




Jackie Munoz ist schlecht auf Barack Obama zu sprechen. "Wie viel Regierung wollen wir denn noch in diesem Land?", fragt die 30-jährige Managerin. "Was dieser Staat anpackt, funktioniert nicht – Post, Eisenbahn, öffentliche Schulen, Gesundheit – alles defizitär, pleite, schlecht gemanagt."
Es ist der 3. Oktober. Die erste TV-Debatte zwischen US-Präsident Obama und seinem Herausforderer, dem Republikaner Mitt Romney, flimmert über die Fernsehbildschirme. Das Galapagos Art Space, ein Kulturzentrum im New Yorker Stadtteil Brooklyn, hat eine große Leinwand im Saal aufgehängt und die Nachbarschaft eingeladen. Der Laden ist voll, das hippe Viertel am East River ist eine Hochburg der Demokraten. Entsprechend ist die Reaktion auf Munoz’ Kritik an Obama. "Du willst doch nicht etwa, dass dieses Grinsegesicht Romney unser Land regiert und die Finanzlobby hier komplett das Sagen hat?", tönt ein junger Mann vom Nachbartisch herüber.
Von "Change" ist nichts zu spüren
Munoz lässt sich nicht beirren. Schon bei der Wahl 2008 habe sie, Managerin bei einem großen Konsumgüterkonzern, Obamas heilsbringenden Versprechungen von Neuanfang und Aufbruch, von einer Stärkung der Mittelschicht und davon, den Kapitalismus in Amerika neu erfinden zu wollen, nicht eine Sekunde geglaubt. "Und, hat der Mann irgendetwas in diesem Land verändert in den vier Jahren?"
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Die Szene in Brooklyn spiegelt den Riss wider, der ganz Amerika in zwei Lager teilt. Von "Change", also Wachstum und Wohlstand für alle, der Versöhnung von Rechts und Links, von armen und reichen, weißen und schwarzen Amerikanern, die der Präsident 2008 versprach, ist nach vier Jahren Obama-Herrschaft in Amerika nichts zu spüren. Bei der Präsidentschaftswahl 2012 geht es deshalb genau darum, worüber sich die junge Amerikanerin in Brooklyn aufregt: Wo und wie viel soll der Staat mitmischen, wie sollen die Unternehmen besteuert, die Bildung finanziert, Arbeitsplätze geschaffen werden, um das Land nachhaltig zu sanieren?
Amerika vor dem fiskalischen Schiffbruch
Obamas Notenspiegel
Obama-Bilanz von Peter Hooper, USA-Chefökonom der Deutschen Bank in New York.
Sehr gut: Irak- und Afghanistankrieg beendet; Tötung von Terroristenführer Osama Bin Laden
Gut: hätte schlimmer kommen können
Gut: Stimuluspaket, Auto-Bail-out; Notenbankpolitik der Fed zeigte 2009 positive Wirkung
Befriedigend: nicht genug aktive Arbeitsmarktpolitik
Ausreichend: zu zögerlich, mehr Umschuldungsprogramme wären nötig gewesen
Durchgefallen: nicht genug für einen Kompromiss gekämpft; Aufgabe delegiert
Dabei wird sich der künftige Präsident nach der Wahl vor allem einer Aufgabe zuwenden müssen: der Sanierung des Haushalts. Das Loch im Staatsetat beträgt mehr als eine Billion Dollar, die USA haben einen Schuldenberg von 16 Billionen Dollar aufgetürmt. Kurz nach der Wahl spitzt sich die Lage zu. Die Amerikaner, in Sachen Dramatik in Hollywood geschult, haben das drohende Ereignis "Fiscal Cliff" getauft – und könnten daran Schiffbruch erleiden.
Am 2. Januar 2013 werden automatische Haushaltskürzungen von jährlich rund 100 Milliarden Dollar fällig. Der sogenannte "Sequester" geht auf die Verhandlungen zur Haushaltssanierung aus dem vergangenen Jahr zurück. Für den Fall, dass sich die Parteien nicht auf weitere Einsparungen einigen würden, vereinbarte der Kongress im August 2011 automatische Kürzungen – und die stehen jetzt an.