Unter Quarantäne im Land der Inkas, Teil 3 „Heiko, hol uns hier raus!“

Wirtschaftswoche-Redakteur Bert Losse und seine Reisegruppe sitzen in den peruanischen Anden im Hotel fest. Ausgangssperre.

WirtschaftsWoche-Redakteur Bert Losse steht mit einer deutschen Reisegruppe unter Corona-Quarantäne in den peruanischen Anden. Die Lage für die Gestrandeten wird immer dramatischer. Das Rückholprogramm der Bundesregierung kommt dort bislang nicht an.

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Das hat uns gerade noch gefehlt: Plötzlich beginnt der Holztisch in unserem Hotelzimmer zu wackeln und die darauf abgestellte Wasserflasche begibt sich auf Wanderschaft. Ein leichtes Erdbeben der Stärke 3,5 vermelden die Experten nachher. Das bringt zwar in der Andenstadt Cusco, in der ich mich gerade mit einer Reisegruppe zwangsweise befinde, nichts zum Einsturz. Es trägt aber wahrlich nicht zur Stabilisierung unseres angegriffenen Nervenkostüms bei.

Heute ist Tag neun unserer Gefangenschaft in Cusco. Peru hat beim Kampf gegen das Coronavirus das gesamte Land unter Quarantäne gestellt. Rund 4000 deutsche Touristen sitzen nun in dem südamerikanischen Land fest. Es herrscht strenges Ausgehverbot. Auf den Straßen patrouillieren Polizei und Militär. Unsere Reisegruppe, mittlerweile auf 20 Personen angewachsen, darf das Hotel nicht verlassen.

Noch herrscht in unserer Gruppe zwar prinzipielles Verständnis für den kompromisslosen Kurs, mit dem Präsident Martín Vizcarra sein Land vor dem Coronavirus schützen will. Die Zahl der Infizierten in Peru ist bisher vergleichsweise gering. Zugleich aber wächst bei vielen von uns die Wut, wie mit Gästen umgesprungen wird, die mit großer Sympathie in dieses wunderbare Land gereist sind – und, by the way, jährlich über 4,6 Milliarden US-Dollar ins Land bringen. Wenn Peru der Ansicht ist, dass von uns Touristen eine signifikante Coronagefahr ausgeht, sollte die Regierung doch heilfroh sein über jeden Ausländer, der das Land in Richtung Heimat verlässt.

WirtschaftsWoche-Redakteur Bert Losse ist mit einer Reisegruppe in den peruanischen Anden gestrandet. Für ihn gilt wie für ganz Peru eine Ausgangssperre. Ein persönlicher Erlebnisbericht aus dem Coronavirus-Exil.
von Bert Losse

Stattdessen hat die Regierung den zivilen Bereich des (pikanterweise von der deutschen Fraport AG mitbetriebenen) Flughafens Lima komplett gesperrt. Flüge sind nur noch über den militärischen Teil des Airports möglich. Das große Rückholprogramm für im Ausland gestrandete Deutsche, für das sich die Bundesregierung feiert, geht daher bisher an Peru völlig vorbei. Stattdessen lassen sich Deutschland und die gesamte Europäische Union von der peruanischen Regierung am Nasenring durch die diplomatische Arena ziehen. Während etwa Israel und Mexiko ihre Landsleute in kürzester Zeit zurückgeholt haben, ist das Auswärtige Amt (AA) vor allem damit beschäftigt, Listen zu erstellen und über die Deutsche Botschaft in Lima Durchhalteparolen zu verbreiten. Weil das Krisenvorsorgesystem „Elefand“ der Bundesregierung überlastet ist, kommuniziert das Auswärtige Amt mit den gestrandeten Peru-Urlaubern mittlerweile über: Facebook!

Eigentlich sollte am Montag eine erste Lufthansa-Maschine in Lima deutsche Touristen aufnehmen. Doch sie erhielt von Peru, in dem das Militär zunehmend in den Vordergrund rückt, keine Landeerlaubnis. Ein Umstand, der die deutsche Botschaft in Lima und die gesamte deutsche Diplomatie offenbar völlig überrumpelte. Die Deutsche Botschaft in Lima teilt nun mit: „Wir arbeiten mit hohem Einsatz daran, von den peruanischen Behörden die Genehmigung für Rückholflüge nach Deutschland zu bekommen und diese vorzubereiten. Bis es soweit ist, bitten wir weiter um Ihre Geduld.“ Immerhin hat es gestern ein Telefonat von AA-Staatsminister Niels Annen (SPD) mit dem peruanischen Vize-Außenminister Jaime Pomareda gegeben, der „größtmögliche Unterstützung“ angeboten haben soll.

Guten Appetit: Das Geschirr im Frühstücksraum des Hotels trägt den passenden Namen.

Doch bisher hat nur eine Sache perfekt geklappt: die Übermittlung der „Erklärung gemäß Paragraph 6 Konsulargesetz“ an die gestrandeten Urlauber. Darin muss man sich gegenüber der deutschen Regierung verpflichten, sich an den Kosten seiner Rückholung zu beteiligen. Pro Person werden wohl zwischen 800 und 1000 Euro für den Flug Lima-Frankfurt fällig (so es ihn denn jemals geben wird). Gerade für Rucksacktouristen und junge Reisende ist das viel Geld. Falls diesen Text ein Reiserechtler liest: Kann man sich das Geld vom Reiseveranstalter oder seiner ursprünglichen Fluglinie zurückholen? Wir alle hier haben gültige und bezahlte Rückflugtickets. Nur gibt es diese Flüge eben nicht mehr.

Unsere Lage im Coronaknast wird derweil immer absurder – und belastender. Bislang gab es morgens im Essraum des Hotels ein kleines Frühstück und ein vom Reiseveranstalter organisiertes Mittagessen. Diese Treffen waren extrem wichtig, um unsere zusammengepferchte Gruppe psychisch zu stabilisieren. Die Stimmung war daher trotz der angespannten Lage einigermaßen gefasst, wir trafen uns zu Gesellschaftsspielen; Punkt 16 Uhr gab es jeden Tag eine Skatrunde. Doch soeben hat uns das Hotel mitgeteilt: Der Essraum wird auf Anweisung der Regierung geschlossen. Lebensmittel werden ab sofort vom Hotel auf die Zimmer gebracht. Wahrscheinlich werden im nächsten Schritt auch noch die Zimmer abgeschlossen. Oder man verbietet uns den Besuch des kleinen Innenhofs, in dem eine Mitreisende, gelernte Physiotherapeutin, heute eine Fitness-Einheit für die Gruppe angeboten hat.

Da kann man nur sagen und bitten: Lieber Heiko Maas, hol uns hier raus!

Blick auf den „Gefängnishof“: In diesem kleinen Areal spielt sich seit acht Tagen das soziale Leben der gestrandeten Reisegruppe ab.

Es wird noch immer verrückter: Im Netz kursiert die Nachricht, dass sich Touristen bei etwaigen Transporten nur mit Schutzmaske in Busse oder Flugzeuge begeben dürfen. Wie zum Teufel soll unsere Gruppe an solche Masken kommen? Wir dürfen unser Hotel ja nicht verlassen und das Hotel teilt uns mit, in den Apotheken von Cusco seien die Schutzmasken derzeit ausverkauft. Nur ein einziges Mitglied der Gruppe hat eine (freilich völlig wirkungslose) Maske: Das bin ich. Unter dem Spott meiner Frau hatte ich vor der Reise eine uralte im Baumarkt gekaufte Anti-Staub-Maske für Schleifarbeiten in den Koffer gepackt.

Über diverse Facebook- und WhatsApp-Gruppen der in Peru gestrandeten Deutschen werden nun Videos geteilt, wie man sich eine Schutzmaske selbst bastelt, unter anderem aus Kopftüchern und Babywindeln. Man stelle sich diese Szene vor: Polizei und Militär halten einen Touristenbus auf dem Weg zum Flughafen an – und blicken auf 20 Erwachsene, deren Kopf in einer Windel steckt.

WirtschaftsWoche-Redakteur Bert Losse steht in Peru unter Corona-Quarantäne. Die Kontrollen werden immer strenger. Die Polizei macht uns klar: Ab sofort ist unser Hotel ein Gefängnis. Keiner darf mehr raus.
von Bert Losse

Angesichts unserer prekären Lage denkt die Tochter eines Mitreisenden darüber nach, vor der peruanischen Botschaft in Berlin eine Demo zu organisieren, uns ausreisen zu lassen. Keine schlechte Idee! Sie dürfte nur an den neuen Bestimmungen in Deutschland scheitern, die Menschenansammlungen in Zeiten von Corona verbieten.

Außer uns 20 Deutschen ist im Hotel noch ein völlig verzweifeltes Paar aus Italien untergebracht. Es hat von der italienischen Botschaft in Lima den Rat erhalten, abzuwarten und „auf Gott zu vertrauen“.

Leider nur fliegt Gott keine Flugzeuge.

Kein Tourist darf auf die Straße: Hier lesen Sie Teil 2 des Erfahrungsberichts von WiWo-Redakteur Bert Losse.

Gefangen im Paradies: Hier lesen Sie Teil 1 von Bert Losses Erfahrungsbericht.

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