USA und EU Der unberechenbare Verbündete

Beim ersten Treffen mit den Nato-Partnern gibt es von Donald Trump anstelle von Treueschwüren eine Milliarden-Rechnung. Der US-Präsident schiebt das Nato-Bekenntnis zwar nach – doch Angela Merkel hat nun neue Probleme.

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Nach dem 11. September 2001 wurde der bislang einzige Nato-Bündnisfall ausgelöst. Quelle: Reuters

Brüssel/Berlin Zur linken des Weges: zwei Teilstücke der Berliner Mauer, jeweils 3,60 Meter hoch und knapp drei Tonnen schwer, auf einem prangen noch Überreste eines Graffiti-Schriftzuges: „Gorbi sieht alles“. Zur rechten: ein verformter Stahlträger aus den gefallenen Türmen des New Yorker World Trade Centers.

Die beiden Denkmäler vor dem Haupteingang des neuen Nato-Hauptquartiers bilden die Kulisse für den ersten Auftritt von Donald Trump im Kreise der Bündnispartner. Sie sollen Verbundenheit und Solidarität unter den Alliierten symbolisieren: die Mauerstücke den Sieg von Freiheit und Demokratie über die Unterdrückung, der Stahlträger den nach den Terroranschlagen vom 11. September 2001 erstmals ausgerufenen Bündnisfall. Sie stehen also für jene Solidarität, die Trump infrage gestellt hatte, als er im Wahlkampf die Nato für „obsolet“ erklärte.

Entsprechend groß ist die Spannung, als sich der US-Präsident nach Bundeskanzlerin Angela Merkel und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg um kurz vor 17 Uhr an die in Brüssel versammelten Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsländer wendet. Würde er die ihm zugedachten drei Minuten Redezeit nutzen, um ein starkes Bekenntnis zur Allianz und der im Nato-Vertrag verankerten Beistandsverpflichtung im Angriffsfall auszusprechen? Oder würde der unberechenbare Präsident die Partner erneut brüskieren, indem er sie an die seiner Meinung nach nicht erfüllten Zahlungsverpflichtungen erinnert?

Trump hält sich weder an die Redezeit, noch schert er sich um die Sensibilitäten der Verbündeten. Die Verdienste der Nato für die Sicherheit in der Welt erwähnt er nur kurz und spricht stattdessen ausführlich über den Anschlag von Manchester und „das Ausmaß des Bösen, dem wir uns gegenübersehen“. Umso dringender sei es, dass die Nato mehr gegen die Gefahren in der Welt tue – vom Terrorismus über Migration bis hin zu Russland. Und dass die europäischen Verbündeten dafür auch viel mehr Geld bereitstellten. „Zwei Prozent sind das karge Minimum, um den sehr realen und sehr scheußlichen Bedrohungen von heute entgegenzutreten“, so Trump.

Der Präsident griff jene 23 der 28 Mitgliedstaaten frontal an, die derzeit weniger als zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung ausgeben: „Das ist nicht fair gegenüber dem Volk und den Steuerzahlern in den USA“, rügte er. Viele der Länder hätten wegen mangelnder Zahlungen in den vergangenen Jahren „riesige Schulden“ angehäuft.

Das richtete sich direkt an Merkel, die der Rede Trumps mit versteinerter Miene folgte. Wie Stoltenberg hatte sie gehofft, Trump durch konkrete Zugeständnisse besänftigen zu können.
Die entsprechenden Wünsche hatte Verteidigungsminister James Mattis beim Treffen mit seinen Kollegen Mitte Februar überbracht: Die Nato solle die Allianz gegen die Terrororganisation IS stärker unterstützen und jede Regierung den Partnern konkrete Pläne vorlegen, wie sie die 2014 vereinbarten Ausgabenziele zu erreichen gedenkt.

Gut drei Monate lang verhandelten die Verbündeten daraufhin, kurz vor dem Treffen der Regierungschefs einigten sich ihre Unterhändler auf die konkrete Umsetzung: Bis Jahresende soll jedes Land der Nato nun detaillierte Inforationen Pläne vorlegen, wie es im Folgejahr die gemeinsamen Ziele umsetzen will. Zudem soll die Nato ihre Rolle in der Bekämpfung der Terrororganisation IS im Irak und in Syrien deutlich ausweiten.

So sollen die gemeinsam betriebenen Awacs-Aufklärungsflugzeuge länger in der Luft bleiben und mehr Aufgaben bei der Koordinierung des dortigen Luftraums übernehmen. Allerdings ohne Angriffsziele an die Kampfjets der US-geführten Allianz gegen den IS übermitteln – dafür wäre in Deutschland wohl ein neues Mandat des Bundestags nötig geworden.

All diese Beschlüsse trägt auch Donald Trump beim gemeinsamen Abendessen mit – trotz der rhetorischen Attacken zuvor. Sein Sprecher Sean Spicer beeilte sich zu versichern, der Präsident stehe „100 Prozent zu Artikel 5“. Und auch Stoltenberg beteuerte nach dem Treffen am Abend, „die Vereinigten Staaten sehen sich der kollektiven Verteidigung verpflichtet“. Das habe ihm Trump mehrfach versichert, und die US-Regierung unterstreiche das auch mit Taten.

Merkel tröstet sich wiederum mit dem, was die Verbündeten gemeinsam beschlossen haben. Denn damit können sie und die anderen europäischen Verbündeten gut leben. Die Ausweitung des Antiterroreinsatzes bedeute „keinen neuen Beitrag Deutschlands“, betonte die Kanzlerin bei ihrem Eintreffen. Auch seien die Ausgabenpläne nur eine Bestätigung der bereits zuvor vereinbarten Ziele – „nicht mehr und nicht weniger“.

Vor dem Gipfel hatte sich die Bundesregierung erfolgreich dafür eingesetzt, nicht nur die reinen Verteidigungsausgaben zu betrachten. Stattdessen sollen in den neuen Plänen auch die nationalen Beiträge zum Fähigkeitenarsenal der Nato berücksichtigt werden, ebenso wie der Beitrag zu den Nato-Missionen etwa in Afghanistan oder im Baltikum. Dort steht Deutschland deutlich besser da als bei den reinen Verteidigungsausgaben.

In der Regierung wurde auch zufrieden festgestellt, dass die neue US-Regierung die Beschlüsse von Wales nicht infrage gestellt habe. Nach Berliner Lesart verpflichten sie lediglich dazu, sich binnen zehn Jahren auf den Richtwert von zwei Prozent der Wirtschaftsleistung „zuzubewegen“. Vor allem der SPD-geführte Teil der Bundesregierung denkt nicht daran, die Zwei-Prozent-Marke ernsthaft in Angriff zu nehmen. „Ein solches Szenario würde fast eine Verdopplung des deutschen Wehretats auf gigantische 70 Milliarden Euro jährlich bedeuten“, schrieb SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz in einem Beitrag für „Spiegel Online“.

Sowohl Trump als auch Stoltenberg teilen die deutsche Interpretation allerdings nicht. Der Druck zu Ausgabensteigerungen dürfte daher eher noch zu- als abnehmen. Es mache durchaus „einen Unterschied, wenn die Staats- und Regierungschefs den Weg zum Zwei-Prozent-Ziel der Nato konkretisieren“, sagte Ex-Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen dem Handelsblatt. Trump würde es noch deutlicher formulieren.

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