Unter Quarantäne im Land der Inkas, Teil 4 Frau Merkel, übernehmen Sie!

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Das Verhalten mancher deutscher Touristen lässt einen verzweifeln

Aber warum nur? Bei allem Respekt vor dem radikalen Kurs, mit dem Präsident Vizcarra die Verbreitung des Virus in seinem Land unterbinden will: Für bürokratische Hürden ist nicht das Coronavirus verantwortlich. Bisweilen hat es den Anschein, die peruanische Regierung spiele mit den deutschen Diplomaten Katz und Maus. Offenbar werden immer wieder versprochene Landegenehmigungen von den Behörden nicht erteilt. „Leider werden uns des häufigeren Knüppel zwischen die Beine geworfen“, schreibt die deutsche Botschaft in ungewöhnlicher Offenheit in einer Rundmail an die gestrandeten Deutschen. Bei den beiden nun durchgeführten Flügen etwa habe es zunächst „absurde Zeitfenster“ gegeben, die „mit internationalen luftfahrrechtlichen Regelungen nicht in Einklang zu bringen waren“.

Das logistische Problem: Nach Schließung des zivilen Flughafens von Lima ist nur noch der militärische Bereich des Airports nutzbar. Jeder Flugwunsch muss nun zunächst beim peruanischen Außenministerium angemeldet werden, die Genehmigung hingegen erteilt die dem Verteidigungsministerium unterstehende Zivilschutzbehörde Indeci.

Und auch dies gehört zur Wahrheit: Das Verhalten mancher deutscher Touristen lässt einen schier verzweifeln. Bei den beiden bisherigen Rückholflügen von Lima nach Frankfurt sagten überraschend Viele, die einen der begehrten Plätze erhielten: „Nein danke, wir wollen doch nicht mit“. Dadurch mussten Mitarbeiter der Botschaft laut Botschafter Stefan Herzberg „bis in den frühen Morgen Nachrückerlisten abarbeiten und konnten trotzdem nicht alle Plätze füllen“. Herzberg ist verärgert: „Das Rückholprogramm der Bundesregierung ist kein Wunschkonzert.“ Liebe Landsleute, ganz ehrlich: Wer sich in dieser Krisenlage „nur mal so“ in das Rückholprogramm einträgt und damit dessen Umsetzung verzögert, handelt schlicht asozial!

Und wie geht es uns persönlich in dem psychosozialen Großversuch, rund 20 Menschen, die sich vorher nur ein paar Tage kannten, zusammen in einem Hotel einzusperren? Wir versuchen, den gleichförmigen Tagen eine Struktur zu geben. Der Wochentag spielt keine Rolle mehr. Unser Refugium und unsere Kommunikationszentrale ist der kleine Innenhof des Hotels. Dort treffen wir uns jeden Morgen nach dem Frühstück, wenn für vier Stunden die heiße Andensonne in das kleine Areal knallt. Unsere Mitreisende Alina, gelernte Physiotherapeutin, zieht hier Punkt elf Uhr ein derart straffes Fitness- und Rückentraining durch, dass aus der Gruppe die Empfehlung kommt, sie möge sich beim peruanischen Militär bewerben, Abteilung Flughafensicherung. Andere Mitreisende haben einen Jogging-Parcours entworfen, der über die Treppen von drei Etagen quer durch die Empfangshalle und den stillgelegten Speisesaal nach draußen führt (und zurück, das ganze mindestens drei Mal). Unter den belustigten Blicken des Hotelpersonals rennen nun Touristen in kurzer Hose und T-Shirt schwitzend und hechelnd (wir sind auf 3400 Meter Höhe) die Treppen rauf und runter.

WirtschaftsWoche-Redakteur Bert Losse steht in Peru unter Corona-Quarantäne. Die Kontrollen werden immer strenger. Die Polizei macht uns klar: Ab sofort ist unser Hotel ein Gefängnis. Keiner darf mehr raus.
von Bert Losse

Ohne den Innenhof würden wir hier durchdrehen. Wir werden daher zunehmend paranoid und entwerfen einen Innenhof-Evakuierungsplan im Fall einer Polizeikontrolle. Wir haben nämlich über diverse Netzwerke von Polizeibesuchen in Hotels erfahren, wo überprüft wurde, ob festgesetzte Touristen nicht in größeren Gruppen in Ess- oder Gemeinschaftsräumen zusammenhocken. In einem Hostel, so berichtet eine deutsche Touristin via WhatsApp, sei sogar das Sitzen am offenen Fenster untersagt worden. In ein anderes Hostel kamen zwei Soldaten in voller Montur, weil sie lautes Lachen aus dem Gemeinschaftsraum vernommen hatten.

Zum Glück gibt es in unserer prekären Situation immer wieder menschliche Lichtblicke, die uns Mut machen. Die wenigen verbliebenen Mitarbeiter des Hotels, wie alle Peruaner auch selbst von der strikten Ausgangssperre betroffen, kümmern sich rührend um uns und versuchen, uns den Zwangsaufenthalt zu erleichtern, wo es nur geht. Unser tüchtiger peruanischer Guide, mit dem wir vor Verhängung des Ausnahmezustandes in der Region unterwegs waren, schaffte es tatsächlich, in einem Außenbezirk der Stadt für uns alle Schutzmasken zu organisieren. Das ist ungemein wichtig. Die dünnen Stofffetzen schützen vor Corona zwar in etwa so viel wie zehn Kniebeugen. Doch ohne die (weitgehend ausverkauften) Masken dürften wir in Peru weder in einen Bus steigen noch einen Flughafen betreten.

Wir haben Kontakt zu einer Sachbearbeiterin der Deutschen Botschaft in Lima, die sich durch Kompetenz und Hilfsbereitschaft auszeichnet. Auch die deutsche Honorarkonsulin in Cusco, Maria-Sophia Juergens de Hermoza, tut ihr Möglichstes, uns zu helfen. Wie frustriert sie vom schleppenden Verlauf der Rückholaktion ist, lässt sich an einer hoch emotionalen Wortmeldung in einer Cusco-WhatsApp-Gruppe ablesen. Darin attackiert Juergens in einer für diplomatische Kreise ungewöhnlichen Schärfe das Krisenmanagement der Botschaft in Lima. Zuvor war bekannt geworden, dass eine lange beantragte Landegenehmigung für Flüge von Cusco via Chile nach Frankfurt von den Behörden nicht erteilt worden war. Diese Flüge hätten am morgigen Dienstag einen Großteil der 600 in Cusco festsitzenden Bundesbürger (also auch uns) nach Hause bringen können.

WirtschaftsWoche-Redakteur Bert Losse steht mit einer deutschen Reisegruppe unter Corona-Quarantäne in Peru. Das Rückholprogramm der Bundesregierung kommt dort bislang nicht an.
von Bert Losse

Als die Nachricht durchsickert, dass es die Flüge nicht geben wird, kommt es in unserer Gruppe und bei vielen anderen Deutschen in peruanischer Zwangsquarantäne zum kollektiven Wutausbruch. In den sozialen Netzwerken prasselt ein veritabler Shitstorm auf das AA hernieder, auch Freunde und Verwandte aus Deutschland schalten sich ein. Meine Freunde in der Heimat schicken einen Brandbrief an das deutsche Außenministerium.

Die massiven (und öffentlichkeitwirksamen) Proteste mögen ihr Scherflein dazu beigetragen haben, dass es nun plötzlich wieder Hoffnung gibt. Die Botschaft hat Landegenehmigungen für den 1. und 2. April beantragt. Es sollen an beiden Tagen je zwei Flieger vom Flughafen Cusco nach Santiago de Chile gehen, wo eine Maschine nach Deutschland auf uns warten soll. Auch beim AA in Berlin heißt es, die Rückholung aus Cusco solle bis Freitag abgeschlossen sein. Man sei in Verhandlungen mit der lateinamerikanischen Fluggesellschaft Latam, entsprechende Flieger zu chartern. Zu unserer Unterstützung will die Botschaft zudem zwei Mitarbeiter nach Cusco schicken. Und für den 3. April ist ein weiterer Flug von Lima nach Frankfurt avisiert. Das alles sind gute Nachrichten.

Doch ich traue mich nicht, mich darüber zu freuen. Denn die erforderlichen Start- und Landegenehmigungen der peruanischen Behörden liegen (Stand Sonntag) noch nicht vor. Zugleich spitzt sich die Lage in Peru gerade auch innenpolitisch zu. Am Wochenende wurden Armee und Polizei per Dekret ermächtigt, bei der Durchsetzung der Anti-Corona-Bestimmungen auch Waffengewalt einzusetzen. Hintergrund ist die explosive Lage im Norden des Landes, wo sich viele nicht an die Ausgangssperre halten. Zugleich wurden die Sicherheitskräfte vor Strafverfolgung geschützt. Eine Gemengelage, die vielen Touristen Angst macht.

Vor diesem Hintergrund kann es aus Sicht der festsitzenden deutschen Staatsbürger nur heißen: Frau Merkel, übernehmen Sie! Der Chef des Bundeskanzleramts, Helge Braun, hat sich bereits bei einer Schalte mit Außenminister Heiko Maas (SPD) über den Stand des Rückholprogramms informieren lassen. Hoffentlich kam dabei zur Sprache, dass es Gespräche zwischen Deutschland und Peru bisher nur auf nachgeordneter Ebene gegeben hat, etwa bei einem Telefonat von Staatsminister Niels Annen mit dem peruanischen Vize-Außenminister. Dass sich Maas persönlich bei seinem peruanischen Amtskollegen für die in Peru gestrandeten Landsleute eingesetzt hat, ist bisher nicht überliefert. Daher wäre es an der Zeit für ein Telefonat der Kanzlerin mit Präsident Vizcarra. Denn keine Frage: Wir müssen alle schnell hier raus, bevor die Lage in Peru weiter eskaliert.

Der diplomatische Ringkampf um unsere Rückkehr geht in dieser Woche in die nächste Runde. Hoffentlich ist es die letzte.

Hier lesen Sie die ersten Teile des Erfahrungsberichts „Unter Quarantäne im Land der Inkas“ von Bert Losse:

Teil 3: „Heiko, hol uns hier raus!“

Teil 2: Kein Tourist darf auf die Straße

Teil 1: Gefangen im Paradies

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