US-Atomarsenal Der nukleare Weihnachtsgruß des Donald Trump

Kurzschlussreaktion oder dramatischer Wechsel in der US-Nuklearpolitik? Donald Trump fordert auf Twitter mehr Atomwaffen – und löst blankes Entsetzen aus. Die Motivation des designierten US-Präsidenten bleibt unklar.

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Kurz vor Weihnachten zündelt der designierte US-Präsident nicht an Christbaumkerzen, sondern dem Konsens der atomaren Abrüstung. Quelle: AP

San Francisco Noch im US-Wahlkampf hat Hillary Clinton beinahe prophetisch vor Donald Trumps Verhältnis zu Atomwaffen gewarnt. „Jemand, der sich schon durch einen Tweet provozieren lässt, sollte seine Hände nicht mal in der Nähe der nuklearen Abschusscodes haben“, sagte sie über das erratische Temperament des mittlerweile tatsächlich zum 45. US-Präsidenten gewählten Donald Trump. Doch die Warnung verhallte. Ab dem 20. Januar hat Trump die Finger direkt an den gefährlichsten roten Knöpfen der Welt.  Am Donnerstag gab er einen ersten Vorgeschmack, wie der mächtigste Mann der Welt in spe künftig zum Nuklearwaffenarsenal der USA steht.  Er leitete Weihnachtswoche mit einem beunruhigenden Tweet ein.

Die USA müssten ihre nuklearen Kapazitäten solange massiv ausbauen, verkündete Trump, bis die Welt in Sachen Atomwaffen „wieder zur Vernunft gekommen ist“. Der Zeitpunkt des Tweets erscheint zunächst willkürlich, aber es ist eben ein typisch impulsiver Trump-Tweet, aus der Hüfte geschossen. In diesem Fall kam er wohl als Reaktion auf Russlands Präsident Wladimir Putin. Der hatte wenige Stunden zuvor in ähnlicher Weise davon gesprochen, die nuklearen Kräfte Russlands auszubauen und auf dem neuesten Stand zu halten. Dabei schloss Putin ausdrücklich die Entwicklung von Raketen ein, die alle bekannten Abwehrsysteme überwinden können.

Trotzdem beunruhigt der Stil von Trumps Ankündigung.  Die parteilose gemeinnützige Organisation „Arms Control Association“ sieht einen potenziell gefährlichen Hintergrund: „Wie immer ist es schwer aus 140 Zeichen herauszulesen, was Trump wirklich sagt oder meint“, so die Waffenkontroll-Organisation in einem Statement, wenn es aber bedeutet, Trump will Umfang und Möglichkeiten des bereits überdimensionierten US-Nukleararsenals noch weiter ausbauen, dann wäre es ein radikaler Abschied von der bisherigen politischen Linie (Reduzierung des Atomarsenals in Kooperation mit Russland) und würde das weltweit  Wettrüsten beschleunigen und die Gefahr eines Atomkriegs erhöhen. Tatsächlich sind die USA im Gegenteil derzeit über internationale Abkommen gebunden, Atomwaffen abzurüsten. Will Trump diese aufkündigen?

Andere Beobachter verweisen auf Wahlkampfauftritte, in denen Trump für Japan oder Südkorea Atomwaffen gefordert hat, damit diese Länder sich selbst gegen Aggressoren verteidigen können. Trump will die Rolle der USA als Schutzmacht zurückfahren, um Geld zu sparen. Solche Äußerungen und der aktuelle Tweet seien Wasser auf die Mühlen von Diktatoren wie dem nordkoreanischen Staatschef Kim Jong-un. Bill Richardson etwa, ehemaliger Uno-Botschafter der USA, hält den Tweet für völlig unangemessen, selbst wenn man die PR-Rhetorik Putins berücksichtige. „Das ist Außenpolitik per Tweet“, erklärte er auf dem Kabelsender MSNBC.


Erst twittern, dann fragen

Die Botschaft an die Weltgemeinschaft sei verheerend. „In einer Zeit, in der wir versuchen Staaten vom Aufbau einer Nuklearmacht abzuhalten wollen teilen wir mit, dass wir sie ausbauen werden.“  Richardson kann nicht den geringsten Sinn in Trumps Twitter-Angriff sehen. „So etwa zu konstatieren ohne mit seinem Beraterstab gesprochen zu haben oder zu wissen, was die Optionen sind, das macht einfach keinen Sinn“, so der frühere Gouverneur von New Mexico.

Dazu kommt die Frage, wer das überhaupt bezahlen sollte. Die USA haben bereits ein Modernisierungsprogramm für ihr Nukleararsenal eingeleitet. In den kommenden zehn Jahren werden sich die Kosten nur für diese Modernisierung nach offiziellen Schätzungen auf rund 350 Milliarden Dollar belaufen. Darin sind Unterhaltung und Erneuerung des Systems enthalten, aber keine Ausweitung. Schon heute besitzen die USA mehr nukleare Feuerkraft als nötig ist, um jeden potenziellen Angreifer mehrfach dem Erdboden gleichzumachen. Rund 2000 Atomsprengköpfe sollen im aktiven Einsatz sein, die gleiche Zahl in Reserve. Von den aktiven Waffen in Silos, Bombern oder auf U-Booten sollen rund 900 innerhalb weniger Minuten einsatzbereit sein.

Das National Defense Panel hat im Auftrag des US-Kongresses die Kosten für das bereits unter Obama beschlossene und heftig kritisierte Atom-Erneuerungsprojekt über die gesamte Laufzeit von 30 Jahren errechnet. Herausgekommen ist die schwindelerregende Summe von einer Billion Dollar.

Da noch einmal mehrstellige Milliardenbeträge draufzusetzen klingt komisch für einen Präsidenten, der schon Unternehmen wie Boeing per Twitter abkanzelt, weil ihm vier Milliarden Dollar für zwei neue Air Force One zu viel sind. Außerdem stellt sich die Frage, was der Steuerzahler dafür an Mehrwert bekommt. Zur Bekämpfung des internationalen Terrors sind mehr Atom-U-Boote jedenfalls denkbar ungeeignet.

Es besteht also noch Hoffnung vor dem Weihnachtsfest. Hoffnung, es war am Donnerstag nur wieder einer seiner Schnellschüsse nach dem alten Wild-West-Motto: Erst twittern, dann fragen.

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