Umweltministerin Hendricks in Brüssel Die allerletzte Frist

Kurz nach dem Bekanntwerden eines weiteren Skandals in Sachen Diesel, muss Umweltministerin Barbara Hendricks zum Rapport nach Brüssel. Nun hängt es an der SPD-Politikerin, Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof zu bewahren.

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Berlin, Brüssel Barbara Hendricks wusste, was sie in Brüssel erwartet. „Dieses Treffen sollte als letzte Chance dafür angesehen werden, Schritte vorzuweisen, um die Lage zu bereinigen”, hatte EU-Umweltkommissar Karmenu Vella schon in seinem Einladungsschreiben angekündigt. Wenn die Bundesumweltministerin bis dahin nicht neue, verbindliche Maßnahmen vorlege, um die Einhaltung der Schadstoffgrenzwerte in der Luft zu erreichen, werde die Kommission Deutschland vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) bringen.

Neue Maßnahmen, die über die bei zwei Dieselgipfeln beschlossenen hinausgehen aber hatte Hendricks nicht im Gepäck. Es deutet also viel daraufhin, dass die Kommission klagen wird. Noch aber ist nichts entschieden. Vella räumte der Bundesregierung und den anderen betroffenen EU-Staaten eine allerletzte Frist ein: Bis Montag kann sie noch nachliefern, dann wird die Brüsseler Behörde prüfen und wohl über eine Klage entscheiden. Das einzige, was ihn davon abhalten könne, seien Maßnahmen um die Grenzwerte „ohne Zeitverzug zu erreichen“, sagte Vella. Hendricks rüstet sich bereits für den Gang vor den EuGH: „Ich halte es für durchaus möglich, dass die EU-Kommission klagt“, sagte sie. Vella hatte schon zuvor durchblicken lassen, dass er die bisher in Deutschland beschlossenen Aktionspläne für unzureichend hält um die Luftqualität ausreichend zu verbessern.

Im August hatten sich die Autokonzerne verpflichtet, bis Ende 2018 mehr als fünf Millionen Diesel-Fahrzeuge der Emissionsklassen Euro fünf und Euro sechs mit einem Software-Update nachzurüsten, um den Ausstoß von Stickoxiden zu senken. Über Umstiegsprämien für Kunden sollen alte Fahrzeuge aus dem Verkehr gezogen werden. Die betroffenen Kommunen sollen eine Milliarde Euro von Bund und Industrie erhalten, um etwa die Busflotten zu elektrifizieren und den Verkehrsfluss mit technischer Hilfe verbessern zu können.

Hendricks verwies darauf, dass die Stickoxid-Belastung in allen betroffenen Städten 2017 gesunken sei, wenn auch nur leicht. Statt 90 hätten nur noch 70 Städte über dem EU-Grenzwert gelegen. „Wir sind noch nicht am Ende des Weges, aber die Richtung stimmt – und wir nehmen Tempo auf“, so Hendricks.

Die Umweltministerin drängt selbst darauf, die Diesel-Fahrzeuge technisch nachzurüsten. Gegen teure Hardware-Umbauten aber gibt es Widerstand in Kabinett und Industrie. Die Bundesregierung prüfe solche Maßnahmen derzeit, sagte Hendricks, in den kommenden Wochen werde es eine Klärung geben. Um den Gang vor den EuGH zu vermeiden, komme das aber zu spät. Sie werde das Thema gegenüber der Kommission nicht abschließend ansprechen können. „Wir haben da nun einiges erlebt - von betrügerischer Software über mehrere Kartellabsprachen bis zu diesen unethischen Versuchen. Niemand, der der Autoindustrie bewusst schaden will, könnte so viel Schaden anrichten, wie die es selbst machen“, so Hendricks.

Umweltschützer halten eine Klage der Kommission für überfällig: „Barbara Hendricks kommt ohne Antwort für Deutschlands Luftprobleme nach Brüssel“, sagte Greenpeace-Verkehrsexperte Benjamin Stephan. Um eine Klage komme die EU-Kommission kaum herum. Die Behörde hat Verfahren wegen Verletzung der EU-Verträge gegen Deutschland und etliche andere Mitgliedsstaaten angestrengt, neun mussten am Dienstag in Brüssel antreten, darunter Frankreich, Italien und Großbritannien. Die EU-Grenzwerte für Stickoxid gelten bereits seit 2010, jene für Feinstaub sogar schon seit 2005.

Union und SPD wollen Fahrverbote in Städten wie München oder Stuttgart unbedingt vermeiden. Am 22. Februar wird sich das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig mit der Frage beschäftigen, ob diese ein adäquates Mittel zur Verbesserung der Luftqualität sind. Entsprechend steigt die Nervosität. Der Verband der deutschen Automobilindustrie (VDA) kündigte am Dienstag eine weitere Initiative zur Luftreinhaltung in Städten an. Ziel sei es, gemeinsam mit den betroffenen Städten zu prüfen, welche Maßnahmen auf den Weg gebracht, beschleunigt oder verstärkt werden können und welchen Beitrag die ‎Automobilindustrie dabei leisten könne, heißt es in einer Mitteilung des Verbandes.

So wird beispielsweise mit Berlin oder Hamburg geprüft, wie die Elektrifizierung von Fahrzeugflotten beschleunigt werden kann. Zudem geht es um Projekte zur Verbesserung des Verkehrsflusses. Projekte zur Digitalisierung werden mit Düsseldorf, Dortmund, Hamburg, Reutlingen oder Stuttgart diskutiert.

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