Formell kann man den Beratern der Washingtoner Agentur Nera Consulting keine Vorwürfe machen. Auf die zweite Seite, noch vor die Einleitung ihrer Studie über die Folgen der weltweiten Klimaschutzpolitik auf den industriellen Sektor, stellen sie eine allgemeine Erklärung.
Es handele sich hier um „Projektionen basierend auf gegenwärtigen und historischen Daten“, die deshalb natürlich risikobehaftet seien. Die „Verantwortung für tatsächliche Ergebnisse oder zukünftige Entwicklungen könne man daher nicht übernehmen“.
US-Präsident Donald Trump scheint diese Seite überblättert zu haben. Als er am Donnerstagabend (MEZ) im Rosengarten des Weißen Hauses vor ein kleines Publikum und die Mikrofone der Welt trat, machte er die Berater Paul Bernstein, David Montgomery, Bharat Ramkrishnan und Sugandha Tuladhar zu den Kronzeugen seiner bisher weitreichendsten Entscheidung.
Das Pariser Klimaabkommen
Die Erderwärmung soll auf klar unter zwei Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit begrenzt werden. Die Vertragsstaaten sollten sich aber anstrengen, sie bei 1,5 Grad zu stoppen.
US-Präsident Donald Trump hat den Ausstieg seines Landes aus dem Pariser Klimaabkommen angekündigt. Die Ende 2015 beschlossene Vereinbarung ist ein Meilenstein im Kampf gegen die Klimaerwärmung. Ein Überblick.
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Die Staaten wollen den Netto-Ausstoß ihrer Treibhausgase in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts auf Null bringen. Sie dürfen dann nur noch so viele Treibhausgase ausstoßen, wie etwa mit Waldanpflanzungen aus der Atmosphäre gezogen wird. Dafür müsste die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas von 2050 bis 2070 enden.
Von 2020 bis 2025 sollen die Industriestaaten jährlich 100 Milliarden Dollar (ca. 90 Milliarden Euro) für Entwicklungsländer bereitstellen. Für die Jahre danach soll es ein neues, höheres Ziel geben.
Die Vertragsstaaten erkennen die Notwendigkeit an, ärmeren Staaten bei Verlusten und Schäden durch den Klimawandel zu helfen. Es soll ein Versicherungssystem aufgebaut werden.
Entscheidende Teile der Vereinbarung sind völkerrechtlich verbindlich. Es gibt jedoch keine Strafen bei Nichterfüllung der Zusagen.
Nach China sind die USA der zweitgrößte Klimasünder. Trump wendet sich von der Klimapolitik seines Vorgängers ab. Bereits im März hob er Vorschriften zum Klimaschutz auf. Er will den „Clean Power Plan“ zum Abbau der Treibhausgase bis 2030 um 32 Prozent gegenüber 2005 überarbeiten lassen.
Er, Donald Trump, müsse „die Interessen der amerikanischen Bürger stets an erster Stelle vertreten“. Deshalb bleibe ihm kaum etwas anderes übrig, als hier und heute das Pariser Klimaabkommen zu verlassen. Denn, so zeige eben jene Studie: „Würden wir die Pariser Vereinbarungen umsetzen, würde das die Vereinigten Staaten bis 2025 2,7 Millionen Jobs kosten, 440.000 davon allein in der Industrie.“
Trump ist in der US-Klimapolitik nicht der einzige Akteur
US-Präsident Donald Trump hat den Abschied der USA aus dem Pariser Klimaabkommen angekündigt. Trotzdem: Die US-Regierung in Washington ist in der amerikanischen Klimapolitik bei weitem nicht der einzige Akteur.
Drei große Akteure können von der Bundesregierung unabhängige, eigene Wege gehen und haben dies auch schon angekündigt: Es sind die Wirtschaft, Bundesstaaten und die großen Städte.
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Großunternehmen wie General Electric, Coca-Cola oder Apple - sie alle wollen sich an höhere Klimaziele halten, sogar der Energiegroßanbieter Exxon, dem einst der heutige Außenminister Rex Tillerson vorstand. Die Aktionärsversammlung entschied, das Geschäft stärker am Klimaschutz auszurichten. Die Branche der erneuerbaren Energien beschäftigt in den USA mehr Menschen als die der fossilen. Und gerade Technologie-Unternehmen wie Facebook oder Google fordern von den Energieversorgern Strom aus erneuerbaren Energien.
Neben Kalifornien mit seinen allein 40 Millionen Einwohnern gibt es noch eine Reihe anderer Bundesstaaten, die sich stärker in die internationale Klimapolitik einbringen wollen. Darunter sind Oregon oder Hawaii, aber auch Washington und New York. Kalifornien hat 2016 ein Gesetz mit den USA-weit strengsten Treibhausgasauflagen verabschiedet. Der Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase soll bis 2030 um mindestens 40 Prozent verglichen mit 1990 sinken.
Allein sechs große US-Städte haben ein Abkommen unterzeichnet, in dem sie sich zum Pariser Abkommen bekennen - 21 Millionen Menschen leben dort. Unterzeichnet haben etwa die Bürgermeister von New York, Chicago, Orlando und Los Angeles. Sie haben ihr Dekret als offenen Brief 71 Bürgermeistern zur Unterschrift vorgelegt. In Amerikas Städten leben 80 Prozent der Bevölkerung.
Bei Nera dürfte man sich verwundert die Augen gerieben haben. Einerseits, weil die Studie, die bereits im März im Auftrag der US-Handelskammer und eines Thinktanks erstellt wurde, plötzlich so viel Aufmerksamkeit findet. Als Nera sie vor drei Monaten veröffentlichte, interessierte sich kaum jemand für die Schätzung. Schließlich wusste die amerikanische Öffentlichkeit, was von solchen Zahlen zu halten ist.
Nera hat in der Vergangenheit oft für amerikanische Industrieverbände gearbeitet. Auch wenn die Studien meist methodisch solide daher kommen, so ist sich der Leser doch stets bewusst: Hier wird ein Interesse vertreten. So weit, so bekannt. Wenn in Deutschland die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft eine Studie zum Nutzen der Deregulierung veröffentlicht, weiß auch jeder, zu welchem Ergebnis sie wohl kommen wird.
Zahlen beruhen auf vielen Annahmen
So ist es auch in dieser Studie. Nur, dass die diesmal nicht als Basis für eine Lobbykampagne dienen soll, sondern als möglichst objektive Grundlage für einen grundsätzlichen politischen Kurswechsel, wie ihn die USA lange nicht gesehen haben.
Wie wenig das Papier dafür geeignet ist, zeigt sich schon an den wichtigsten Zahlen, die Trump in seiner Rede zitiert. Die 440.000 Industriejobs, die ohne einen Politikwechsel in Gefahr seien, benennen die Nera-Berater als maximales Szenario. Sollten die Folgen weniger drastisch ausfallen, könnten es auch nur 280.000 Jobs sein.
Und selbst diese Zahl, so räumen die Forscher ein, basiert auf einer ganzen Reihe von Annahmen. Denn die Forscher unterstellen nicht nur, dass die von Ex-Präsident Barack Obama eingeführten Gesetze zum Klimaschutz in Kraft blieben. Sie gehen sogar davon aus, dass sie noch verschärft würden, um die Ziele des Abkommens tatsächlich und aufs Jahr exakt zu erreichen. Dabei legen die Berater zugrunde, dass die Regierung wie bisher über direkte Markteingriffe vorgehen werde.
Sie schließen deshalb eine Reihe von Einschränkungen an: Sollte die Regierung anders handeln und zum Beispiel einen Handel mit Emissionszertifikaten einführen, könnte der Effekt durchaus geringer ausfallen. Vor allem aber setzen sie in die Fußnote den Hinweis: „Diese Studie betrachtet nur die Kosten der Emissionsreduktion. Mögliche Verbesserungen, die sich aus der Verminderung der Emissionen ergeben, werden nicht einbezogen.“
Auf diese Details hat auch Trump lieber verzichtet. Stattdessen griff er sich aus den spekulativen Schätzungen noch die drastischste heraus. Bis 2040 würde der Klimaschutz die USA „bis zu drei Billionen Dollar im Jahr kosten, 6,5 Millionen Jobs, 7000 Dollar an Einkommen pro Haushalt“. Wer könnte so ein Abkommen wollen?