab, während der ukrainische Außenminister Pawel Klimkin vom Westen Waffenhilfe erbittet. Alle Augen richten sich auf Berlin: Ein Treffen von Klimkin, seinem deutschen Kollegen Frank-Walter Steinmeier sowie Sergej Lawrow aus Russland und dem Franzosen Laurent Fabius soll dort am Abend zur Entspannung der Lage beitragen.
Eine Sprecherin des Roten Kreuzes in der Region, in der die russischen Lastwagen geparkt sind, hatte der Nachrichtenagentur AP zuvor am Montag gesagt, dass man noch immer auf die Sicherheitsgarantien warte. Die Hilfsorganisation will diesbezüglich auch Zusicherungen von den prorussischen Separatisten in der Ostukraine. Lawrow hatte sich am Sonntag in Berlin mit seinen Kollegen aus Deutschland, Frankreich und der Ukraine getroffen. Das Krisentreffen zum Ukraine-Konflikt ging ohne greifbare Ergebnisse zu Ende. Doch gebe es in einzelnen Punkten Fortschritte, sagte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier.
Die ukrainische Armee hat im Osten des Landes nach eigenen Angaben weitere Gebiete von den prorussischen Separatisten zurückerobert. Ukrainische-Soldaten hätten einen Belagerungsring um die von Rebellen besetzte Stadt Horliwka gezogen und einige kleinere Siedlungen übernommen, erklärte das Militär am Montag. Horliwka mit seinen mehr als 230.000 Einwohnern ist strategisch wichtig, weil es an der Hauptverbindungsstraße zwischen Donezk und Luhansk liegt. Diese beiden Großstädten sind noch in der Hand der Separatisten, allerdings haben Regierungstruppen Luhansk von der Außenwelt und der Versorgung weitgehend abgeriegelt und auch in der Stadt schon einige wichtige Stellungen wieder eingenommen.
Nahe dem Dorf Nowokateriniwka südöstlich von Donezk feuerten die Aufständischen nach Angaben der Armee offenbar mit dem russischen Raketensystem Uragan auf die Soldaten, wie das Militär erklärte. Es sei das erste Mal, dass bei den Kämpfen solch schlagkräftige Raketenwerfer eingesetzt worden seien. Zu Opfern machten weder die Armee noch die Rebellen Angaben.
"Die Siedlungen Malaja Iwaniwka und Andrianiwka sind komplett gesäubert (von Rebellen)", erklärte das ukrainische Militär. "Der Weiler Altschewsk ist völlig abgeschnitten, Horliwka komplett blockiert". Die Aufständischen versuchten, aus den Ortschaften zu fliehen.