US-Präsident improvisiert gern Drohend, beleidigend, flapsig: So treibt Biden seinen Beratern den Schweiß auf die Stirn

US-Präsident Joe Biden bei einer Pressekonferenz am 28. März 2022. Quelle: IMAGO/UPI Photo

Immer wieder macht der US-Präsident mit eigenwilligen Aussagen von sich reden, seine kurze Zündschnur ist berühmt. Ein Blick in die jüngere Vergangenheit zeigt, dass er im Weißen Haus damit in guter Gesellschaft ist.

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Die letzten neun Worte seiner Rede in Warschau dürfte Joe Biden mittlerweile bereuen. „For God’s sake, this man cannot remain in power“, hatte der US-Präsident an die Adresse des russischen Staatschefs Wladimir Putin gerufen – eine Formulierung, die nicht nur die Kreml-Propaganda als kaum verhohlenen Aufruf zum Regimewechsel in Moskau verstanden. Zwar bemühte sich das Weiße Haus, den Schaden zu minimieren. Man schickte wenige Minuten, nachdem Biden die Bühne verlassen hatte, eine Klarstellung an die Washingtoner Presse. Doch der Satz des Präsidenten war nun einmal in der Welt – und dominierte so die Berichterstattung über Bidens Europareise.

Es ist nicht das erste Mal, dass das amerikanische Staatsoberhaupt durch improvisierte Äußerungen die Botschaften seiner Administration untergräbt. Biden hat sich über Jahrzehnte einen Ruf erarbeitet, ein undisziplinierter Redner zu sein, der sich durchaus von Emotionen hinreißen lässt. Erst vor wenigen Wochen rutschte ihm ein „dummer Hurensohn“ in Richtung eines Fernsehreporters heraus, der den Präsidenten mit einer Frage zur Inflation gepiesackt hatte. Kurz darauf entschuldigte er sich bei dem Journalisten.

Dass Biden manchmal ungehalten reagiert, ist nicht unbedingt eine Schwäche. Für seine Anhänger macht die kurze Zündschnur den Präsidenten nahbar. Vor Covid, als der ungeskriptete Biden noch öfter in freier Wildbahn zu erleben war, legte er sich regelmäßig auf Wahlkampfveranstaltungen mit Kritikern an, fragte etwa einen Arbeiter in einem Autowerk in Michigan, ob er mit ihm „vor die Tür“ gehen wolle. Eine Frau in New Hampshire nannte er etwas kryptisch einen „lügende hundegesichtige Ponysoldatin“. Die Nominierung seiner Partei und das Weiße Haus gewann er trotzdem.

Doch angesichts des Kriegs in der Ukraine wirken die improvisierten Momente des Präsidenten weniger amüsant. Der vermeintliche Aufruf zum Sturz Putins war nicht einmal der einzige Moment auf der Europareise, der Bidens Berater den Schweiß auf die Stirn getrieben haben dürfte. Während einer Pressekonferenz in Brüssel verkündete Biden, die USA würden „in gleicher Weise“ auf den potenziellen Einsatz von Chemiewaffen durch Russland reagieren. Bei einem Treffen mit amerikanischen Soldaten in Polen, lobte er zudem den Mut der Ukrainer und fügte hinzu: „Ihr werdet das sehen, wenn ihr da seid“. Sein Presseteam beeilte sich klarzustellen, dass die USA weder die Nutzung von Massenvernichtungswaffen noch die Entsendung von Truppen ins Kriegsgebiet planten.



Die Gründe für Bidens Unkontrolliertheit sind schwer zu greifen. Die freie Rede lag ihm noch nie, auch weil er in jungen Jahren schwer stotterte und bis heute mit den Nachwirkungen zu tun hat. Auch geht der Präsident stramm auf die 80 zu. Doch auch in der Vergangenheit brachte sein loses Mundwerk ihn schon in Probleme. Als Vize-Präsident von Barack Obama verkündete er etwa im Mai 2012, dass er mittlerweile die gleichgeschlechtliche Ehe unterstützte – und setzte damit seinen damaligen Chef unter Druck, der das Thema eigentlich aus dem heraufziehenden Wahlkampf heraushalten wollte.

Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass undisziplinierte Redner im Weißen Haus nicht die Ausnahme sind. Die geschliffenen Rhetoriker Ronald Reagan, Bill Clinton und Barack Obama mögen das Bild der Präsidentschaft prägen, doch an Beispielen für frei assoziierende Präsidenten mangelt es nicht. Gerald Ford behauptete mitten im Kalten Krieg, es gebe keine sowjetische Dominanz über Osteuropa. Die Versprecher des laut eigener Aussage „missunterschätzten“ George W. Bush füllen mittlerweile ganze Bücher. Und dass auch Bidens direkter Amtsvorgänger nicht immer am Skript hing, ist ebenfalls bekannt.

In den Reden von Donald Trump ließ sich nicht immer ein Roter Faden ausmachen. Daran hat sich auch nach seiner Präsidentschaft nichts geändert. Als das ehemalige Staatsoberhaupt jüngst in einem Podcast nach seiner Prognose für den weiteren Verlauf des russischen Überfalls auf die Ukraine gefragt wurde, antwortete mit einer umschweifenden Suada über Windräder. In einem anderen Interview über den Krieg verwechselte er russische und amerikanische Truppen.

Und auch der Teleprompter konnte ihn nicht immer retten. Im März 2020 verkündete Trump per Fernsehansprache unter anderem den Einreisestopp aus Europa, um die Ausbreitung von Covid-19 zu verlangsamen. Die Rede jedoch gespickt mit Fehlern, die das Weiße Haus schnell wieder korrigieren musste. Unter anderem hatte Trump verkündet, auch den Handel mit Europa zu unterbrechen, was die Wirtschaft auf beiden Seiten des Atlantiks in ernste Schwierigkeiten gebracht hätte.

Nicht immer verliefen die Aufräumarbeiten des Ex-Präsidenten überzeugend. Nachdem Trump in Helsinki neben Wladimir Putin stehend verkündete, er glaube nicht, dass Russland in die US-Wahl 2016 zu seinen Gunsten eingegriffen habe – eine Behauptung, die den Ermittlungsergebnissen der amerikanischen Sicherheitsbehörden widersprach – versuchte das Staatsoberhaupt die Empörung in der Öffentlichkeit mit dem Hinweis zu beruhigen, er habe eine doppelte Verneinung nutzen wollen. Selbst hartgesottene Trump-Unterstützer nahmen ihm diese Behauptung kaum ab. Auch als er Apple-CEO Tim Cook als „Tim Apple“ ansprach, weigerte er sich, seinen Fehler einzuräumen. Er habe, so Trump, schlicht den Namen des Managers und den des Unternehmens zusammengezogen, um Zeit zu sparen.

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Zweifel an der Wahrhaftigkeit dieser Aussage sind angebracht. Schließlich zählte ein Team der Washington Post über die vier Jahre von Trumps Amtszeit insgesamt 30.573 falsche oder fehlleitende Aussagen des Präsidenten – ein Schnitt von 21 pro Tag. Davon ist Joe Biden trotz mancher Improvisation am Rednerpult sehr weit entfernt.

Lesen Sie auch: Bidens Rede zur Lage der Nation – „Wir holen uns eure Jachten, Luxus-Apartments und Privatjets“.

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