
Barack Obama darf weitermachen. Das Votum der Bürger fiel überraschend deutlich aus. Mindestens 303 Wahlmänner-Stimmen konnte der Amtsinhaber auf sich vereinen. Er siegte in fast allen "Swing States" und darf seine vier Jahre lang Arbeit fortsetzen. Einen leichten Job hat er nicht vor sich. Obama muss in seiner zweiten Amtszeit die Eiszeit zwischen Demokraten und Republikanern beenden und überfällige Reformen durchsetzen. Er muss den Staatshaushalt sanieren, ohne das Land in die nächste Rezession zu stürzen.

Denn Fakt ist: Auch wenn die US-Wirtschaft im dritten Quartal überraschend deutlich um – auf das Jahr hochgerechnete – zwei Prozent gewachsen ist, kämpft die größte Volkswirtschaft der Welt mit massiven Problemen. Millionen Amerikaner sind auf Essensmarken angewiesen, die Kluft zwischen Arm und Reich geht immer stärker auseinander, das Gesundheitssystem ist ineffizient und teuer. Es fehlen Jobs, es mangelt an qualifizierten Fachkräften. Doch es gibt auch Zeichen der Hoffnung: Vielerorts kehrt die Industrie zu alter Stärke zurück, neu entdeckte Gas- und Ölreserven beflügeln die Wirtschaft, sogar der Immobilienmarkt erholt sich langsam. WirtschaftsWoche-Korrespondentin Angela Hennersdorf ist durch ein Land der Gegensätze gereist.
New York
Obamas umkämpfte Gesundheitsreform hat wenig geändert: Das US-Gesundheitssystem ist ineffizient und für viele Menschen unerschwinglich
Die Zahnarztpraxis von Dr. Robert Rosenkranz liegt im Souterrain eines Wohnhauses im bürgerlichen Viertel Park Slope in Brooklyn. Der Eingangsbereich ist gleichzeitig Wartezimmer und Empfang, mehr als fünf Stühle für die hoffenden Patienten gibt es nicht. Ein Fernseher an der Wand plärrt vor sich hin. Die Wände sind gelb gestrichen, die fünf Behandlungsräume sind fensterlos. Statt Türen gibt es Vorhänge.
Hier liegen Romney und Obama Kopf an Kopf
In mindestens 41 Staaten steht quasi bereits fest, wer in der Gunst der Wähler vorne liegen wird. Obama kann etwa mit einer deutlichen Mehrheit in Kalifornien und seiner Heimat Illinois rechnen, Texas und der gesamte Süden sind traditionell an die Republikaner vergeben. Jene neun Staaten, in denen der Ausgang offen ist, werden als "Swing States" bezeichnet.
Aus keinem Bundesstaat der USA stammen mehr US-Präsidenten als aus Virginia. Acht ehemalige Staatsmänner sind in Virginia, dem 8-Millionen-Einwohner-Staat an der Ostküste, geboren. Mit dieser Zahl kann nur Ohio mithalten, das ebenfalls Heimat von acht US-Präsidenten ist.
Bis heute spielt Virginia bei den US-Wahlen eine wichtige Rolle. Zwar galt der Bundesstaat seit dem Amerikanischen Bürgerkrieg lange Zeit als anti-republikanisch, doch von 1952 bis heute haben die Bürger des „Old-Dominion“-States nur noch 1964 mit Lyndon B. Johnson und erst wieder 2008 mit Barack Obama für einen demokratischen Präsidentschaftsbewerber gestimmt.
Virginia entsendet 2012 13 Wahlmänner ins "Electoral College", das den Präsidenten und den Vizepräsidenten wählt. Laut Umfragen wollen derzeit 48 Prozent der Wähler für Romney stimmen, 47 Prozent würden derzeit für Obama votieren.
18 Wahlmänner stehen in Ohio auf dem Spiel. Gewinnt Obama hier, braucht er – neben den erwarteten Siegen – nur noch einen der kleinen "Swing States" holen (etwa Iowa), um eine zweite Amtszeit im Weißen Haus antreten zu können.
Ohio ist ein klassischer Arbeiterstaat, die Industrie stellt einen großen Teil der Jobs. Viele Jobs sind konjunkturabhängig, schwächelt die Wirtschaft, ist Ohio meist besonders betroffen. Der Bundesstaat ist traditionell ein "Swing State". Demokratische Hochburgen befinden sich im Nordosten Ohios, etwa um die Städte Cleveland und Youngstown. Im Südwesten votieren viele Bürger hingegen für die Republikanische Partei. Derzeit liegt Obama in der Wählergunst vorne. 47,6 Prozent der Bürger wollen für ihn stimmen, 45,7 Prozent für Romney.
Der Staat im Westen der USA ist landwirtschaftlich geprägt. Neben der Viehwirtschaft trägt auch der Bergbau entscheidend zum Bruttoinlandsprodukt bei. Nevada wäre aufgrund seiner Struktur klassisches republikanisches Gebiet – wäre da nicht Las Vegas. Die größte Stadt des 2,7-Millionen-Staates ist liberal und Hoheitsgebiet der Demokraten. Insgesamt ist Nevada ein klassischer "swing state": Mal gewinnen hier die Demokraten (wie bei der letzten Wahl 2008), mal die Republikaner (wie 2004 unter George W. Bush).
In dem siebtgrößten Bundesstaat geht es 2012 um sechs Wahlmänner. Obama liegt den Umfragen zufolge mit 49,0 zu 46,0 Prozent vorne.
Bis 2008 konnten die Demokraten seit dem Ende des zweiten Weltkriegs nur drei Mal die Mehrheit in Colorado holen (1948 unter Harry S. Trumann, 1964 unter Lyndon B. Johnson und 1992 unter Bill Clinton).
Dennoch gilt der Rocky-Mountains-Staat inzwischen als "Swing State". Grund ist vor allem die Urbanisierung der Hauptstadt Denver. Im Großraum der Universitätsstadt lebt knapp die Hälfte des 5-Millionen-Staates. Sie wählen zumeist demokratisch.
So auch 2008, als Barack Obama als vierter Demokrat seit 1945 den Staat für seine Partei gewinnen konnte. 2012 geht es um neun Wahlmänner, Romney liegt in den Umfragen mit 47,8 Prozent zu 47,6 Prozent derzeit knapp vorne.
Die größte Stadt Iowas, Des Moines, hat gerade einmal gut 200.000 Einwohner, die Wirtschaft setzt auf den Verkauf von Maschinen, Elektronik, Schweine, Mais und Kartoffeln. Iowa wird in den USA wenig beachtet – es sei denn, es ist Wahlkampf.
Traditionell ist Iowa der Staat, in dem die ersten Vorwahlen der Parteien abgehalten werden. Und die haben eine besondere Bedeutung, denn seit 1972 hat fast kein Kandidat mehr die Nominierung seiner Partei gewonnen, wenn er nicht zuvor im Agrarstaat gewonnen hat. Anders 2012. Mitt Romney unterlag denkbar knapp seinem Herausforderer Rick Santorum. Dennoch musste der gläubige Christ im April passen und dem ungeliebten Romney den Vortritt überlassen.
In den Umfragen liegt Obama derzeit mit 2,0 Prozentpunkten in der Wählergunst vor Romney.
Der Mini-Staat an der Nordost-Küste der USA ist der konservativste Staat der Region. Während alle anderen Staaten an der Nordost-Küste traditionell demokratisch wählen, wechseln die Mehrheitsverhältnisse in New Hampshire oft.
Obama wird es – trotz einer Führung in den Umfragen von 1,2 Prozentpunkten – schwer haben, die vier Wahlmänner hier zu gewinnen. Denn die Bürger sind nicht nur launisch, sondern auch sehr liberal. Sie leben das Staatsmotto, das lautet: "Live free or die" – "Lebe frei oder stirb".
Zu viel Macht des Staates lehnen sie ab. Steuererhöhungen ebenso. In New Hampshire, das vom Bergbau, der Elektro- und Papierindustrie lebt, gibt es keine allgemeinen Mehrwert- oder Einkommensteuern.
Im "Sunshine State" wird sich die US-Wahl 2012 entscheiden. Wenn Mitt Romney eine Chance auf den Einzug ins Weiße Haus haben will, muss er Florida gewinnen. Verliert er, gehen die Stimmen von 29 Wahlmännern an Barack Obama, der dann auch ohne den Gewinn eines weiteren "Swing States" deutlich vorne liegen würde.
Derzeit sieht es gut für Romney aus. 48,4 Prozent der Wähler aus Florida wollen für den Republikaner stimmen, nur 46,6 Prozent für Obama.
Der Ostküstenstaat, rund zehn Autostunden von der Hauptstadt Washington D.C. entfernt, wählte in den letzten vier Jahrzehnten fast immer für den republikanischen Präsidentschaftskandidaten. Ausnahme: Jimmy Carter, 1976, und Barack Obama, 2008.
In diesem Jahr deutet Vieles darauf hin, dass die Republikaner den Staat und damit alle 15 Wahlmänner-Stimmen gewinnen werden. Mitt Romney führt in den Umfragen mit 50,3 Prozent zu 44,7 Prozent.
Der "Dachs-Staat" im Norden ist geprägt von ländlich-konservativen und großstädtisch-liberalen Regionen. 2004 und 2008 konnten die Demokraten in Wisconsin gewinnen. Auch in diesem Jahr liegt Obama in den Umfragen vorne. 49,8 Prozent tendieren derzeit dazu, Obama zu wählen, 47,0 Prozent wollen für Romney stimmen.
Das Ambiente ist arg bescheiden, doch zählt Rosenkranz zu den Top-Zahnärzten in Amerika, ausgezeichnet von der Verbraucherorganisation Consumer Research Council of America in Washington. Auch beim New Yorker Kunden-Portal „Talk of the Town“ bekommt der Zahnarzt Bestnoten von Patienten. Die Praxis ist mit den neuesten Geräten ausgestattet, Rosenkranz arbeitet eng mit Spezialisten zusammen, die bei Bedarf zu ihm kommen.
Das Problem ist nur: Nicht jeder vom Zahnschmerz gepeinigte New Yorker kann sich die Dienste von Dr. Rosenkranz leisten. Eine Zahnreinigung kostet bei ihm rund 300 Dollar, für eine Wurzelbehandlung beim Spezialisten sind mindestens 1.000 Dollar fällig. Bei einem Durchschnittsverdienst von 45.500 Dollar im Jahr ist das für viele New Yorker unerschwinglich. Die Arbeitslosenquote in der City liegt mit 9,5 Prozent über dem nationalen Durchschnitt von derzeit knapp unter acht Prozent.
Natürlich gibt es auch günstigere Zahnarztdienste in der Stadt als die von Rosenkranz. In ärmeren Vierteln, in der Bronx und in Queens, tingeln einfache mobile Zahnarztpraxen in Lastwagen von Schule zu Schule, um Löcher zu stopfen und Zähne zu ziehen. Doch das ändert nichts an einem zentralen sozialpolitischen Problem der USA: Das Land hat hervorragende Ärzte und Spitzenkliniken – nur können sich deren Dienste Millionen Amerikaner nicht leisten, weil sie keine Krankenversicherung haben.