Unklare Mehrheitsverhältnisse Wieso einer der beiden italienischen Wahlsieger nachgeben muss

Italiens Parteien stecken bei der Regierungsbildung in der Pattsituation. Nun beginnen endlich die vermutlich zähen Verhandlungen. Das schadet vor allem der Wirtschaft.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Rom Das Ritual, das am morgigen Mittwoch in Rom startet, ist bereits hundertmal durchgespielt worden in einem Land, dass seit Kriegsende 66 Regierungen hatte: Am Mittwoch und Donnerstag empfängt Staatspräsident Sergio Mattarella im Quirinalspalast eine Delegation von Politikern nach der anderen, um sich ein Bild über mögliche Mehrheitsverhältnisse im Parlament zu machen. Er hat 48 Stunden Zeit für Beratungen.

Es ist die Aufgabe des italienischen Staatschefs, einem Politiker den Auftrag zur Bildung einer Regierung zu geben. Doch das wird er erst tun, wenn er davon ausgehen kann, dass dieser eine Mehrheit im Parlament erhält.

Doch danach sieht es einen Monat nach der Wahl nicht aus.

Keine Partei konnte bei der Wahl am 4. März genug Stimmen für eine regierungsfähige Mehrheit holen. Den beiden Wahlsiegern, der Bewegung Fünf Sterne und der Lega, reichen die eigenen Stimmen nicht, sie müssen koalieren. Aber das wollen sie nicht.

Luigi Di Maio, Chef der stärksten Partei Fünf Sterne, will Premier werden. Er beruft sich auf „den Willen der Bürger“, auf elf Millionen Italiener, die ihn gewählt hätten. Ihm fehlen rund 90 Abgeordnete für eine Mehrheit.

Dazu sagt die Lega „Nein“ und beruft sich darauf, dass Matteo Salvini an der Spitze des stärksten Parteienbündnisses von Mitte-rechts das Anrecht habe, Premier zu werden. „Ich werde Präsident Mattarella sagen, dass wir bereit sind“, schrieb er auf Facebook. Bisher kommunizieren Di Maio und Salvini nur über Bande miteinander, zu einem Vier-Augen-Gespräch ist es noch nicht gekommen. Die Situation ist verfahren. Der Stillstand verfestigt sich.

Experten in Rom halten es für wahrscheinlich, dass es diese Woche noch keinen Fortschritt gibt und es nächste Woche weiter beraten wird. „Das kann noch Wochen dauern“, lässt ein Berater des Präsidenten durchblicken. Einer der beiden müsse nachgeben – ohne Gesichtsverlust. Das sei das Problem.

Finanzplanung ohne politische Impulse

Doch die Zeit für wirtschaftspolitische Weichenstellungen läuft. Ende April muss die mittelfristige Finanzplanung durchs Parlament sein und an die EU-Kommission gesendet werden. Dort hat man zwar bereits signalisiert, dass man Italien mehr Zeit geben will, aber nicht automatisch mehr Flexibilität.

Die Fünf Sterne und die Lega haben sich noch nicht geäußert, wie sie das Paket angehen wollen, in dem eine Erhöhung der Mehrwertsteuer für 2019 eingepreist ist. Die zu vermeiden, was beide wollen, würde 12,5 Milliarden Euro kosten, hat die Zeitung „Il Fatto quotidiano“ ausgerechnet.

Hinzu kommt, dass die Wahlsieger ihre Versprechungen eines allgemeinen Grundeinkommens und einer so genannten „Flat tax“ umsetzen wollen. Beides muss finanziert werden. Hinzu kommen die Probleme mit der krisengebeutelten Fluggesellschaft Alitalia und die Zukunft der mit Staatsgeldern geretteten Bank Monte dei Paschi. Ohne neue Regierung herrscht auch hier Stillstand.

Nach jetzigem Stand wird der noch amtierende Wirtschafts- und Finanzminister Pier Carlo Padoan eine Finanzplanung im Parlament und in Brüssel auf der Basis der bisherigen Prognosen vorlegen. Doch politische Impulse werden fehlen.

Der erste Tag der Konsultationen am Mittwoch ist unspektakulär, wenn Mattarella die Parlamentspräsidenten und seinen Vorgänger Giorgio Napolitano empfängt. 

Spannend wird es am Donnerstag, wenn die Delegationen der großen Parteien vorsprechen: erst die Noch-Regierungspartei PD, die in der Opposition bleiben will, dann die Delegation von Forza Italia mit Silvio Berlusconi persönlich, schließlich die Lega und am Ende die Bewegung Fünf Sterne.

Die Lega hatte bei der Wahl Silvio Berlusconis Forza Italia überholt, liegt aber allein nur bei 17 Prozent. Noch hält das Bündnis. Aber eine Regierung Salvini würde auch die Beteiligung von Silvio Berlusconi bedeuten.

Dagegen hat die Partei Fünf Sterne ein Veto eingelegt.

Einfach lässt sich die politische Krise also nicht lösen: Würde es jetzt Neuwahlen geben, würden die beiden Sieger gestärkt und die Patt-Situation bliebe bestehen, ergab eine Meinungsumfrage des Instituts Ipsos für die Zeitung „Corriere della Sera“. Bleiben also erstmal zähe Verhandlungen und politischer Stillstand.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%