US-Wahl „Auch Biden ist ein Protektionist“

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Wie Regierungen Corona-Hilfspakete zur Sanierung nutzen

In der aktuellen Coronakrise stehen staatliche Rettungspakete hoch im Kurs. Wird die Pandemie die Protektionismus-Welle der vergangenen Jahre beschleunigen?
Interessanterweise hat der Ausbruch der Pandemie zunächst dazu geführt, dass der Anteil der marktliberalisierenden Eingriffe schneller anstieg als der Anteil der marktschädigenden. Dafür verantwortlich waren die vielen seit Jahren bestehenden Importbeschränkungen für medizinische Güter, die viele Staaten wegen Corona drastisch reduzierten. Damit wollte man die Versorgung der heimischen Bevölkerung mit Masken, Beatmungsgeräten und Medikamenten sicherstellen und Engpässen vorsorgen. Diese an sich erfreuliche Dynamik war aber nach gut zwei Wochen wieder vorbei. Mittlerweile überwiegen die marktschädigenden Eingriffe stark.

Welche zum Beispiel?
Seit Mitte März erschweren es mehr Länder heimischen Unternehmen, Medizinprodukte und Lebensmittel ans Ausland zu liefern. Plötzlich gibt es Ausfuhrbeschränkungen oder man braucht eine neue Lizenz, um ein Medikament zu exportieren. Deutschland zum Beispiel hatte zwischenzeitlich ein zweiwöchiges Exportverbot für Schutzanzüge und Atemmasken verhängt. Zwar hat eine EU-Verordnung einen Teil dieser Bestimmungen wieder gekippt, aber nur für den Handel innerhalb der EU. Hinzu kommt, dass viele Regierungen aktuell Corona-Hilfspakete nutzen, um nationale Champions, die schon lange vor Covid-19 in eine wirtschaftliche Schieflage geraten sind, zu sanieren. Bestes Beispiel sind die zahlreichen Rettungsschirme für Airlines. Auch diese Art von Politik führt zu einer Wettbewerbsverzerrung und ist protektionistisch. Je länger die Coronakrise andauert, desto mehr solcher Eingriffe erwarten wir.


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Solange die menschliche Gesundheit gefährdet ist, erlaubt es die WTO ihren Mitgliedern, Schutzzölle zu verhängen. Folgt nach der Corona-Pandemie eine Re-Liberalisierung des Welthandels?
Das bezweifle ich. 70 Prozent aller Handelsbarrieren, die ein G20-Staat seit 2008 aufgebaut hat, bestehen nach wie vor. Ähnlich wird es auch mit den jüngsten, coronabedingten Eingriffen sein. Für viele Staaten ist die Pandemie eine willkommene Entwicklung, um ihren Protektionismus als Krisenpolitik zu verkaufen. Gerade populistische Regierungen profitieren von der schwierigen Situation. In einer Pandemie, die den Globus in Angst und Schrecken versetzt, fällt es leichter, eine Isolations-Strategie zu fahren, ohne sich groß dafür rechtfertigen zu müssen. Ein paar gesundheitspolitische Argumente reichen oft aus, um Kritiker verstummen zu lassen. Wer wagt es schon, sich gegen eine handelspolitische Maßnahme zu stellen, die „Leben retten“ kann? Das Coronavirus hat Protektionismus wieder salonfähig gemacht.

Viele Länder, darunter auch Deutschland, haben in der Pandemie harte Maßnahmen gegen China ergriffen, um ihre Abhängigkeit bei medizinischen Produkten zu reduzieren. Stützt Ihre Forschung diese Argumentation?
Wir haben die Exporte und Importe Chinas untersucht und herausgefunden, dass die meisten Staaten bei medizinischen Gütern weit weniger von China abhängig sind, als ihre Regierungen behaupten. Weder ein Land der EU noch die USA beziehen mehr als die Hälfte ihrer Medizinprodukte aus China. Alle EU-Mitgliedsländer und auch die USA haben mindestens sechs weitere Lieferanten, an die sie sich im Ernstfall wenden könnten, sollten die chinesischen Importe ausbleiben. Deutschland und Frankreich haben für medizinische Güter sogar über 20 Importeure neben China. Vor diesem Hintergrund zu argumentieren, man müsse die Abhängigkeit von China reduzieren, ist fast schon lächerlich.

Worum geht es den westlichen Regierungen dann?
Für die Industrienationen ist China schon lange eine existenzielle Bedrohung. Mit gesundheitspolitischen Argumenten kann man plötzlich ganz einfach Lieferketten zurück ins eigene Land holen, für eine Entkoppelung von China argumentieren und einen protektionistischen Kurs legitimieren, den man vielerorts schon sehr viel früher gerne gefahren wäre – all das, ohne sich wie Trump als fanatischer „China-Hasser“ abstempeln lassen zu müssen.

China selbst ist aber alles andere als ein handelspolitischer Musterknabe und ist dafür bekannt, heimische Exporteure mit hohen Steuererlassen zu subventionieren…
Es stimmt, dass es in China nach wie vor hohe Exportförderungen gibt. Derzeit schätzen wir, dass Waren im Wert von 3,56 Billionen US-Dollar auf Märkten konkurrieren, auf denen chinesische Exporte Steuervergünstigungen aus Peking erhalten haben. Zugleich aber beobachten wir, dass es seit 2017 immer mehr Absatz- und Exportbeschränkungen für einzelne Unternehmen gibt.

China überlässt den Weltmarkt freiwillig der westlichen Konkurrenz?
So einfach ist es nicht. Auch Exportbeschränkungen schaden ausländischen Unternehmen. Pekings Schachzug besteht darin, mit Export- und Absatzbeschränkungen den Preis in einer Branche zu drücken und damit die heimischen Vorleistungen für die eigentlich strategisch wichtigen Branchen zu verbilligen. Auch damit kann man den Schlüsselbranchen auf dem Weltmarkt einen unfairen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Diese gelenkte Industriepolitik ist protektionistisch und weltweit im Vormarsch.

Der Protektionismus wird also weiterhin zunehmen.
Ja. Zumal wir in den Jahren einer US-Wahl bislang immer mehr und nicht weniger Handelsverzerrungen beobachtet haben.

Mehr zum Thema: Für den Freihandel tritt bei der US-Wahl kein Kandidat ein. Mit Blick auf die Wähler ist dieser Kurs durchaus paradox.

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