




Neun Uhr morgens, und schon ist es richtig heiß in Salt Lake City, Hauptstadt des US-Bundesstaates Utah und Mekka von weltweit mehr als 13 Millionen gläubigen Mormonen. Hier haben sich im 19. Jahrhundert die mormonischen Pioniere angesiedelt, Flüchtlinge vor religiöser Verfolgung in anderen Regionen der USA. Hier in der Gegend floriert die streng mormonische Brigham Young University, und hier hat vor mehr als 40 Jahren Mitt Romney studiert, der republikanische Präsidentschaftskandidat von 2012. Hier muss man hinschauen, wenn man den heute 65-jährigen Romney verstehen will.
Pünktlich um neun beginnt der Sonntagsgottesdienst im Stadtteil Bonneville. In der Umgebung der Kirche sonnen sich schmucke Einfamilienhäuser mit blitzblanken Autos in den Einfahrten. Der Rasen ist überall frisch gemäht, Papierschnipsel liegen nirgendwo herum. Im Gemeindesaal schmettert Kevin Kirkpatrick mit lauter Stimme: „Ich will der Beste sein, ich will ein sauberes Leben führen und den Geboten Gottes gehorchen.“ 20 Kinder im Alter zwischen vier und elf Jahren singen mit und deklamieren im Chor die Namen der Propheten ihrer Kirche.
Staat und Religion sind in den USA rechtlich streng voneinander getrennt. Für den Mormonen und Politiker Romney wie für viele seiner Landsleute gehören sie aber untrennbar zusammen. „Kultur, was man glaubt, welche Werte man hat, wie man lebt, das spielt eine große Rolle für jeden Menschen“, sagt der Präsidentschaftsbewerber.
Erfolgreiche Mormonen
Nichts spricht dafür, dass Romneys kulturelle und religiöse Prägung ihm auf seinem bisherigen Lebensweg geschadet hat. Im Gegenteil: Die mormonische Minderheit hat den Ressentiments vieler andersgläubiger Amerikaner zum Trotz in den vergangenen Jahrzehnten überraschend viele erfolgreiche Unternehmer und Top-Manager hervorgebracht. Dazu gehören etwa der frühere Dell-Chef Kevin Rollins, die Mitglieder der Hotel-Dynastie Marriott, der Credit-Suisse-Top-Manager Eric Varvel, vor Jahrzehnten der Automobil-Manager George Romney und heute natürlich dessen Sohn Mitt. Mitt Romney hat als Mitgründer und Chef der Investmentfirma Bain Capital ein Vermögen gemacht, das auf 250 Millionen Dollar geschätzt wird.
Romney unterscheide nicht zwischen geistlichem und weltlichem Leben, sagt Jeff Benedict, erfolgreicher mormonischer Buchautor. „Der mormonische Stil in der Wirtschaft“, so ein Buchtitel Benedicts, äußere sich bei allen mormonischen Top-Managern in „enormem Ehrgeiz“, dem sie auch gerecht würden: „Was sie von anderen Managern unterscheidet, ist, dass ihre Kirche enorme Forderungen an sie stellt.“
Ehrgeiz und Askese – Mormonen trinken keinen Alkohol, keinen Kaffee und keinen Tee –, Eigenverantwortung, Opferbereitschaft und Disziplin: All das befördert Managerkarrieren wie politische Laufbahnen.