USA und China Wie TikTok die große Entkopplung beschleunigt

US-Präsident Donald Trump will die Video-App TikTok in den USA verbieten, wenn das Unternehmen in chinesischen Händen bleibt. Quelle: imago images

Peking sieht sich durch das angedrohte Verbot der Video-App TikTok darin bestätigt, dass die USA die Entwicklung Chinas um jeden Preis aufhalten wollen. Über eigene Fouls wird allerdings hinweggesehen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Wann immer die USA in den vergangenen Monaten eine neue Breitseite gegen Peking abgefeuert haben, sind Chinas Staatsmedien schnell in den Empörungsmodus gesprungen. So auch jetzt im Fall der chinesischen Video-App TikTok.

Die parteinahe Tageszeitung „Global Times“ zitierte eine Reihe namentlich nicht genannter Mitarbeiter und Führungskräfte von chinesischen Tech-Unternehmen, die sich über das geplante Verbot oder den möglichen Zwangsverkauf an Microsoft brüskieren.

„Jetzt ist nicht der Zeitpunkt, sich passiv zu verhalten. Chinesische Firmen müssen ihre Forschungs- und Entwicklungsbemühungen verstärken, um ihre US-Konkurrenten zu schlagen“, wird da ein Chef zitiert.

Der Mitarbeiter einer chinesischen Chip-Firma führt aus: „Im geopolitischen Kampf zwischen China und den USA sollten wir chinesischen Unternehmen erkennen, dass es naiv und dumm ist, von unseren Gegnern zu erwarten, dass sie sich an internationale Regeln halten.“

China werde den „Diebstahl“ eines chinesischen Technologieunternehmens durch die USA nicht akzeptieren, kommentierte die Zeitung "China Daily" in einem Leitartikel. China habe viele Möglichkeiten, sich zu rächen.

Prominent werden auch die Zitate von Außenamtssprecher Wang Wenbin verbreitet, der von einem neuen „Mobbing-Akt“ der USA spricht.

Über die Art und Weise, wie US-Firmen schon seit jeher systematisch vom chinesischen Markt ferngehalten werden, ist dagegen in den Berichten der Staatspresse nichts zu lesen. Facebook, Twitter, Instagram oder Google waren nie oder sind seit Jahren nicht mehr in China erwünscht. Die meisten ihrer Dienste können lediglich über eine spezielle VPN-Software erreicht werden.

Das Aussperren der US-Konzerne diente nie nur der strengen Zensur. Das Vorgehen Pekings half chinesischen Technologiefirmen dabei, selbst zu Giganten heranzuwachsen. Tencent, Alibaba, und nicht zuletzt Bytedance – die Mutterfirma von TikTok – profitierten freilich davon, das sie sich auf ihrem riesigen Heimatmarkt zwar stets untereinander, aber nicht mit ernstzunehmenden US-Konkurrenten bekriegen mussten.

von Benedikt Becker, Malte Fischer, Andreas Macho, Jörn Petring, Dieter Schnaas, Martin Seiwert

Der Fall TikTok zeigt bisher am deutlichsten, dass diese Abschottungsstrategie zwar lange funktioniert hat, nun aber an ihre Grenzen stößt. Wo immer eine chinesische Tech-Firma versucht, im Westen neue Märkte zu erschließen, stößt sie auf Widerstand, weil die Angst groß ist, dass die chinesische Regierung und die Kommunistische Partei Einfluss üben wollen. In China mag es eine Stärke sein, jemanden in der Partei zu kennen, der noch wichtigere Leute kennt. Im Westen wird es als Pakt mit dem Teufel gesehen.

Reflexion und Selbstkritik sind vor diesem Hintergrund in China kaum erkennbar. Stattdessen versucht Peking, die eigene Wirtschaft so gut es geht auf die bereits einsetzende Entkopplung der beiden größten Volkswirtschaften vorzubereiten. Am deutlichsten zeichnet sich die Dynamik im High-Tech-Sektor ab, in den seit der Zuspitzung des Konfliktes mit den USA noch mehr Geld gesteckt wird als zuvor.

Hunderte Milliarden Euro dürften laut Schätzungen in den nächsten Jahren fließen. Erst kürzlich pumpten chinesische Staatsfonds mehr als zwei Milliarden Dollar in den Shanghaier Chip-Hersteller SMCI, der mit dem Geld den Bau einer neuen Fabrik für fortschrittliche Mikroprozessoren finanzieren soll. Chinesische Tech-Aktien erlebten trotz der Spannungen mit den USA in diesen Wochen die größte Rally seit Jahren.

„Nach dem angedrohten TikTok-Verbot wachsen die Erwartungen, dass Strategien eingeführt werden könnten, um den Technologiesektor anzukurbeln“, begründet der chinesische Analyst Zhang Gang die gute Stimmung an den Märkten.



Doch auch Investoren dürfte nicht entgangen sein, dass die Zeiten, in denen sich Washington und Peking vor allem über fairen Handel stritten, längst vorbei sind. Nach Strafzöllen sind die USA dazu übergegangen, harte politische Sanktionen zu verhängen.

Auffällig ist, dass sich China in dem Konflikt zwar selbstbewusst gibt, aber gegen jeden Vorstoß der USA stets nur mit etwa gleicher Härte zurückschlägt. Schon im Handelsstreit hat Peking nie höhere Strafzölle verhängt als zuvor die USA. Hinter dieser Zurückhaltung steckt auch die zarte Hoffnung, dass sich die China-Politik der USA nach den Wahlen im November ändern könnte.

Wahrscheinlicher ist allerdings, dass Trump-Konkurrent Joe Biden zwar im Ton Änderungen vornehmen würde, aber nicht in der Sache.

Mehr zum Thema
China – Deutschlands unmöglicher Geschäftspartner Nummer eins. Die Kader in Peking treten zunehmend machtbewusst in Erscheinung; die USA rufen die „freie Welt“ zum Widerstand gegen die „Tyrannei“ auf. Der deutschen Wirtschaft drohen politisierte Geschäfte – und schmerzhafte Entscheidungen für das ein oder andere Lager.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%