Umstrittene Verfassungsreform Tote und Verletzte bei Venezuela-Wahl

Während Präsident Maduro von einem „historischem Tag“ spricht, wird die Verfassungswahl in Venezuela von Todesfällen, Gewalt und Protesten überschattet. Regierungsgegner befürchten eine Diktatur.

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Nach der Explosion eines Sprengkörpers in der Nähe einer Gruppe von Motorradpolizisten zündet die Nationalgarde Motorräder der Presse an. Quelle: dpa

Caracas Überschattet von Todesfällen und Boykottaufrufen der Opposition hat Venezuela erste Schritte für eine Verfassungsreform eingeleitet. 19,4 Millionen Menschen waren am Sonntag zur Wahl der 545 Mitglieder einer Verfassungsgebenden Versammlung aufgerufen. Es wurde damit gerechnet, dass es in dem Gremium eine klare Mehrheit mit Anhängern der Sozialisten von Staatspräsident Nicolás Maduro geben wird. Die Opposition befürchtet nun den Umbau zu einer Diktatur.

Mehrere Menschen starben, darunter ein Kandidat für die Verfassungsversammlung. Wie die Generalstaatsanwaltschaft mitteilte, sei der Anwalt José Félix Pineda im Bundesstaat Bolívar in seiner Wohnung erschossen worden. Pineda galt als Anhänger der Sozialisten. Seit Ausbruch der Proteste Anfang April starben knapp 120 Menschen.

Präsident Maduro gab als einer der ersten seine Stimme ab: „Das ist ein historischer Tag“, sagte er. Es gehe um eine „ruhige Zukunft“. Die Lage war angespannt, Panzerwagen patrouillierten, 232 000 Soldaten sollten die Wahl im Land mit den weltweit größten Ölreserven sichern.

Es gab starke Einschränkungen für die Presse. Rund 5500 Kandidaten bewarben sich - durch den Ausschluss von Parteipolitikern und einen Fokus auf Mitglieder aus Sektoren, die den Sozialisten nahestehen, stieß die Wahl auch im Ausland auf massive Kritik. Mitte der Woche soll die Versammlung ihre Arbeit aufnehmen - und zwar im Gebäude des Parlaments, in dem die Opposition die Mehrheit hat. Es gibt Hinweise, dass diese Verfassungsversammlung das Parlament ersetzen könnte.

Dann wäre die Gewaltenteilung de facto aufgehoben und die Sozialisten hätten wieder die alleinige Macht. Trotz eines Demonstrationsverbots rief das aus rund 20 Parteien bestehende Bündnis „Mesa de la Unidad Democrática“ zu neuen Protesten gegen Maduro auf: „Gegen Diktatur und Verfassungsbetrug“, gab einer der Wortführer, Henrique Capriles, als Motto aus. Aber wegen der massiven Polizeipräsenz gab es kaum Zulauf.

Es gab aber reihenweise Schießereien und Kriegsartige Szenen. Zudem gab es Angriffe auf Wahllokale, Wahlcomputer wurden verbrannt. Wiederholt hatte Maduro deutlich gemacht, dass ihm das seit Anfang 2016 von der Opposition dominierte Parlament ein Dorn im Auge ist.

Gewählt wurden 364 kommunale Vertreter, dazu acht indigene Vertreter und 173 Mitglieder aus Sektoren, die vorwiegend den Sozialisten nahestehen: Arbeiter, Studenten, Rentner, Bauern. Vizepräsident Tareck El Aissami sprach von einer „massiven Beteiligung“.

Bilder zeigten aber viele leere Wahllokale. Die Opposition warnte vor verfälschten Angaben bei der Wahlbeteiligung. Mitte Juli hatten sich in einer Befragung 7,5 Millionen gegen die Reform ausgesprochen. Auf Hunderttausende Arbeiter in staatlichen Unternehmen wurde mit Textnachrichten und Anrufen Druck ausgeübt, an der Wahl teilzunehmen.

Maduro musste viel Spott über sich ergehen lassen - er wollte das funktionierende Wahlsystem demonstrieren und ließ bei seiner Stimmabgabe seinen Ausweis scannen. Nach einigen Sekunden erschien auf der digitalen Anzeige: „Diese Person existiert nicht oder der Ausweis wurde annulliert.“ Das Video verbreitete sich tausendfach in sozialen Netzwerken, verbunden mit harscher Kritik. Durch das Scannen der Ausweise werde kontrolliert, wer wählen gehe und wer nicht.

Die USA drohen mit Wirtschaftssanktionen, sie sind einer der größten Abnehmer des Öls. Auch die EU will das Votum nicht anerkennen. Neben der politischen Krise wird das Land von einer Versorgungskrise erschüttert. Lebensmittel fehlen und es mangelt an Medikamenten. „Verzweifelte Eltern versuchen, ihre Kinder bei Hilfsorganisationen unterzubringen, damit sie dort wenigstens etwas zu essen bekommen“, berichtete der Direktor der SOS-Kinderdörfer in Venezuela, José Luis Benavides. Viele Fluggesellschaften fliegen Venezuela nicht mehr an. Über 140 000 Venezolaner sollen bereits illegal in Kolumbien leben.

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