US-Außenpolitik unter Trump Tiefpunkt der transatlantischen Beziehungen

Ein Jahr nach Trumps Amtsantritt ist das transatlantische Verhältnis „schlechter als je zuvor“, resümieren Experten und Politiker. Die Unberechenbarkeit des US-Präsidenten und seine Alleingänge belasten die Beziehungen.

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Trotz der Spannungen erklärt Bundeskanzlerin Angela Merkel, die USA seien nach wie vor der wichtigste Partner der Deutschen. Quelle: TOM BRENNER/The New York Times/R

Berlin US-Präsident Donald Trump ist noch kein Jahr im Amt. Aber das Urteil über seinen Einfluss auf die transatlantischen Beziehungen fällt bereits sehr deutlich aus. „Das Verhältnis der USA zu Europa ist schlechter als je zuvor“, sagt Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).

„America first, Unberechenbarkeit, Regelbruch und individuelles Fehlverhalten prägen mittlerweile unsere Beziehungen“, klagt auch der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich. Diese düstere Einschätzung des transatlantischen Verhältnisses wird - mit mehr oder weniger großer Zurückhaltung - parteiübergreifend in Deutschland und Europa geteilt. Daran ändert auch die Feststellung von Bundeskanzlerin Angela Merkel Anfang Dezember nichts, dass die Vereinigten Staaten „nach wie vor unser wichtigster Partner bleiben“.

2017 ist nach allen Meinungsumfragen das Jahr des Absturzes der deutschen und europäischen Begeisterung für die USA geworden, die unter Trumps Vorgänger Barack Obama noch ein Hoch erlebt hatte. Eine düstere Zwischenbilanz zog auch der noch amtierende Außenminister Sigmar Gabriel bei der Tagung der Körber-Stiftung.

Er verwies auf die Alleingänge der USA etwa beim Austritt aus dem Pariser Klimaschutzabkommen, Trumps Zweifel am gemeinsam ausgehandelten Atomabkommen mit dem Iran und die Anerkennung Jerusalems als israelische Hauptstadt.

Dabei herrschte kurz nach der Wahl des Immobilien-Milliardärs zum US-Präsidenten zwar Entsetzen, aber auch das Prinzip Hoffnung. Gleich am Tag nach der Wahl, am 9. November 2016, gratulierte Kanzlerin Merkel dem Wahlsieger Trump öffentlich - mit einer Mischung aus Anerkennung und Mahnung: „Mit keinem Land außerhalb der Europäischen Union hat Deutschland eine tiefere Verbindung als mit den Vereinigten Staaten von Amerika.“

Dann erinnerte sie Trump allerdings in einem ungewöhnlichen Akt ganz bewusst an die gemeinsamen Werte: „Demokratie, Freiheit, Respekt vor dem Recht und der Würde jedes einzelnen Menschen, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung oder politischer Einstellung“, zählte sie auf.

„Auf der Basis dieser Werte möchte ich Ihnen eine enge Zusammenarbeit persönlich wie auch der Regierungen unserer Länder anbieten.“ Das klang nach ausgestreckter Hand und Mahnung zugleich.

Anfangs hatten Merkel und anderen EU-Regierungschef in ihren Kontakten mit Trump noch darauf gesetzt, dem Politik-Neuling die Vorteile einer Kooperation schmackhaft zu machen. „Man setzte auf seine Unerfahrenheit und einen möglichen Lernfaktor“, erinnert sich ein EU-Diplomat.

Zudem bemühte man sich um intensive Kontakte mit Trumps engsten Mitarbeitern, darunter seiner Tochter Ivanka. Aber spätestens auf dem G7-Gipfel in Italien Ende Mai wurde deutlich, dass Trump an seinem Austrittswunsch aus dem Klimaschutzabkommen festhalten würde.

Und die engsten Partner der USA machten aus ihrem Unmut kein Geheimnis mehr. Das G20-Treffen in Hamburg unter deutscher Präsidentschaft wurde stark von der Kluft zwischen den USA und Europa geprägt. Das anhaltende Problem mit diesem US-Präsidenten sei, dass die USA eben nicht mehr verlässlich und berechenbar seien, zog ein EU-Diplomat im Sommer eine Zwischenbilanz. Mit einem Federstrich oder einem Tweet könne der US-Präsident lange aufgebautes Vertrauen zwischen Partnern zerstören.

Liberale US-Medien wie die „New York Times“ stilisierten Merkel zu ihrem eigenen Ärger als letzte Anführerin der freien westlichen Welt hoch. Entspannung lieferte erst die Wahl des proeuropäischen, charismatischen Emmanuel Macron zum französischen Präsidenten im Mai.

wuchs mit der Achse Merkel, Macron und dem kanadischen Regierungschefs Justin Trudeau die gefühlte Distanz westlicher Führungsmächte zu Trumps Washington noch weiter.


Wachsende Distanz macht nicht einmal vor den Briten halt

Deshalb schlug Merkels Aufforderung an die Europäer, ihr Schicksal stärker in die eigene Hand zu nehmen, Ende Mai 2017 wie eine politische Bombe ein. In vielen Medien auf beiden Seiten des Atlantiks wurde dies als Kampfansage an Trump empfunden - obwohl Merkel ähnliche Sätze schon zu Amtszeiten Obamas gesagt hatte.

Aber diesmal wurde dies als direkte Trump-Kritik wahrgenommen, weil sie hinzufügte: „Die Zeiten, in denen wir uns auf andere verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei. Das habe ich in den letzten Tagen erlebt.“

Ende 2017 würde es über solche Sätze keine Aufregung mehr geben. „Denn was heute neu ist: Die EU-Regierungen haben gar nicht mehr die Illusion, dass Trump sich ändern könnte“, zieht SWP-Direktor Perthes eine Jahresbilanz. Schritt für Schritt habe Trump klargemacht, wie konsequent er sein „America first“-Konzept umsetzen wolle.

Und die guten Wirtschaftsdaten in den USA scheinen ihn in seinem Eindruck zu bestärken, dass die Entfremdung von den engsten Verbündeten für die USA zu verkraften sei. Die wachsende Distanz macht nicht einmal vor dem ältesten Verbündeten Großbritannien halt: Mit Premierministerin Theresa May lieferte sich Trump eine offene Auseinandersetzung wegen seines Lobs für einen britischen rechtsradikalen Anti-Muslim-Film.

Allerdings: Sowohl der Transatlantik-Koordinator der Bundesregierung, Jürgen Hardt, als auch Perthes selbst warnen vor einer Katastrophenstimmung. Denn beim Thema Nato und der Präsenz des US-Militärs in Europa habe Trump durchaus eingelenkt. Mit der Stationierung zusätzlicher Soldaten in Polen hat die US-Regierung ungeachtet aller Debatten um Trumps Russland-Kontakten deutlich gemacht, dass sie sich weiter als Schutzmacht der Europäer empfindet.

Im Gegenzug hätten die Europäer - wie schon von Obama gefordert - angefangen, selbst mehr Geld für ihre Verteidigung auszugeben, betont Perthes. Genau das fordert Trump. Und trotz der Sorgen vor neuen US-Importbarrieren finden sich Amerikaner und Europäer im Streit über chinesische Stahlexporte beim Verfahren vor der Welthandelsorganisation WTO plötzlich in einem Boot wieder.

Hardt macht zudem eine paradoxe Erfahrung: „Ich erlebe im Rückblick auf bisher vier Jahre als Transatlantik-Koordinator im Auswärtigen Amt ein wachsendes Interesse der amerikanischen Politik an Deutschland“, sagte er zu Reuters. „Ich glaube, dass selten in einem Jahr so viele Congressmen und -women sowie Senatoren in Deutschland waren wie 2017.“

Denn die Unsicherheit über Trumps Außenpolitiker beschäftige eben auch viele Akteure in Washington. Beim Klimathema machen ohnehin mittlerweile US-Bundesstaaten und US-Städte Politik um die Trump-Regierung herum und teilen internationale Klimaschutzziele. Deutschland und die EU gelten vielen Amerikanern heute als Orientierungspunkte einer multilateralen Weltordnung.

Und Wellen antiamerikanischer Empörung hatte es gerade in Deutschland auch früher schon gegeben - sogar in Zeiten des beliebten Barack Obama, etwa bei der NSA-Abhöraffäre 2013. Paradoxer Effekt: Gerade Trump, da sind sich alle Beobachter einig, erhöhe den Druck zur Zusammenarbeit in der EU, die im Dezember deshalb feierlich eine engere Kooperation in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik beschloss.

Sowohl Merkel als auch Gabriel sehen eher grundsätzliche Probleme im transatlantischen Verhältnis - unabhängig von Trump. Die Kanzlerin verweist etwa darauf, dass sich schon unter Obama der Blick der Amerikaner auf die Welt verändert habe, weil das Land wegen eigener Öl- und Gasquellen eben nicht mehr abhängig von riesigen Importen aus dem Nahen Osten ist. Dadurch steige die Verlockung eines Isolationismus, also eines Rückzugs vom Engagement in der Welt, was sich auch unter einem Trump-Nachfolger nicht ändern würde.

Umso paradoxer ist, dass in der deutschen Öffentlichkeit anders als in anderen europäischen Ländern das Bewusstsein der militärischen Abhängigkeit von den USA verloren geht. Laut einer im Dezember veröffentlichten Umfrage der Körber-Stiftung glauben die meisten Deutschen, dass die wirtschaftlichen Kontakte zu den USA wichtiger seien als die militärischen. Zugleich wächst wieder das Bedürfnis engerer Kontakte zu Russland - trotz des andauernden Ukraine-Konflikts.

Im übrigen zeigen die vom US-Kongress beschlossenen und von der EU kritisierten neuen Russland-Sanktionen, dass unilaterales Handeln in den USA nicht nur bei Trump populär ist. „Die Regierung der USA ist kein Orientierungspunkt in einer konfliktreichen Welt mehr. Aber auch die Mehrheit im Kongress offeriert keine anderen Angebote“, sagt der für Außenpolitik zuständige SPD-Fraktionsvize Mützenich.

„Was uns fehlt, ist die gemeinsame Arbeit an zukunftsweisenden Projekten, die unsere Partnerschaft festigen: etwa ein ambitioniertes Handelsabkommen“, sagt auch der CDU-Außenpolitiker Hardt.

Gabriel gibt noch auf einen ganz anderen Aspekt zu bedenken: „In absehbarer Zukunft wird die Mehrheit der US-Amerikaner keine europäischen, sondern lateinamerikanische, asiatische und afrikanische Wurzeln haben“, sagt er. „Deshalb wird das Verhältnis der USA zu Europa auch nach Donald Trump im Weißen Haus nicht mehr das gleiche werden, was es einmal war.“

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