US-Geldpolitik Entscheidung der Fed zeigt ihre Angst vor höheren Zinsen

Hier hat die US-Regierung mehr Einfluss als früher: Das Gebäude der US-Notenbank Federal Reserve Quelle: dpa

Die US-Notenbank strafft ihre Geldpolitik. Eine ausgeprägte Zinswende mit deutlich höheren Leitzinsen bleibt jedoch aus. Dafür sind die Staatsschulden zu hoch – und die Fed wagt es nicht, gegen die Regierung zu agieren.

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An den Weltbörsen richteten sich die Blicke der Investoren und Händler am Mittwoch nach Washington, wo die US-Notenbank Fed unter Führung von Jerome Powell über den künftigen Kurs in der Geldpolitik entschied. Wie von der Mehrheit der Marktteilnehmer erwartet, wird die Notenbank den Geldhahn, den sie seit dem Ausbruch der Coronakrise weit aufgedreht haben, zumindest ein kleines Stück zudrehen: Die Fed kündigte eine Reduzierung ihrer konjunkturgestützten Wertpapierkäufe an, der Leitzins bleibt aber hingegen auf dem Niveau wie bisher.

Seit Februar vergangenen Jahres hat die Fed zur Finanzierung der staatlichen Corona-Hilfsprogramme Wertpapiere im Wert von 4.200 Milliarden Dollar gekauft und im Gegenzug Zentralbankgeld in den Bankensektor gepumpt. Binnen 20 Monaten hat sich der Wertpapierbestand in der Bilanz der US-Notenbank dadurch verdoppelt. Er entspricht mittlerweile 35 Prozent des amerikanischen Bruttoinlandsprodukts (BIP). Zum Vergleich: Vor der Großen Finanzkrise 2007/2008 lag die Relation erst bei fünf Prozent. 

Die Aufblähung ihrer Bilanz allein ist für die Notenbanker natürlich noch kein Grund, die Geldpolitik zu straffen. Doch die Geldschwemme macht sich zunehmend in den Preisen bemerkbar. Im September überschritten die Verbraucherpreise ihr Vorjahresniveau um 5,4 Prozent. Es war bereits der fünfte Monat in Folge mit einer Fünf vor dem Komma bei der Teuerungsrate. Auch der Deflator für die persönlichen Konsumausgaben, auf den die Notenbanker besonders achten, steigt ungebremst. Im September übertraf er seinen Vorjahresstand um 4,4 Prozent, die Kernrate des Index (ohne Energie und Nahrungsmittel) lag um 3,6 Prozent über Vorjahr.

Die Lohnkosten treiben die Preise 

Damit befinden sich alle wichtigen Maße für die Preisinflation jenseits des Zielwerts der Fed von zwei Prozent. Auch wenn die Notenbanker im Rahmen ihrer neuen geldpolitischen Strategie den Zielwert von zwei Prozent nur im Durchschnitt mehrerer Jahre ansteuern und insofern ein temporäres Überschießen dulden, haben die Wucht und die Dauer des jüngsten Inflationsschubs die Herren des Geldes doch überrascht. Zumal sich die Aussichten auf ein baldiges Absinken der Teuerungsrate von Tag zu Tag verschlechtern. 

Die globalen Lieferengpässe bei Rohstoffen und industriell erzeugten Vorprodukten lassen sich angesichts der wiederkehrenden Werksschließungen in China, der unzureichenden Frachtkapazitäten und des weltweiten Feldzugs gegen fossile Energieträger nicht schnell beheben. Die Teuerungsrate werde sich daher im nächsten Jahr deutlich über dem Zielwert der Fed von zwei Prozent festbeißen, erwarten Analysten. 

Zumal auch von den Lohnkosten ein wachsender Aufwärtsdruck auf die Preise ausgeht. Die Stundenlöhne sind zuletzt um etwa 4,5 Prozent höher ausgefallen als vor einem Jahr. Im Gastgewerbe, bei Hotels und Restaurants, stiegen sie mehr als doppelt so stark, das Plus erreichte mit 9,5 Prozent fast zweistellige Dimensionen. Der vielbeachtete Arbeitskostenindex, der neben den Löhnen auch die Lohnnebenkosten wie die Sozialversicherungsabgaben der Arbeitgeber und Bonuszahlungen umfasst, schoss im dritten um 1,3 Prozent gegenüber dem Vorquartal in die Höhe, so kräftig wie seit 2001 nicht mehr. Im Vergleich zum Vorjahr lag das Plus bei 3,7 Prozent. 

Der US-Aufschwung setzt sich fort 

Maßgeblich für die Kletterpartie der Löhne ist, dass Arbeitskräfte in Amerika knapp werden. Die Arbeitslosenquote ist seit Dezember vergangenen Jahres um rund zwei Prozentpunkte auf zuletzt 4,8 Prozent gefallen. Die Unternehmen haben rund elf Millionen Stellen ausgeschrieben, fünf Millionen mehr als vor dem Ausbruch der Pandemie. Rechnerisch stehen jedem Arbeitslosen damit 1,2 offene Stellen zur Verfügung. Eine so günstige Verhandlungsposition hatten die Arbeitnehmer in den USA seit 20 Jahren nicht mehr. 

Eine rasche Linderung der Knappheitsprobleme am Arbeitsmarkt ist nicht in Sicht. Die Konjunktur befindet sich weiter im Aufwärtstrend, auch wenn das BIP im zweiten Quartal mit einer Zuwachsrate gegenüber dem Vorquartal von nur 0,5 Prozent enttäuscht hat. Die schwache Performanz der Konsumausgaben, die unter der Rückführung der staatlichen Transferzahlungen litten, bremste die Konjunktur. Dennoch hat das BIP seinen Stand von vor Ausbruch der Corona-Pandemie um 1,4 Prozent übertroffen. Die Einstellungsbereitschaft der Unternehmen ist hoch und dürfte es weiter bleiben. 

Das Beschäftigungsziel der Fed ist also erreicht, das Preisziel längst überschritten. Höchste Zeit, die Geldpolitik zu straffen, sollte man meinen. Doch allzu eilig haben es die Notenbanker um Jerome Powell damit offenbar nicht. Statt wie sonst 120 Milliarden Dollar je Monat für Anleihekäufe zu nutzen, sollen es nun im November 15 Milliarden Dollar weniger sein. In den kommenden Monaten dürfte die Drosselung der Anleihekäufe weiter voranschreiten, sodass das Programm im Juni 2022 auslaufen würde. Je nach wirtschaftlicher Entwicklung kann es aber auch noch passieren, dass die Notenbanker weitere Anpassungen vornehmen.

Einige Zentralbanken haben die Leitzinsen erhöht 

Den ersten Zinsschritt wird es gemäß den Projektionen der Notenbanker erst 2023 geben. Beobachter rechnen allerdings damit, dass die hohe Inflation die Fed zu früheren Zinserhöhungen zwingen könnte. Sie wäre nicht die erste Notenbank, die die Geldpolitik strafft. Die Zentralbanken von Norwegen, Neuseeland, Tschechien und Ungarn haben ihre Leitzinsen angesichts des wachsenden Inflationsdrucks bereits erhöht. Die Bank von England könnte an diesem Donnerstag mit einem Zinsschritt folgen. 

Allein die Europäische Zentralbank (EZB) lehnt bisher jedes Nachdenken über eine Anhebung der Leitzinsen ab. Der Grund: Hochverschuldete Länder wie Italien, Griechenland, Portugal und Spanien können höhere Zinskosten nicht schultern. Sie müssten die Steuern kräftig anheben oder die Sozialausgaben kürzen, um höhere Zinsen zu zahlen, was beides unpopulär ist. Oder sie müssten ihre Gläubiger zur Kasse bitten und Bankrott anmelden, was in der Eurozone politisch als Tabu gilt. 

Staatsschulden weginflationiert 

Auch wenn die Fed ihre Anleihenkäufe im Laufe der nächsten Monate zurückfährt und danach die Leitzinsen leicht anheben sollte, ist eine ausgeprägte geldpolitische Wende, in deren Verlauf die Leitzinsen kräftig steigen, unwahrscheinlich. Denn auch in Amerika ist der Staat hoch verschuldet und auf niedrige Zinsen angewiesen. Die Außenstände der öffentlichen Hand belaufen sich auf insgesamt mehr als 130 Prozent des BIP. Das von der Biden-Regierung geplante Sozialausgabenpaket von 1.750 Milliarden Dollar sowie das Infrastrukturpaket von 550 Milliarden Dollar werden die Schuldenquote weiter in die Höhe treiben, sollte der Kongress grünes Licht für die Programme geben. 

Anders als höhere Zinsen sind der Regierung höhere Inflationsraten durchaus willkommen. Denn diese lassen die nominale Bemessungsgrundlage für die Steuern auf Einkommen, Gewinne und Umsätze und somit das Steueraufkommen steigen. Zugleich plustern sie das nominale BIP auf und drücken so die Schuldenquote nach unten, machen die Staatsschulden mithin erträglicher. Die Fed, die ebenso wie die EZB längst unter dem Pantoffel der Regierung steht, dürfte daher vor einer ausgeprägten Zinswende zurückschrecken und lieber höhere Inflationsraten akzeptieren.

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