Zumindest räumlich ist Kevin McCarthy endlich am Ziel. In den vergangenen Tagen bezog der Anführer der Republikaner im US-Repräsentantenhaus offiziell die Büroräume des Speakers of House – des Sprechers der unteren Kongresskammer. Der frühe Einzug hat Tradition. Schließlich galt der oberste Vertreter der Wahlsiegerpartei in normalen Zeiten als gesetzt für das dritthöchste Amt in den USA. Doch die Zeiten sind nicht normal. Denkbar, dass McCarthy nur zur Zwischenmiete in den prunkvollen Sälen der Speaker’s Suite residiert. Denn ob genügend Parteifreunde hinter ihm stehen, um ihm auf offiziell zur Macht zu verhelfen, ist wenige Stunden vor der Wahl am Dienstagnachmittag Washingtoner Zeit kaum zu sagen.
McCarthy befindet sich in einer schwierigen Situation. Seit 2009 gehört er zur Führungsriege der Republikaner im Repräsentantenhaus, seit 2019 führt er sie an. In diesen Jahren ist er quer durchs Land gereist, hat unermüdlich Spenden gesammelt, Kandidaten rekrutiert. Alles, um irgendwann das Amt des Speakers of the House zu erobern.
Im Herbst sah es so aus, als wäre er schon so gut wie am Ziel. Vor den Midterm-Wahlen im November sahen Analysten und Strategen eine „rote Welle“ über das Land rollen, prognostizierten zeitweise einen Erdrutschsieg der GOP nach zwei Jahren demokratischer Kontrolle in Washington. Doch die Vorhersagen lagen daneben. Die Republikaner gewannen nur eine hauchdünne Mehrheit von fünf Sitzen im Repräsentantenhaus und blieben damit deutlich hinter den Erwartungen zurück. Deshalb hat McCarthy jetzt ein Problem.
Denn eine Handvoll Abgeordneter vom rechten Flügel der Republikaner will dem Kalifornier die Unterstützung versagen, wenn sich der neue Kongress konstituiert. Seit Wochen versucht McCarthy, die Abweichler auf seine Seite zu ziehen, doch bislang ohne Erfolg. Dabei ist er ihnen schon jetzt weit entgegengekommen. Er stimmte Änderungen in der Geschäftsordnung der Kongresskammer zu, die seine Macht erheblich beschneiden, es etwa sehr leicht machen, einen Abwahlantrag gegen ihn zu stellen. Gebracht hat es bislang nichts. McCarthy geht damit ungewiss in die Abstimmung über seine Zukunft – eine ungemütliche Situation für ihn.
Es ist nicht das erste Mal, dass McCarthy mit dem rechten Flügel seiner Partei Ärger hat. Bereits 2015 sah er sich auf dem Sprung in die Speaker’s Suite. Damals hatten seine Parteifreunde gerade den bisherigen Sprecher aus dem Amt gedrängt. McCarthy galt als natürlicher Nachfolger, doch schlussendlich war der interne Widerstand zu groß. Damit ihm dies nicht noch einmal passiert, schmiegte sich McCarthy in den vergangenen Jahren eng an Donald Trump. Doch nach dem Sturm aufs Kapitol am 6. Januar 2021 kritisierte auch er das damalige Staatsoberhaupt. Der Präsident „trägt Verantwortung für seine Worte und Taten“, schimpfte McCarthy wenige Tage nach dem Angriff. Er sei „fertig mit dem Typ“, hatte er zudem in vertraulichen Runden gesagt, wie durchgestochene Gesprächsaufnahmen belegen.
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Doch der Zorn hielt nicht lange. Kaum hatte sich der Ärger ein wenig gelegt, reiste McCarthy zu Trumps Anwesen in Florida und ließ sich mit dem Ex-Präsidenten fotografieren. Seitdem tut McCarthy wieder alles, um Trump zu gefallen. Mit Erfolg. Trump unterstützt McCarthy. Doch einige Hardliner in der Partei trauen ihm nicht. Das bekommt er nun zu spüren.
Trotzdem gibt McCarthy sich selbstsicher. Sein Team signalisiert seit Wochen, dass er die notwendigen 218 Stimmen zusammenbekommen werde. Doch sicher kann er sich nicht sein. Und sollte er durchfallen, wird es kompliziert.
Denn ohne einen neuen Sprecher ist das Repräsentantenhaus nicht arbeitsfähig. Das heißt: Es wird so lange weitergewählt, bis ein Kandidat die notwendigen Stimmen zusammen hat. Wie das genau aussehen würde, weiß niemand so genau. Das letzte Mal, dass das House mehr als einen Wahlgang gebraucht hat, um einen Sprecher zu wählen, war 1923 – vor genau 100 Jahren.
McCarthy will sich von dem Widerstand nicht entmutigen lassen. Schließlich steht der übergroße Teil der Republikaner im Kongress hinter ihm. Fünf bis zehn Abweichler könnte es geben. Genug, um ihm den Posten zu versagen, aber zu wenig, um einen eigenen Kandidaten durchzubringen. Zwar haben die Rechten auch einen Zählkandidaten aufgestellt, doch der gilt als chancenlos. Deshalb will McCarthy bei Bedarf so lange antreten, bis der Widerstand zusammenbricht. Ob das gelingt, ist offen.
Für die Arbeit in Washington verheißt das nichts Gutes. Der Kampf um den Sprecherposten dürfte es schwer machen, überparteiliche Kompromisse zu schließen, um die USA am Laufen zu halten. Die sind angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Kongress und einem Demokraten im Weißen Haus jedoch zwingend notwendig – und sei es nur für das Erfüllen von Routineaufgaben. Jedes Jahr muss ein Haushalt aufgestellt, regelmäßig die Schuldengrenze angehoben werden. Das wird ohne die Kooperation der Republikaner im Repräsentantenhaus nicht funktionieren. Doch angesichts der knappen Mehrheit der Partei in der unteren Kongresskammer verfügt der rechte Flügel jetzt über ein faktisches Veto. Der Umgang mit McCarthy ist seine erste Machtdemonstration.
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