US-Präsident in Hannover Merkel und Obama kämpfen um TTIP

Die USA und Deutschland stehen auch in schwierigen Zeiten Seite an Seite. Das war eine der Hauptbotschaften Obamas und Merkels nach ihrem Treffen in Hannover. Nur das umstritten Freihandelsabkommen wird es schwer haben.

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Hannover Das umstrittene Freihandelsabkommen TTIP hat keine Chance mehr, noch in der Amtszeit Barack Obamas abgeschlossen zu werden. Der US-Präsident brachte am Sonntag in Hannover zwar seine Hoffnung zum Ausdruck, bis Anfang 2017 die Verhandlungen zu beenden. Er ging aber nicht von einer Ratifizierung des Abkommens aus. Das liege auch am US-Wahlkampf.

Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte nach einem Treffen mit Obama mit Blick auf TTIP: „Wir sollten uns sputen.“ Sie betonte, das Freihandelsabkommen sei aus europäischer Perspektive sehr wichtig für das Wirtschaftswachstum in Europa. Angesichts der weit fortgeschrittenen Verhandlungen beim transpazifischen Handelsabkommen TPP sei Eile geboten. „Ich bin froh, dass der Präsident die Verhandlungen unterstützen will. Wir sollten unseren Teil dazu beitragen“, sagte Merkel.

Auf die Rede des US-Präsidenten hatten sie in Hannover seit Wochen hingearbeitet. Am Sonntagnachmittag sind der Präsident und seine 500-köpfige Delegation gelandet. Für eine Woche hat der Flughafen eigens eine ganze Landebahn gesperrt, um die Air Force One für 24 Stunden zu beherbergen. In der ganzen Stadt gelten strengste Sicherheitsvorkehrungen: 2000 Gullydeckel sind versiegelt, im Innenstadtbereich dürfen Kinder in einigen Straßen nicht zum Spielen in den Garten, aus manchen Vierteln sind gleich ganz alle Papierkörbe und Streusandkisten verschwunden, das Gebiet um das Congress Centrum im Stadtpark (HCC): eine einzige Hochsicherheitszone.

3000 geladene Gäste durften dennoch in die Nähe des mächtigsten Mannes der Welt, ins Auditorium des HCC – allerdings nur, wenn sie sich Wochen vorher um Karten bemüht, besser noch schriftliche Briefe ins Kanzleramt und ins Weiße Haus geschickt und es durch die Sicherheitsprüfung des Secret Service geschafft haben. Wer diese Zeremonie erfolgreich hinter sich gebracht hat, muss sich nur noch fünf Stunden vor Beginn der Veranstaltung an der Messe einfinden, um dann – nach mehreren Sicherheitskontrollen Ü im Shuttlebus zur Eröffnungsfeier kutschiert zu werden. So viel Brimborium war selten auf einer Eröffnungsparty der Hannover Messe. Allerdings ist ja auch nicht jeden Tag Barack Obama zu Gast.

Das Freihandelsabkommen TTIP ist besonders in Deutschland umstritten. Am Samstag hatten Zehntausende Gegner in Hannover gegen das Vorhaben demonstriert. Sie befürchten eine Angleichung von Standards auf geringerem Niveau und kritisieren zudem mangelnde Transparenz bei den Verhandlungen.

Weil Angela Merkel und Barack Obama bei der Pressekonferenz überzogen hatten, verzögerte sich die Eröffnungsfeier der Hannover-Messe im Congress Centrum HCC. VW-Chef Matthias Müller nutzte die Paar Minuten. Schnell wechselte er ein paar Worte mit Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Verkehrsminister Alexander Dobrindt, die etwas verloren auf der Bühne rumstanden. Im Foyer bezog derweil Bundeswissenschaftsministerin Johanna Wanka auf dem roten Teppich Aufstellung neben dem Bürgermeister der niedersächsischen Landeshauptstadt Stefan Schostock. Dann endlich kam die Kolonne aus Schloss Herrenhausen am HCC an, Angela Merkel zuerst: Händeschütteln. Warten. Weitere Minuten vergingen. Um 18:05 endlich fuhren die dunklen US-Limousinen vor. Merkel ging ihrem Gast entgegen, Händeschütteln, Foto, Goldenes Buch der Stadt.


Leistungsschau der Freihandels-Vorzüge

Zweieinhalb Monate vor dem Nato-Gipfel in Warschau drängte Obama die Bündnispartner, ihre Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen. „Es ist wichtig für alle Nato-Mitglieder, zu versuchen dieses Ziel zu erreichen“, sagte er. Die Nato hatte dieses Ziel auf ihrem letzten Gipfel in Wales 2014 bekräftigt. Die meisten europäischen Bündnispartner verfehlen es aber weiter deutlich. Deutschland liegt bei 1,1 Prozent, die USA dagegen bei 3,5. Der deutsche Verteidigungsetat soll zwar bis 2020 von derzeit 34,3 auf 39,2 Milliarden Euro wachsen – das Nato-Ziel wird aber nicht annähernd erreicht.

Merkel sagte, Deutschland nähere sich dem Nato-Ziel an. „Ich glaube, dass die ganze Aufstellung der Bundeswehr die internationale Verantwortung voll reflektiert“, sagte sie. „All das hilft auch, die Herausforderungen zu bestehen.“

Merkel und Obama zeigten sich tief besorgt über die Kämpfe in Syrien. Merkel sagte, man sei einig, alle Kraft darauf zu lenken, den Friedensprozess zum Erfolg zu führen.

Kämpfe mit vielen Toten in Syrien lassen die Befürchtungen vor einem Scheitern der Waffenruhe in dem Bürgerkriegsland wachsen. Die syrische Opposition sieht die vereinbarte Waffenruhe verletzt. Sie hat die dritte Runde der Syrien-Gespräche in Genf verlassen.

Im Ukraine-Konflikt dringen die USA und Deutschland auf Fortschritte. Beide Politiker legten Wert darauf, die Friedensvereinbarungen von Minsk schnell umzusetzen. Leider gebe es immer noch keinen stabilen Waffenstillstand.

Den von Nordkorea gemeldeten erneuten Raketentest verurteilte Obama. Er warf dem Regime eine „Provokation“ vor. „Wir nehmen das sehr ernst.“ Obama forderte zugleich China auf, stärker auf Nordkorea einzuwirken.

Mehrfach würdigte Obama die Führungsrolle Merkels. In der europäischen Flüchtlingspolitik habe sie eine mutige Haltung gezeigt – vielleicht, weil sie selbst einmal hinter einer Mauer gelebt habe. Merkel lobte ihrerseits die Beteiligung der USA im Rahmen der Nato-Mission in der Ägäis im Kampf gegen Schleuserbanden.

Obama lobte außerdem die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Merkel. „Du bist während meiner gesamten Präsidentschaftszeit eine Vertraute gewesen“, sagte der Präsident. „Ich möchte Dir persönlich für die Freundschaft danken.“

Obama hält sich zum fünften Mal als US-Präsident in Deutschland auf, er scheidet im Januar aus dem Amt. Er ist bis Montag in Deutschland. Der Präsident kam aus London, zuvor war er in Saudi-Arabien. Am Montag dann werden Merkel und Obama um neun Uhr ihren Messerundgang starten. Zwei Stunden sind angesetzt, um öffentlichkeitswirksam die Highlights der wichtigsten Industriemesse der Welt zu loben – und nebenbei natürlich für das transatlantische Freihandelsabkommen zu werben. Das ist den beiden Staatschefs nämlich ebenso wichtig bei diesem Termin. Auch deshalb kommt es nach dem Rundgang noch zu einem spontan anberaumten Treffen mit Francois Hollande, Matteo Renzi und David Cameron. Die fünf Staatschefs wollen auf Schloss Herrenhausen die Lage Europas erörtern – und natürlich auch die Lage der TTIP Verhandlungen. Ganz zur Freude der Industrie, möchte man annehmen, ist doch die ganze Hannover Messe mit dem Partnerland USA dieses Jahr eine Leistungsschau der Freihandels-Vorzüge. Und dennoch ist die Stimmung beim Bundesverband der Deutschen Industrie etwas getrübt. Eigentlich hatte man dort schon eine Zusage, dass Merkel und Obama nach ihrem Rundgang zum Business Summit mit wichtigen Konzernchefs zusammenkommen. Das allerdings wurde für den G5-Gipfel abgesagt. Werben, so ist zur hören, dürfen Siemens-Chef Joe Kaeser und die anderen dennoch für ihre Themen: EU-TTIP-Chefunterhändlerin Cecilia Malmström und ihr US-Kollege Michale Froman haben sich spontan bereit erklärt, für die Kanzlerin und den Präsidenten einzuspringen.

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