USA Die letzten Wirtschaftswähler

Unterstützer von US-Präsident Donald Trump bei einer Wahlkampfveranstaltung in Missouri Quelle: REUTERS

Bei den Zwischenwahlen stellt sich Trumps Partei vor allem im Repräsentantenhaus auf Verluste ein. Die brummende Wirtschaft zieht nicht als Wahlkampfthema für die breite Masse. Unter Mittelständlern sind die Sorgen groß.

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Es gibt viele Gründe, West Virginia zu lieben. Der US-Bundesstaat schmiegt sich idyllisch in die Berge der Appalachen. Gerade im Herbst, wenn sich die Blätter an den Bäumen der Gebirgswälder verfärben und über den Pässen tiefe Wolken hängen, präsentiert sich der Mountain State in atemberaubender Schönheit.

Trotzdem hat der Ruf des Staates in den vergangenen Jahren gehörig gelitten. West Virginia wurde zur Chiffre für Trump-Country. Nirgendwo war der Sieg des US-Präsidenten so strahlend wie hier. Fast 70 Prozent der Wähler gaben ihm ihre Stimme – ein Erdrutsch, gefüttert aus wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit und Enttäuschung mit den vorherrschenden Verhältnissen.

Ihre Hoffnungen wurden nicht enttäuscht. Mittlerweile geht es mit West Virginia wieder aufwärts. Die Wirtschaft wächst, Jobs sind in den Staat zurückgekehrt. Zwar freuen sich die USA insgesamt bereits seit vielen Jahren über robustes Wachstum und sinkende Arbeitslosigkeit, an manchen Regionen des Landes ging der Aufschwung jedoch lange fast folgenlos vorbei. Nicht mehr. Mittlerweile spürt auch der langjährige Krisenstaat, dass es wieder aufwärts geht. Der Wendepunkt liege ziemlich genau zwei Jahre zurück, heißt es bei Unternehmern im Staat. Damals gewann Donald Trump die Präsidentschaftswahl.

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Wenn es mit der Wirtschaft in West Virginia aufwärts geht, dann spürt Kim Mack das sofort. Die Präsidentin von Cyclops Industries sitzt in ihrem kleinen Büro in einem windschiefen Haus in South Charleston. Unten in der Werkstatt fertigen derweil ihre Angestellten Sichtvorrichtungen für Industrieanlagen. Vorsichtig fügen sie Spezialglas in stählerne Halterungen ein. So entstehen Sichtvorrichtungen, die etwa in Anlagen der Gas- oder der chemischen Industrie eingebaut werden.

Cyclops Industries ist ein kleines Unternehmen, aber eines mit einem hervorragenden Ruf. Die Firma ist fest in West Virginia verankert. Im kommenden Jahr feiert der Familienbetrieb 60-jähriges Jubiläum, Mack führt ihn in der dritten Generation. Irgendwann will sie den Betrieb an ihren Sohn übergeben – für die Familie, aber auch für ihre Heimat, der sie sich sehr verbunden fühlt. Um ihren Hals hängt eine Silberkette mit rundem Anhänger, aus dem der Umriss West Virginias ausgestanzt ist. Auch ihre Ohrringe haben die Form des Mountain States.

Es ist nicht nur die emotionale Verbindung nach South Charleston, die für Mack wichtig ist. Ihr Geschäft ist fest mit der Region verbunden. Zwar exportiert Cyclops seine Produkte in mehr als 20 Länder – von Kanada über Ungarn bis nach Vietnam – aber entscheidend für den Erfolg des Unternehmens ist immer noch der Heimatmarkt. Wenn es für West Virginia gut läuft, dann profitiert auch Mack. Entsprechend besorgt schaut sie auf die Zwischenwahlen. „Ich hoffe, dass es gut weitergeht“, sagt sie.

Macks Sorge ist nicht aus der Luft gegriffen. Sollten die Midterms in der kommenden Woche so ausgehen, wie es die Umfrageinstitute gemeinhin prognostizieren, dann steht den USA wohl mindestens zwei Jahre politische Blockade bevor. Die oppositionellen Demokraten haben gute Chancen, das Repräsentantenhaus nach acht Jahren zurückzuerobern. Im Senat sieht es deutlich schlechter aus, aber schon die Kontrolle über eine Kammer des Kongresses gäbe der Partei die Möglichkeit, größere Vorhaben des Weißen Hauses auszubremsen.

Trumps wirtschaftsfreundliche Agenda dürfte damit einen gewaltigen Dämpfer bekommen. Schließlich misstrauen sich Demokraten und Republikaner in Washington so sehr, dass eine Zusammenarbeit in großen Fragen wie etwa der Steuerpolitik wohl kaum denkbar ist. Zwar kann das Weiße Haus per Verordnung durchaus noch einiges bewegen, gerade im Bereich Deregulierung, mit wegweisenden Richtungsentscheidungen in der Wirtschaftspolitik ist jedoch nicht mehr zu rechnen, bevor 2020 die nächste Präsidentschaftswahl ansteht.

Für Wähler wie Mack ist das eine Horrorvorstellung. Sie hatte gehofft, dass Trumps unternehmerfreundlicher Kurs mindestens fortgesetzt werden kann. Denn das es mit West Virginia und ihrem Geschäft wieder aufwärts geht, verknüpft sie eng mit der Arbeit des Präsidenten. „Seine Führung in Washington hat uns sehr geholfen“, sagt sie. „Wenn Hillary Clinton damals gewonnen hätte, läge hier alles in Trümmern.“

Es fehlen Aus- und Weiterbildungsprogramme

Mack ist mit ihren Ängsten nicht allein. Kleinunternehmer und Mittelständler stehen traditionell den Republikanern näher – und in diesem Milieu wächst die Sorge vor einem Kurswechsel.

Während die Wirtschaft insgesamt als Wahlkampfthema für die US-Bevölkerung in diesem Jahr kaum zieht, messen Republikaner dem Thema nach wie vor sehr große Bedeutung bei. 85 Prozent der republikanischen Wähler halten es laut Zahlen des Meinungsforschungsinstituts Pew für wichtig oder sehr wichtig – weit mehr als im Bevölkerungsdurchschnitt.

Daran ändert auch nichts, dass das Weiße Haus fast schon verzweifelt in den letzten Tagen vor der Wahl versucht, die eigene Bilanz herauszustellen. Doch die Nachricht kommt in der breiten Bevölkerung nicht an. Sogar die Steuerreform, die größte legislative Leistung des Präsidenten, ist unbeliebt.



In einer Umfrage gab zuletzt nicht einmal ein Viertel der Befragten an, persönlich stark von der Senkung der Sätze zu profitieren. Trump fabulierte deshalb im Wahlkampf zuletzt von einer weiteren Steuersenkung, speziell für die Mittelschicht, die noch vor den Wahlen den Kongress passieren sollte. Dass weder im Repräsentantenhaus noch im Senat jemand etwas von dem Vorstoß wusste, half nicht gerade, um beim Thema Wirtschaft im Wahlkampf wieder in die Offensive zu kommen – ganz abgesehen davon, dass der Kongress derzeit pausiert und vor den Wahlen auch nicht mehr zusammenkommt.

Trotzdem will das Weiße Haus das Feld nicht aufgeben – schließlich galt es als politisches Naturgesetz, dass Amtsinhaber von starken Wirtschaftszahlen profitieren. Zuletzt lobte Präsidententochter Ivanka Trump die wirtschaftspolitischen Erfolge der Regierung. Ihre Schwägerin Lara ging derweil auf Tour, um auch vor Ort für die Republikaner zu werben. Einer ihrer ersten Auftrittsorte: Huntington, West Virginia. Wie groß Trumps Einfluss auf den Aufschwung in West Virginia tatsächlich ist, darüber lässt sich streiten. Sein Amtsantritt fiel zufällig mit der Fertigstellung lange geplanter Pipeline-Projekte zusammen, die der Erdgasindustrie im Staat einen gehörigen Schub verschafften.



Auch der vermeintliche Kohle-Boom, auf den der Präsident gern verweist, ist bei näherem Hinsehen eher überschaubar. Zwar haben steigende Weltmarktpreise dafür gesorgt, dass amerikanische Minen wieder mehr fördern und einige neue Jobs schaffen, insgesamt sind seit Trumps Amtseinführung aber nur rund 2000 neue Kohle-Arbeitsplätze in den USA entstanden. In West Virginia sind es nur ein paar Hundert. Nicht viel, aber genug, um in einem Staat, vor dessen Kapitol eine Statue zu Ehren der Kohle-Kumpel errichtet wurde, die Hoffnung zurückzubringen.

Unbestritten ist jedoch, dass die Deregulierungspolitik und die Steuerreform des Präsidenten Unternehmen das Leben erleichtert. „Wir spüren, dass es den Großen gut geht. Und wenn es ihnen gut geht, dann geht es uns gut“, sagt Mack. Als West Virginia vor sich hinsiechte, gingen auch ihre Verkaufszahlen zurück. Jetzt, wo der Aufschwung auch in den Appalachen ankommt, läuft es besser.

Das schafft neue Probleme. „Unsere Produktion ist zu langsam“, sagt Mack. Neue Maschinen sollen die Fertigung beschleunigen. Gleichzeitig wird es für sie immer schwerer, ihr Personal zu halten. „Die Großen machen uns das Leben schwer, indem sie unsere Facharbeiter mit besseren Gehältern abwerben“, sagt sie. Qualifizierte Mitarbeiter zu finden wird so auch für sie immer schwerer.

Zwar sind solche Probleme für Mittelständler deutlich angenehmer als die Angst, ob es das Unternehmen noch eine Zukunft hat. Gelöst werden müssen sie aber trotzdem. Es fehle an Aus- und Weiterbildungsprogrammen, beklagen Unternehmer im ganzen Land. Auch sei es angesichts der Stimmung im Land derzeit schwierig, qualifiziertes Personal aus dem Ausland anzuwerben oder die notwendigen Papiere zu beschaffen. Und die löchrige und verrottete Infrastruktur in weiten Teilen der USA sind längst auch für Firmen mehr als nur ein Ärgernis.

An wirtschaftspolitischen Wünschen für die kommenden Jahre mangelt es also nicht. Dass sie erfüllt werden, danach sieht es derzeit allerdings nicht aus. Trotzdem will Mittelständlerin Mack die Hoffnung noch nicht aufgeben – die Hoffnung, dass der vermeintliche Deal-Maker Trump auch mit einem demokratischen Repräsentantenhaus zurecht kommen könnte. „Wir brauchen seine Führung“, sagt sie.

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