Uno Keine Heilige Kuh, eher ein Rindvieh

Die Uno gilt bis heute als Instanz des Guten und als Wertverteidiger der Internationalen Gemeinschaft. Doch unter ihrem Deckmantel wird geraubt und vergewaltig. Sie ist längst mehr Problem als Lösung. Ein Gastbeitrag.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Die Internationale Gemeinschaft gilt vielen als heilige Kuh, dabei ist sie eher ein Rindvieh. Quelle: dpa

Wer Werte in der Weltpolitik fordert, beruft sich fast immer auf „die Internationale Gemeinschaft“. Das klingt fabelhaft weltoffen, weltbürgerlich und hochmoralisch. Keiner weiß, keiner soll wissen, was genau inhaltlich darunter zu verstehen ist.

Wer dazugehört, muss gar nicht benannt werden. Allein ein Signal ist für die gedachten Empfänger entscheidend: „Wenn du zustimmst oder gar mitmachst, bist du dabei. Du schwimmst im Hauptstrom.“

Im Klartext: Die Vokabel „Internationale Gemeinschaft“ ist demnach nichts Anderes als, neudeutsch, politisches „Mainstreaming“. Früher sprach man eher vom „Mitläufertum“. Das wiederum ist eine gar schreckliche Vokabel. Sie erinnert an das Nazi-Drittreich und schlägt den Bogen zur Gegenwart, also zu uns.

Wer in und mit der Internationalen Gemeinschaft denkt und fühlt, gehört zum Hauptstrom der Guten. Wenn er oder sie dabei nicht mitmacht oder auch nur mitläuft, mitdenkt, mitfühlt, gehört eben nicht zu den Guten. Er entzieht sich selbst der Gemeinschaft, und er ist auszuschließen. Wer will das? Kaum jemand, denn schon die alten Griechen wussten, dass der Mensch ein „zoon politikon“ ist, will sagen: ein soziales Wesen.

Das bedeutet:  Der Mensch an sich hat „Isolationsangst.“ So heißt das im modernen Fachjargon. Wer will, wer kann isoliert sein? Die Wenigsten. Das ist verständlich, denn wir sind eben alle Menschen, also solche schwach und fürchten, isoliert zu sein.

Folglich sind wir Mitläufer, und die Grundtatsache des menschlichen Seins wird politisch so oder so gebraucht. Mal gebraucht, mal missbraucht.

Für die Internationale Gemeinschaft, fürs Gute an sich also, wird sie gebraucht und – versteht sich – nicht missbraucht. Basta. Eine Ergänzungs- oder Ersatzvokabel für die International Gemeinschaft sind die „Vereinten Nationen“, ist die Uno. Sowohl Uno als auch und erst recht die Internationale Gemeinschaft sind bei uns Heilige Kühe.


Zusammenarbeit nur wenn notwendig

Wer will, der kann sich unter der Uno sehr konkret vorstellen, von wem oder was die Rede ist. Dabei wird die Verlogenheit des vermeintlichen Guten jedermann schnell erkennbar. Die meisten wollen es nicht, denn der Ruf der Uno ist so gut, dass sie sich nicht aus der Gemeinschaft der Guten herauskatapultieren wollen. Verständlich, denn wer will Vereinzelung wagen?

Man verschließt die Augen davor, dass die Uno oft das Problem und nicht die Lösung ist: Vergangene Woche veranstaltete sie in der Türkei eine große Hilfskonferenz für Flüchtlinge. Hausherr war Präsident Recep Tayyip Erdogan. Unter anderem seiner anfänglichen Unterstützung des Islamischen Staates verdanken Millionen Flüchtlinge ihr Schicksal. Im Kongo soll die Uno Frieden stiften. Nicht wenige ihrer Soldaten plündern, rauben und vergewaltigen – ebenso in der Zentralafrikanischen Republik. In Ruanda hat sie 1994 den Völkermord an den Tutsi und 1995 den Massenmord von Srebrenica  überhaupt erst ermöglicht.

Zur Internationalen Gemeinschaft beziehungsweise Uno, also zur vermeintlichen Welt-Werte-Ordnung, gehören nicht nur die Demokratien der Europäischen Union oder der (meisten) Nato-Staaten, sondern Diktaturen, autoritäre Regime oder „Gottes“-Staaten, mit denen die meisten von uns sich, gottlob, eben nicht identifizieren möchten, wenn sie wissen, von wem oder was die Rede ist.

Zusammenarbeit? Ja, wo und wenn notwendig. Aber moralische Instanz, Weltgewissen, Weltwerte? Nein, wenn man an die große Mehrheit und manche Großen der Internationalen Gemeinschaft denkt: Russland, China, Assads Syrien, die demokratisch bestimmte Schiiten-Diktatur des Irak, Iran, Saudi-Arabien, die meisten Nachfolgestaaten der Sowjetunion oder Afrikas. Die Internationale Gemeinschaft ist der Bock als Gärtner.

Wer mitdenkt und nicht nur mitläuft, sagt „Ja“ zu den Menschen- und Bürgerrechten wie wir sie seit der Amerikanischen Revolution von 1776 und der Französischen seit 1789 kennen. Diese vermeintlich nur westlichen Werte sind Menschheitswerte. Sie sind sozusagen die Zehn Gebote einer Welt-Werte-Ordnung. Sie sind die Grundlage der Menschlichkeit und damit der Demokratie. Wer jedoch der Internationalen Gemeinschaft nach- und mitläuft, denkt weder mit noch nach und unterwirft sich, unter dem Deckmantel der Moral, der Unmoral. Man kann es auch grob sagen: Die Internationale Gemeinschaft ist keine Heilige Kuh, eher ein Rindvieh.

Prof. Dr.  Michael Wolffsohn ist Historiker und Publizist. Soeben erschien sein neuestes Buch „Zivilcourage, Wie der Staat das Leben seiner Bürger riskiert“, München, dtv, € 7.90; zuvor „Zum Weltfrieden“, München, dtv 2015

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%