
Nach mehreren Fiskalklippen, bei denen die USA in den vergangenen Jahren an den Rand einer Insolvenz geriet, steuert das Land nun auf eine Verkehrsklippe zu: Wenn sich der Kongress in Washington nicht bald zu einer neunen Finanzierung von Baumaßnahmen im Verkehrsbereich durchringen kann, droht etlichen Baustellen der sofortige Stopp – und das ausgerechnet im Sommer, wenn Reparaturen an Straßen und Brücken wegen der Ferienzeit Hochkonjunktur haben. Die Reparaturen sind dringend nötig. Tausende Straßenabschnitte, Brücken und Gleisstrecken sind in einem maroden Zustand, weil die USA über Jahrzehnte zu wenig in die Erhaltung investierte.
Die Mittel des Bundes für die Instandhaltung der Verkehrsinfrastruktur stammen zu zwei Dritteln aus dem „Highway Trust Fund“, der sich aus Benzinsteuern des Bundes speist. Der Rest kommt aus dem allgemeinen Steueraufkommen. Voraussichtlich am 31. Juli sind die Töpfe des „Highway Trust Fund“ leer. Wo das Geld für Bauarbeiten dann herkommen soll, ist unklar und höchst umstritten. Die meisten Demokraten und ein Teil der Republikaner tendieren zu Steuererhöhungen. Doch ein Teil der Republikaner lehnt Steuererhöhungen kategorisch ab und würde notwenige Projekte lieber durch Kürzungen bei anderen Ausgaben ermöglichen. Schon jetzt drohen die Demokraten, dass sie beim Sturz über die Verkehrsklippe die Republikaner für Baustopps, Chaos auf den Straßen oder Unfälle verantwortlich machen werden.
Die größten Infrastruktur-Mängel in den USA
Das Straßenbild der USA ist gezeichnet von Schlaglöchern und Rissen im Asphalt. 36 Prozent der Autobahnen sind durchweg überlastet.
Der Zug gilt in den USA als unzuverlässiges Fortbewegungsmittel. Reisende erreichen ihr Ziel nur bei 77 Prozent der Fahrten pünktlich. Zum Vergleich: in Europa sind es 90 Prozent. Außerdem gibt es kein gut ausgebautes Hochgeschwindigkeitsnetz. Schnellzüge fahren somit im Schnitt nur 115 Kilometer pro Stunde.
Auch bei Flügen ist in den USA mit Verspätungen zu rechnen. Die Flughäfen sind überaltert und überlastet. Drei Prozent der Start- und Landebahnen sind im schlechten Zustand.
Einige der Brücken in den USA gelten nicht nur als überaltert, sondern als gefährlich. Von rund 600.000 Brücken sind 160.000 einsturzgefährdet.
Auch die Staudämme der USA weisen Sicherheitsmängel auf. Ihr Durchschnittsalter beträgt 51 Jahre. Erschreckend sind die Wartungsverhältnisse: In Texas kommen auf 7400 Staudämme lediglich sieben überwachende Ingenieure.
Für die Sanierung von Schulgebäuden investieren die USA zu wenig. Im Jahre 2005 fand der Unterricht von 37 Prozent aller Schulen in improvisierten Klassenräumen aus Fertigbauteilen statt.
Das Stromnetz der Vereinigten Staaten ist marode. Das Risiko von Stromausfällen, verursacht durch Stürme und herabfallende Äste, ist so groß, dass Elektrizitätswerke den US-Bürgern zum Kauf eines eigenen Generators raten.
Die Wasserleitungen der USA zeichnen sich durch ihr Alter von 60 Jahren und die Defekte aus. Knapp 30 Millionen Liter Wasser versickern täglich in der Erde. Auch die Wasserwerke sind veraltet und sanierungsbedürftig.
Auf der Suche nach einem Ausweg sind zunächst die Republikaner am Zug. Sie müssen im Repräsentantenhaus, wo sie die Mehrheit haben, eine Lösung vorschlagen. Ein neuer Vorschlag des republikanischen Abgeordneten Reid Ribble aus Wisconsin könnte Bewegung in die verfahrene Lage bringen. Sein Gesetzentwurf mit dem Namen „Die Brücke zu einem nachhaltigen Infrastrukturgesetz“ sieht einen Kombination der zwei Denkrichtungen vor: Sparen plus Steuererhöhungen. Viele Ausgaben sollen auf den Prüfstand kommen, aber die Benzinsteuer soll auch erhöht werden und zwar regelmäßig und im Gleichschritt mit der Inflation. Das ist bisher nicht gemacht worden: Die Steuer des Bundes beträgt seit über 20 Jahren 18,4 Cent pro Gallone (3,8 Liter) Benzin und 24,4 Cent pro Gallone Diesel. 17 Abgeordnete beider Parteien unterstützen den Gesetzentwurf Ribbles.
Nicht nur die Inflation knabbert an den Mittel des „Highway Trust Fund“: „Die Amerikaner fahren immer weniger Auto, nutzen häufiger öffentliche Verkehrsmittel und haben immer sparsamere Autos“, sagt der frühere Verkehrsminister Ray LaHood. „Das alles führt zu einem geringen Benzinverbrauch und damit zu geringeren Steuereinnahmen.“ So steht immer weniger Geld für Infrastruktur zur Verfügung, obwohl immer höhere Summen benötigt werden, um die alten Straßen, Brücken und Schienen zu sanieren. Ganz zu schweigen von den Mitteln, die das Land bräuchte, um die Infrastruktur auszubauen.
Ausland
Ob die Steuererhöhungspläne des Republikaners Ribble die nötige Unterstützung finden, ist allerdings fraglich. Denn die Aversion der Amerikaner gegen Steuererhöhungen ist enorm. Der Bundesstaat New Jersey südlich von New York ist dafür das beste Beispiel. Über 2300 von insgesamt 6600 Brücken in New Jersey sind dringend sanierungsbedürftig. Autofahrer müssen selbst auf großen Bundesstraßen Schlangenlinien um tiefe Schlaglöcher fahren. So desaströs ist die Lage fast in keinem anderen Bundesstaat. Doch von der Verkehrsinfrastrukturkasse des Bundesstaates, dem „Transportation Trust Fund“, ist keine Hilfe zu erwarten. Die Lage ist dort noch düsterer als auf Bundesebene: Die Kasse hat 18,2 Milliarden Dollar Schulden und verwendet praktisch die gesamten Jahreseinnahmen von 1,2 Milliarden Dollar zu Schuldentilgung. Am ersten Juli kann der „Transportation Trust Fund“ keinen Cent mehr auszahlen.
Es wäre naheliegend, die Benzinsteuern in New Jersey, die zusätzlich zu den nationalen Steuern von 18,4 Cent erhoben werden, zu erhöhen. Denn: Die Steuern in New Jersey betragen nur 14,5 Cent, das ist nach dem Bundesstaat Alaska der zweitniedrigste Wert in den USA. Doch Gouverneur Chris Christie, der möglicherweise bei der Präsidentschaftswahl 2016 für die Republikaner kandidieren will, hat schon abgewunken: Höhere Benzinsteuern, sagt er, werde es mit ihm nicht geben.