USA Ein Volk ohne Reserven

Trotz Konjunkturerholung ist die Finanzlage vieler Amerikaner angespannt. Zwei Dritteln fehlt laut einer Studie ein Notgroschen. Die soziale Unsicherheit könnte erklären, warum schrille Töne im Wahlkampf gut ankommen.

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Anhänger von Donald Trump vor einer Wahlkampfveranstaltung. Zwei Drittel der Amerikaner hätten Probleme mit einer unvorhergesehenen 1000-Dollar-Rechnung. Quelle: AP

New York Zwei Drittel der Amerikaner hätten Schwierigkeiten, eine unerwartete Ausgabe von 1000 Dollar (890 Euro) zu meistern. Das geht aus einer gemeinsam durchgeführten Umfrage der Nachrichtenagentur AP und dem NORC Center for Public Affairs Research hervor. Die angespannte Finanzlage vieler US-Haushalte geht durch alle Einkommensschichten und besteht trotz der wirtschaftlichen Erholung seit der Rezession vor acht Jahren weiter.

Bei der Umfrage wurden zwischen dem 14. und 18. April 1008 Erwachsene befragt, die einen repräsentativen Querschnitt der US-Bevölkerung abbilden sollen. Bei den Jahreseinkommen bis 50.000 Dollar (45.000 Euro) sagten 75 Prozent, sie hätten keine Reserve, um eine dringende größere Ausgabe bezahlen zu können. Bei den Jahreseinkommen zwischen 50.0000 und 100.000 Dollar ging dieser Anteil nur auf 67 Prozent zurück. Und selbst bei dem wohlhabendsten Fünftel der US-Bürger mit mehr als 100.000 Dollar Einkommen im Jahr sagten 38 Prozent, sie hätten keine Reserve für eine unvorhergesehene 1000-Dollar-Rechnung.

„Die Sorgen nehmen zu, je mehr wir über die Ausgabenbilanz der Amerikaner erfahren“, sagt Caroline Ratcliffe, eine Expertin des Urban Institutes, das sich mit Armutsfragen befasst. Ein Notgroschen gilt als wichtige Stütze der finanziellen Gesundheit von Familien. Damit sind Ersparnisse gemeint, die nicht für die Altersversorgung zur Seite gelegt werden. Das Urban Institute hat herausgefunden, dass Familien mit selbst kleinen Rücklagen zwischen 250 und 749 Dollar weniger in Gefahr sind, in einer Notlage Haus oder Wohnung zu verlieren oder ein Fall für Sozialhilfe zu werden.

„Menschen ohne Ersparnisse sind extrem gefährdet“, erklärt Ratcliffe. „Und es ist auch eine Belastung für die Steuerzahler.“

Der 66-jährige Harry Spangle ist ein typisches Beispiel. Der frühere Elektriker aus New Jersey sagt, er sei immer davon überzeugt gewesen, Arbeit zu haben und habe „in den Tag gelebt“. Vor der großen Finanzkrise 2007/2008 habe er aber seinen Job verloren. „Ich habe eine Rente und bekomme Sozialhilfe, kann aber eine großen Sprünge machen“, sagt er. „Es ist deprimierend.“

Zwei Drittel der Befragten sagen aber auch, sie seien trotz mangelnder Ersparnisse nicht über ihre Finanzlage besorgt. Das deutet darauf hin, dass sie in ihrem Alltag gut über die Runden kommen - solange nichts außerhalb ihrer Kontrolle passiert. Das kann ein Kursrückgang an der Börse sein, der ihren Arbeitsplatz in Gefahr bringt, eine unerwartete medizinische Behandlung oder dringende Reparaturen an Haus oder Auto.

Die meisten würden eine nicht vorhergesehene 1000-Dollar-Rechnung eher nicht bar zu bezahlen, geht aus der Umfrage hervor. Ein Drittel würde sich das Geld von einer Bank oder Freunden und Familie leihen - oder einfach mit der Kreditkarte bezahlen. 13 Prozent würden umschichten, also andere Rechnungen nicht mehr begleichen. Und elf Prozent sagen, sie würden die 1000 Dollar wahrscheinlich überhaupt nicht bezahlen.

Diese Zahlen legen den Schluss nahe, dass viel US-Familien keinen Notgroschen auf einem Sparbuch oder unter ihren Matratzen haben. Neu ist das Phänomen nicht. Schon in den 1990er Jahren zeigten drei Umfragen von CBS und „New York Times“ auf, dass die meisten Amerikaner Probleme hätten, eine 1000-Dollar-Notlage zu schultern. Das sind die letzten Daten vor der Rezession 2007. Die AP-NORC-Zahlen passen auch zu einer Erhebung der US-Zentralbank von 2015. In der erklärten 47 Prozent der Befragten, sie hätten keine Reserve für eine dringende Ausgabe über 400 Dollar.


Gefahr der Altersarmut

Die angespannten privaten Finanzlagen wirken sich auch auf die Rücklagen fürs Alter aus. 54 Prozent sagen in der AP-NORC-Umfrage, sie glaubten nicht, genug Reserven für den Ruhestand zu haben. Nur 14 Prozent sind sich sicher, bei Erreichen des Rentenalters sich den Ruhestand auch finanziell leisten zu können.

Die Ergebnisse der Umfrage werfen ein Schlaglicht darauf, wie Frustrationen vieler Amerikaner über die Wirtschaft, Einkommensungleichheiten und soziale Unsicherheit zu schrillen Tönen im Rennen um die Präsidentschaftskandidatur beigetragen haben.

Der republikanische Bewerber und Milliardär Donald Trump eilt mit einer populistischen Plattform von Sieg zu Sieg: Er will illegale Einwanderer schlicht hinauswerfen, Freihandelsabkommen neu verhandeln und „Amerika wieder groß machen“. Bei den Demokraten feiert Bernie Sanders mit linken Forderungen Erfolge, den Einfluss der Finanzmärkte zu begrenzen und Reichen höhere Steuern abzuverlangen.

Die Gründe, warum Amerikaner nicht sparen, sind vielschichtig. Einige Ökonomen sagen, das hänge mit der hohen Inflation in den 1970er und 1980er Jahren zusammen, die Sparguthaben schrumpfen ließ. Andere verweisen darauf, dass das Steuersystem eher Rücklagen fürs Alter fördere oder Hypotheken für den Erwerb von Immobilien.

Hinzu kommt, dass seit der Rezession die Löhne und Gehälter nicht wesentlich gestiegen sind. In der AP-NORC-Umfrage sagen 46 Prozent der Befragten, ihre Einkommen hätten in den vergangenen fünf Jahren stagniert. 16 Prozent sagten, sie hätten Lohnkürzungen hinnehmen müssen. Die Lebenshaltungskosten sind aber gestiegen - für Mieten, Gesundheit, Lebensmittel.

Mitchell Timme ist einer derjenigen, deren Löhne in den vergangenen Jahren nicht gestiegen sind. Der bei einer Sicherheitsfirma in Phoenix angestellte 26-Jährige kommt gerade so über die Runden. Wenn alle Lebenshaltungskosten bezahlt sind, „ist nichts übrig“. „Das ist auf jeden Fall ein Stress im Alltagsleben“, sagte er. „Das hängt über einem. Man beschwert sich nicht ständig darüber, aber es ist da und es ist eine Last.“

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