USA nach der Wahl Das Ende von Trumps Dolchstoßlegende

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Warum hat Trump trotz allem Erfolg?

Und was ist mit dem Vorwurf des Dumpings? Trump dufte ihn mit Recht gegen China erheben, nicht aber gegen Europa. Europäische Hersteller offerieren ihre Güter im US-Markt, obwohl sie in Europa mit deutlich höheren Lohn- und Sozialversicherungskosten zu kämpfen haben.

Donald Trump focht es nicht an. Ihm war die Wahrheit egal. Er lebte in seiner eigenen Welt, in der Welt seines Wunschdenkens. Wenn Trump nur etwas Ahnung vom Wirtschaften in der Welt und der Warenproduktion hätte, würde er sofort einsehen, dass der Vorwurf, die USA auszubeuten, auf Europa nicht zutrifft.

Die großen europäischen Konzerne haben spätestens seit den Achtzigerjahren Produktionsstätten in den USA aufgebaut - also schon lange so gehandelt, wie Trump es als Initiator einer neuen Handelspolitik für sich in Anspruch nimmt.

Die Konzerne und Mittelständler wollten nicht nur näher an ihren Kunden sein und kürzere Lieferzeiten erzielen, sondern auch ihr Wechselkursrisiko  reduzieren. Diese Zusammenhänge sollten jedem Studenten, zumal wenn er – wie Trump – einen Wirtschaftsabschluss an der Wharton School der University of Pennsylvania erlangt hat, bestens vertraut sein. Eigentlich.

Aber Trump strickte lieber an seiner amerikanischen Dolchstoßlegende - und lenkte mit Blut-und-Boden-Rhetorik von den eigentlich Verantwortlichen ab. Was im Fall Deutschlands im Ersten Weltkrieg die Fehlentscheidungen der deutschen Generalität waren, sind im Fall der USA die Fehlentscheidungen ihrer spezifischen „Generalität“ – inklusive der allmächtigen CEOs des Landes. Die Resonanz des Argumentationsmusters - damals in Deutschland, heute in den USA – basiert wesentlich auf der (wirtschaftlichen) Verunsicherung der Bevölkerungen und auf dem relativen Absinken beider Nationen, was ihre Stellung in der Welt anbelangt.

Warum hatte und Trump damit dennoch Erfolg - bis heute? Für uns Europäer ist die von Trump unablässig propagierte Gleichung „Regierung böse, Privatwirtschaft gut“ nur schwer zu begreifen. In der amerikanischen Bevölkerung gehört sie quasi zur nationalen DNA.

Wir Europäer denken mit Blick auf die amerikanische Geschichte an Expansion („New Frontier“) und kriegerische Episoden (Bürgerkrieg, Vietnamkrieg, Irakkrieg), an die wildweste Gründungsphase des Landes und die Amtszeiten großer, beliebter Staatsmänner von Franklin D. Roosevelt über John F. Kennedy bis Barack Obama.

Doch das waren aber Ausnahmezeiten im politischen Tagesgeschäft der USA. Für die meiste Zeit hat das, was sich in den USA als „Regieren“ begreift, wenig mit dem zu tun, was wir Europäer darunter verstehen: das Verfolgen des öffentlichen Wohls.

In den USA werden Wahlen traditionell als eine Art Beutezug verstanden. Seit dem 19. Jahrhundert gilt, dass sich bestimmte privatwirtschaftliche Interessen zu Zweckbündnissen zusammenschließen und auf einen Kandidaten setzen. Gewinnt dieser die Wahl, werden fortan die Schalthebel der Regierung zur eigenen Bereicherung genutzt.

Das Prinzip dieses „Beutesystems“ - übrigens keine marxistisch inspirierte Interpretation der amerikanischen Politik, sondern in der US-Politikwissenschaft unter dem Begriff „dividing the spoils“ diskutiert: maximale Vorteile aus einer Wahl zu ziehen. Es gilt in den USA nicht als ehrenrührig, sich auf diese Weise gesundzustoßen.

Die historischen Zusammenhänge erklären, warum die Gleichung „Regierung böse, Privatwirtschaft gut“ im amerikanischen Volk noch heute verfängt. Man ist es eben so gewöhnt.

Letztlich hängt die Popularität dieser Gleichung mit dem Grundfehler der politischen Architektur der USA zusammen. In den USA wird Freiheit primär als Befreiung von Zwängen verstanden, die dem Volk von Seiten der Regierungen auferlegt werden. Dieser anti-gouvernementale Impuls wird vom Privatsektor  aus gutem Grund unablässig verstärkt: Er erlaubt es Unternehmen, im Windschatten der „bösen“ Regierungen ungestört ihre Kreise zu ziehen.

Donald Trump hat diesen Trend bewusst auf die Spitze getrieben. Er ist nicht nur die Personifizierung dieser Denkschule, sondern – in perverser Form – auch seine Perfektionierung. Die „Trump Organization“ verstand die Tatsache, den US-Präsidenten zu stellen, als einen Marketingbonus, um fröhlich Geschäfte auf eigene Rechnung zu betreiben. Daneben bediente „The Donald“ seine Milliardärsfreunde eifrig mit Steuergeschenken - was auch seinem eigenen Clan nutzte.


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Insofern hatten Trump und sein Clan stets beste Gründe, auf böse ausländische Mächte zu zeigen, um von ihren eigenen dunklen Manövern abzulenken. Aber das kann nicht bedeuten, Trumps amerikanische Version der Dolchstoßlegende unwidersprochen hinzunehmen. Im Gegenteil. Die Erfahrungen der deutschen Geschichte verlangen von uns etwas anderes: Wir dürfen Trump mit seiner bewusst falschen Darstellung der Ursachen der US-Malaise nicht aus der Verantwortung entlassen.

Mehr zum Thema: Alle News und Hintergründe rund um die US-Wahl finden Sie hier.

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