




Der Empfang ist frostig. „Geschlossen. Nur Mitarbeiter-Treffen heute“, ruft Brian Delle aus dem verschlossenen Wahlkampf-Büro der Republikaner in Alexandria, Virginia. Seit gut zwölf Stunden steht fest, dass Mitt Romney, der Mann, für den Delle und seine Kollegen monatelang gekämpft haben, die Präsidentschaftswahl gegen Barack Obama verloren hat. Schwer- und widerwillig trabt der 29-Jährige zu der gläsernen Eingangstür. „Was für ein Scheiß-Tag“, sagt Delle zur Begrüßung.
57,4 Millionen US-Amerikaner sind mit einem ähnlichen Gefühl am Mittwochmorgen aufgestanden. So viele Bürger nämlich haben für den Machtwechsel gestimmt und gegen Amtsinhaber Barack Obama votiert. Der Präsident holte US-weit 50 Prozent der Stimmen, Romney kam auf 48 Prozent. Fast im ganzen Land verlor der Amtsinhaber an Rückhaltung, selbst in demokratischen Hochburgen wie Kalifornien oder Connecticut haben weniger Menschen für Obama gestimmt als vor vier Jahren.
Das sagen die Analysten
"Anleger werden ihre Aufmerksamkeit sofort auf die anstehenden Themen wie die sogenannte 'Fiskalklippe' richten. Die Wahl-Entscheidung selbst sollte keinen allzu großen Einfluss haben. Die Differenzen zwischen den beiden Kandidaten waren gering und beide standen vor denselben Problemen wie der hohen Verschuldung."
"Ich hoffe sehr, dass Obama ab Anfang kommenden Jahres mit der EU über ein Freihandelsabkommen verhandelt. In seiner ersten Amtszeit hat er nur mit Panama, Kolumbien und Südkorea ein Freihandelsabkommen vereinbart. Das sind nicht gerade die führenden Wirtschaftsmächte der Welt. Kommt es zu einem Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU, würde dies das Wachstum auf beiden Seiten des Atlantiks binnen 18 Monaten um drei Prozent ankurbeln. Ich hoffe sehr, dass sich beide Seiten auf einheitliche wirtschaftliche Standards einigen werden. Sonst machen das die Chinesen."
"Die Auswirkungen auf die Märkte sollten gering sein. Wenigstens kann nun die Jahresendrally beginnen, vor allem angesichts der stabilen Wirtschaftsdaten. An der Politik wird sich nicht viel ändern. Obama wird in seiner zweiten Amtszeit nur wenig Bewegungsspielraum haben."
"Die Entscheidung über das amerikanische Oberhaupt für die nächsten vier Jahre ist gefallen und die Kapitalmärkte scheinen mit dem neuen 'alten' US-Präsidenten Barack Obama zufrieden zu sein."
"Die erste 'Kuh' ist vom Eis. Der martialische Unterton und auch der Klientelansatz Romneys wären für die Weltwirtschaft und notwendige evolutionäre Anpassungen in den globalen Machtstrukturen riskant gewesen. Es ist zwingend erforderlich, dass die USA ihre offene Flanke in den öffentlichen Haushalten angehen, um die mittel- und langfristige Bedeutung und Potenz der USA zu erhalten. Die konsumtive Verschwendung mangels Reformpolitik hat in den letzten Jahren seit 2007 die Basis der USA merklich unterhöhlt."
"Die Aussichten für Investoren werden von denselben Themen bestimmt wie vor der Wahl: Die eigentliche Sorge ist, wie die Politik mit der Frage der 'Fiskalklippe' umgehen wird."
"Größeren Rückenwind für den Euro/Dollar dürfte das Wahlergebnis nicht mit sich bringen, da Obama bereits nach den Umfragen als Favorit galt. Obama wird weiterhin mit Gegenwind aus dem Kongress rechnen müssen, da die Republikaner ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus verteidigten und in den nächsten Jahren ein politische Blockade nicht auszuschließen ist. Eine längere Hängepartie, in der ein sehr knappes Ergebnis von der unterlegenen Partei angefochten wird, ist aber zumindest vermieden worden."
„Wir sind nicht so geteilt, wie unsere Politik das glauben machen will“, sagte der 51-Jährige in der Nacht zum Mittwoch nach seinem Sieg über den Republikaner Mitt Romney – offenbar geblendet von seinen Glücksgefühlen. Denn wahr ist, dass das Land tief gespalten ist, in allen wichtigen politischen Fragen. Die Gesundheitsreform wird von 48 Prozent der Bürger befürwortet, 44 Prozent lehnen sie ab. 43 Prozent der Wähler vom Dienstag finden, der Staat müsse sich mehr in die Wirtschaft einmischen, knapp 50 Prozent sagen, Washington solle den Unternehmen freie Fahrt gewähren. Auch in Steuerfragen und sozialpolitischen Themen ist die Stimmungslage ähnlich, eine kompakte Mehrheit gibt es auf kaum einem Politikfeld.
Liberales Umfeld an der Ost- und Westküste
Fast vier Jahre haben die Konservativen darauf gewartet, sich mit ihrer Meinung durchzusetzen und Barack Obama wieder aus dem Amt zu jagen. „Ich freue mich darauf, am Mittwoch aufzuwachen und einen neuen Präsidenten im Amt zu wissen“, freute sich Rentner Robert Donnell noch am Montag bei einer Wahlveranstaltung der Republikaner in Fairfax, Virginia. Die Eignung von Romney für das Präsidentenamt? Zweitrangig. Hauptsache Obama verschwindet. Daraus wurde bekanntlich nichts. „Es ist eine Schande“, sagt Wahlhelfer Brian Delle in Alexandria. Dann nickt er entschuldigend und drückt die Tür zum Wahlkampf-Büro zu.
Amerika ist einen Tag nach der Wahl gespaltener denn je. Auf der einen Seite gibt es die liberalen Bundesstaaten an der Ost- und Westküste. Rund um Seattle, San Francisco, New York und Washington, D.C siegte Obama haushoch. In Maryland und Maine haben sich die Wähler für die Einführung der Homo-Ehe ausgesprochen. In Colorado darf ab sofort legal Marihuana geraucht werden und Wisconsin stellt mit Tammy Baldwin die erste offen lesbische Senatorin.