Nach der großen Krise machte sich die amerikanische Regierung ans finanzielle Großreinemachen. Sie begann zu sparen und das mit Erfolg: 20 Jahre später war nur noch ein mickriges Häuflein an Verbindlichkeiten übrig, exakt 33.733 Dollar und fünf Cent. Die Schulden, aufgetürmt im Krieg gegen Großbritannien: getilgt. Man schrieb das Jahr 1835.
186 Jahre später gehen die USA einen gänzlich anderen Weg. Das Land ist in absoluten Zahlen der globale Schulden-Spitzenreiter und steht mit mittlerweile über 27 Billionen Dollar in der Kreide. Doch angesichts der weiter wütenden Coronapandemie will der neue Präsident Joe Biden klotzen statt kleckern und hat ein weiteres Ausgabenprogramm von 1,9 Billionen Dollar angekündigt. Unter anderem soll jeder US-Bürger einen Scheck in Höhe von 1400 Dollar erhalten; für den Kauf von in den USA hergestellten Waren durch die öffentliche Hand und die Förderung von Forschung und Entwicklung sind 700 Milliarden Dollar vorgesehen.
Unterstützt wird Bidens fiskalische Bazooka von der designierten US-Finanzministerin Janet Yellen. Die ehemalige Chefin der US-Notenbank Fed gab bei ihrer Kandidatenanhörung im Senat ein Bekenntnis zu einer ultraexpansiven Fiskalpolitik ab. Sie und Biden seien sich zwar der horrenden Schuldenlast bewusst. Angesichts der historisch niedrigen Zinsen sei jetzt allerdings das Klügste, was man tun könne, „groß zu handeln“. Derweil steigt die Schuldenlast der USA um fast 33.000 Dollar – pro Sekunde.
Bereits nach der Finanzkrise 2008 hatte sich die US-Schuldenquote in den fünf Jahren danach um über 30 Prozentpunkte erhöht. Danach ging es munter weiter nach oben. Präsident Donald Trump schaffte in seiner düsteren Amtszeit zwar nicht viel, dies aber schon: die in der US-Geschichte höchste absolute und relative Neuverschuldung innerhalb eines Jahres. Trump türmte 2020 neue Schulden von rund vier Billionen Dollar auf. Der Internationale Währungsfonds geht mittlerweile davon aus, dass der Anteil der Staatsschulden am Bruttoinlandsprodukt bis 2025 auf 137 Prozent klettern könnte. Damit würde sich die größte Volkswirtschaft der Welt in der Haushaltspolitik endgültig italienischen Verhältnissen annähern.
Doch ist das ökonomisch überhaupt schlimm? Gilt Amerika nicht als unverwundbar, da es als größter und alternativloser Anleihemarkt der Welt stets neues Kapital anzieht und das so genannte „Dollar-Privileg“ genießt, wonach Anleger aus aller Welt die USA als Emittent der globalen Leit- und Reservewährung als sicheren Hafen ansteuern? Bislang habe „die Finanzierung des riesigen Defizits problemlos geklappt. Allerdings ist die große Frage, wie lange das noch gut gehen kann“, sagt der Ökonom Bernd Weidensteiner, USA-Experte der Commerzbank. Die USA hätten in der Haushaltspolitik einen größeren Spielraum als jedes andere Land auf der Welt, aber dieser Spielraum sei nicht unbegrenzt. „Langfristig ist die Strategie, sich angesichts niedriger Zinsen ungehemmt zu verschulden, nicht tragfähig. Man kann Schulden nicht auf Dauer stärker wachsen lassen als die Volkswirtschaft.“ Laut Weidensteiner sei es für die US-Regierung notwendig, spätestens 2022 mit der Haushaltskonsolidierung zu beginnen. „Denn sonst“, so warnt der Ökonom, „werden die Märkte austesten, ob die USA wirklich der Ausnahmefall sind, dem nichts und niemand etwas anhaben kann“.
Die ungehemmte Schuldenpolitik Amerikas ist vor allem deshalb ein ökonomischer Ritt auf der Rasierklinge, weil er dauerhaft niedrige Zinsen und eine auf Dauer gefügige Notenbank voraussetzt. Gut die Hälfte aller 2020 ausgegebenen Anleihen hat die amerikanische Notenbank Fed aufgekauft. Irgendwann könnten private Anleihekäufer misstrauisch werden, ob eine Rendite von einem Prozent für Langläufer tatsächlich das Anleiherisiko akkurat widerspiegelt. Das mögliche Szenario: Es kommt zu Portfolioumschichtungen in Gold, Aktien oder andere Währungen, dies führt zu einem spürbaren Zinsanstieg, der wiederum das Staatsbudget belastet. „Dann würde wohl die Fed eingreifen, und wir geraten in einen Teufelskreislauf, an dessen Ende die Staatswirtschaft steht“, warnt Weidensteiner. Mehr noch: Für den US-Ökonom und Krisenpropheten Nouriel Roubini könnte zudem „der hohe Schuldenstand die globale Stellung des Dollar langfristig untergraben“. Wenn das Land weiterhin große Haushaltsdefizite monetarisiere, „könnte der Dollar irgendwann durch eine Inflationswelle entwertet und als Reservewährung weniger attraktiv werden.“
Wie aber lässt sich der Schuldenberg reduzieren? Die Wirtschaftsgeschichte kennt zwei Alternativen zum Sparen: Man kann durch hohe wirtschaftliche Dynamik aus den Schulden herauswachsen – oder Schulden mit hoher Inflation real entwerten. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben die USA gut die Hälfte ihrer Schulden durch Wachstum und die andere Hälfte durch Inflation abgebaut. Das lässt sich heute aber kaum wiederholen. Die Notenbanken versuchen weltweit verzweifelt, die Inflation zu erhöhen – nahezu ohne Erfolg. Das Potenzialwachstum der US-Wirtschaft ist zudem gesunken. Ökonom Weidensteiner ist daher sicher: „Irgendwann muss die Politik in den sauren Apfel beißen - und Ausgaben zusammenstreichen.“
Gut möglich, dass die aktuelle Sympathiewelle für Joe Biden dann schnell wieder abflaut.
Mehr zum Thema: Janet Yellen soll wohl Finanzministerin in Bidens Kabinett werden. Ihr Kurs wird auch über den Kurs der Fed entscheiden. Damit wird sie zur wichtigsten Person in der Weltwirtschaft.