
Zwei Monate verschaffte eine Feuerpause Syrien eine kleine Verschnaufpause, doch droht die Gewalt nun mit umso größerer Wucht zurückzukehren. Aktivisten melden wieder heftige Kämpfe, Tote und eine Mobilmachung der Regierungstruppen, vor allem rund um Aleppo im Norden des Landes. Die Hoffnung auf eine diplomatische Lösung ist in weite Ferne gerückt: Die Friedensgespräche in Genf sind erlahmt, UN-Vermittler Staffan de Mistura bat die USA und Russland zuletzt inständig um Hilfe bei der Wiederbelebung der Verhandlungen.
Längst scheinen in dem Bürgerkriegsland aber wieder die Waffen zu regieren. Allein vergangene Woche sollen rund 200 Zivilisten ihr Leben verloren haben, fast die Hälfte in Aleppo und Umgebung. Am Donnerstag berichteten der Opposition nahestehende Aktivisten von einer Serie von Luftangriffen auf ein Krankenhaus in der einst blühenden Wirtschaftsmetropole, denen mindestens 20 Menschen zum Opfer gefallen seien.
Zudem gab es Berichte über Bombardements in Damaskus und eine Explosion einer Autobombe - beides eigentlich Raritäten in der Hauptstadt. „In den vergangenen 48 Stunden ist durchschnittlich alle 25 Minuten ein Syrer getötet und alle 13 Minuten ein Syrer verletzt worden“, klagte de Mistura am Mittwochabend.
Aus welchen europäischen Ländern radikale Islamisten kommen
Das "International Centre for Study of Radicalisation and Political Violence" (ICSR) hat in Kooperation mit der Münchener Sicherheitskonferenz für 50 Länder ausgewertet, wie viele Bürger aus den jeweiligen Staaten nach Syrien oder in den Irak gezogen sind, um sich militanten Gruppen anzuschließen. Die Daten für die einzelnen Länder beziehen sich auf die zweite Hälfte des Jahres 2014. Aus Westeuropa – so wird geschätzt – sind mittlerweile 4000 Kämpfer vor Ort. Ende 2013 waren es nicht einmal halb so viele. Geordnet werden die Länder nach der Anzahl der Kämpfer pro eine Million Einwohner.
Circa 80 Kämpfer im Irak und in Syrien stammen aus Italien. Das macht 1,5 Kämpfer pro eine Million Einwohner.
Zwischen 50 und 100 Spanier haben sich militanten Gruppen angeschlossen. Auf eine Million Einwohner kommen damit rund zwei Kämpfer.
Das ICSR schätzt die Zahl der Schweizer Kämpfer auf 40. Damit sind fünf Schweizer pro eine Million Einwohner nach Syrien oder in den Irak gezogen.
Aus Irland stammen rund 30 Kämpfer. Das entspricht sieben pro eine Million Iren, die sich militanten Gruppen angeschlossen haben.
Aus Deutschland kommen 500 bis 600 Menschen, die in Syrien und im Irak kämpfen. Damit gehört das Land zu der Gruppe europäischer Länder, aus denen insgesamt die meisten stammen. Pro eine Million Einwohner macht das 7,5.
Die gleiche Zahl an Kämpfern, 500 bis 600, stammt aus Großbritannien. Auf die Zahl der Einwohner heruntergerechnet sind es 9,5 pro eine Million.
60 Menschen, die im Irak oder in Syrien kämpfen, kommen aus Norwegen. Auf eine Million Einwohner heruntergerechnet, sind das zwölf Kämpfer.
Für Finnland schätzt das ICSR die Zahl derer, die nach Syrien oder in den Irak gezogen sind, auf 50 bis 70. Das entspricht 13 Kämpfern pro eine Million Einwohner.
Die Zahl der Niederländer, die in den Krieg gezogen sind, liegt zwischen 200 und 250. Heruntergerechnet auf eine Million Einwohner sind das 14,5 Kämpfer.
Aus Österreich ziehen zwischen 100 und 150 Radikale nach Syrien oder in den Irak. Pro eine Million Einwohner sind das 17.
1200 Kämpfer im Irak und in Syrien stammen aus Frankreich. Damit kommen die meisten Europäer dort aus Frankreich. Weltweit kommen nur aus Jordanien, Marokko, Saudi-Arabien und Tunesien mehr. Auf eine Million Einwohner heruntergerechnet macht das 18.
Zwischen 150 und 180 Schweden kämpfen als Extremisten. Pro eine Million Einwohner sind das 19.
Dänemark gehört zu den Ländern mit einem der größten Probleme, was radikale Islamisten angeht. Zwischen 100 und 150 Dänen sind nach Syrien oder in den Irak gezogen, um zu kämpfen. Das entspricht 27 Kämpfern pro eine Million Einwohner.
Pro eine Million Einwohner in Belgien sind 40 in den Irak oder nach Syrien gezogen. Insgesamt sind es 440.
Im Mittelpunkt der nächsten Phase des Krieges dürfte nach wie vor Aleppo stehen. Die Konfliktparteien bereiteten sich nun auf eine Großschlacht um die Stadt vor, meldeten führende Aufständische und oppositionelle Aktivisten der Nachrichtenagentur AP. Dschamil Saleh, Kopf der Rebellensplittergruppe Tadschammu Alessah, weiß davon zu berichten, dass die syrischen Regierungstruppen ihre Soldaten mobilisierten, Ausrüstung und Munition für eine militärische einsatzbereit machten. Seine vornehmlich in Hama und Latakia aktive Gruppe habe daher Kämpfer nach Aleppo geschickt, um den Rebellen dort bei der Abwehr der Offensive zu helfen, sagte er. Aktivisten bestätigen, dass sich rund um Aleppo etwas zusammenzubrauen scheint. Sie hätten erst kürzlich eine umfangreiche Verlegung von Einheiten der syrischen Armee und mit ihr verbündeter Milizen vom zentralen Palmyra in die Umgebung Aleppos beobachtet. Ein am Rande Aleppos lebender Aktivist, Naseer al-Chatib berichtet, der Stadt würde durch die Gefechte förmlich die Luft abgeschnürt. Regierungstruppen und mit ihr verbündete Einheiten rückten über die Hauptstraße an von Aufständischen gehaltene Gebiete heran. Somit sei die einzige Verbindung zum Rest des Landes blockiert.
Längst retten sich Bewohner Aleppos in ländliche Gebiete. In die Flucht treibt sie nicht nur die nackte Angst vor der Gewalt, sondern auch die Sorge, in einem Ort mit Lebensmittelengpässen und steigenden Preisen festzusitzen.
Getötete und gefangen genommene Top-Terroristen
US-Eliteeinheiten töten nach Pentagon-Angaben einen ranghohen Anführer der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien. Der Mann mit dem Kampfnamen Abu Sajjaf sei für Öl-, Gas- und andere finanzielle Operationen des IS zuständig gewesen.
Aden Garer, März 2015: Bei einem US-Drohnenangriff in Somalia wird der mutmaßliche Drahtzieher der Terrorattacke auf das kenianische Einkaufszentrum Westgate, ein Mitglied der radikalislamischen Al-Shabaab-Miliz, getötet.
Der Anführer der Al-Shabaab-Miliz stirbt infolge eines gezielten amerikanischen Raketen-Angriffs in Somalia.
Der Führer der libyschen Islamistengruppe Ansar al-Scharia wird fast zwei Jahre nach dem tödlichen Angriff auf das US-Konsulat in Bengasi als mutmaßlicher Drahtzieher des Anschlags von einem US-Kommando gefasst.
Ein US-Kommando überwältigt den als Spitzenmann der Al-Kaida gesuchten Libyer vor seinem Haus in der Hauptstadt Tripolis. Er wurde im Zusammenhang mit den Angriffen auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania 1998 gesucht. Er stirbt im Januar 2015 kurz vor Beginn seines Prozesse in New York.
Nach fast zehnjähriger Jagd erschießen US-Elitesoldaten bei einer Kommandoaktion in der pakistanischen Stadt Abbottabad den meistgesuchten Terroristen der Welt.
Für die Menschen ist es eine Art Déjà-vu. Aleppo war schon Ziel einer beinahe erfolgreichen Offensive der Regierungstruppen auf die von Rebellen gehaltenen Viertel, ehe die USA und Russland am 27. Februar die Waffenruhe eingefädelt hatten. Die Feuerpause hielt überraschend gut, was als Zeichen der Erschöpfung aller Seiten gedeutet wurde. Offiziell wurde das Schweigen der Waffen zwar als „Einstellung der Feindseligkeiten“ tituliert, hatte jedoch nie umfassenden Charakter, weil Extremistengruppen wie die Terrormiliz Islamischer Staat und deren Rivale, der Al-Kaida-Ableger namens Nusra-Front, von dieser Vereinbarung ausgenommen waren. Und die Präsenz der Nusra-Front in so gut wie allen umkämpften Gebieten Syriens erlaubte es Assads Truppen und seinem Verbündeten Russland, auch von der Opposition gehaltene Areale ins Visier zu nehmen. Gleichzeitig ließ sich behaupten, dass die Feuerpause technisch gesehen nicht verletzt worden sei.
Mit der Zeit war von der Waffenruhe nicht mehr viel übrig, beide Konfliktparteien warfen sich immer mehr Verstöße vor, vor allem im strategisch so wichtigen Aleppo. Nun könnte es zu einem zermürbenden Kampf um die Stadt kommen - mit dramatischen Folgen: Beobachter rechnen mit zahlreichen Toten und einer neuen Welle von Flüchtlingen. Hinter vorgehaltener Hand wird auch über eine Einmischung von Saudi-Arabien und der Türkei gemunkelt, die als wichtigste Stützen der Aufständischen gelten. Riad und Ankara könnten ihnen in Anbetracht der verpuffenden Genfer Friedensgespräche wieder Waffen zukommen lassen. Noch hofft der UN-Sondergesandte de Mistura zwar auf eine Fortsetzung der Verhandlungen im Mai und deren Fortdauern bis Juli. Vorher müsse aber die Gewalt zurückgehen, mahnt er.
Firas Abi Ali, Chefanalyst der Denkfabrik IHS Country Risk, zeigt sich jedoch wenig optimistisch. Eine Offensive auf Aleppo berge auch das Risiko, dass sich die syrische Opposition dort wieder mit Gruppen wie der Nusra-Front zusammentun könnte. Wahrscheinlicher würde auch eine Kooperation der Nusra-Front mit dem IS, um Ortschaften südlich von Aleppo einzunehmen, die für die Versorgung der Assad-Truppen bedeutsam seien.
Auch Hilal Chaschan von der Amerikanischen Universität in Beirut, zeichnet ein düsteres Bild. „Die Kämpfe werden schlimmer werden“, prophezeit er. „Ich denke, wir werden eine Eskalation erleben, ehe ernsthafte Friedensgespräche beginnen.“