USA vs. Datenschutz „Ende des Internets, wie wir es heute kennen“

Die US-Regierung will amerikanischen Ermittlern Zugang zu europäischen Datenzentren verschaffen. Quelle: dpa

Der Supreme Court urteilt, ob eine US-Behörde von Unternehmen Zugriff auf private Daten verlangen kann. Die europäische Wirtschaft hatte bereits in Washington interveniert. Jetzt schaltet sich das EU-Parlament ein.

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Im Europäischen Parlament regt sich massiver Widerstand gegen Bestrebungen der US-Regierung, amerikanischen Ermittlern Zugang zu europäischen Datenzentren zu verschaffen. Der Oberste Gerichtshof der USA will bis zum Sommer entscheiden, ob eine US-Behörde von Unternehmen direkten Zugriff auf Personendaten verlangen kann, die außerhalb der USA gespeichert sind. Das Urteil könnte zur Gefahr für die Datensouveränität in Deutschland und Europa werden.

Mehrere EU-Abgeordnete, darunter Viviane Reding (EVP), Birgit Sippel (S&D), Sophie In' t Veld (ALDE) und Jan Philipp Albrecht (Grüne), äußerten in einem sogenannten Amicus-Brief an den Supreme Court ihre Bedenken. Der Schriftsatz liegt dem Handelsblatt vor. Darin machen die Parlamentarier klar, dass ein Datenzugriff in Europa mit der Grundrechte-Charta der Europäischen Union nicht vereinbar sei. Die Übermittlung personenbezogener Daten an Dritte, etwa an eine Behörde, würde demnach einen „Eingriff in das Grundrecht der betroffenen Person auf Achtung des Privatlebens“ nach Artikel 7 der Charta bedeuten. Insbesondere die Offenlegung der elektronischen Kommunikation wäre als „besonders schwerwiegender“ Eingriff in dieses Grundrecht zu sehen.

Hintergrund ist ein Verfahren, in dem die US-Regierung seit Jahren von Microsoft einfordert, auf Wunsch auch personenbezogene Daten ihrer Kunden an die Regierung zu übergeben, selbst wenn diese in Rechenzentren innerhalb der EU gespeichert sind.

In der juristischen Stellungnahme der Europaabgeordneten wird hingegen betont, dass auch in diesem Fall EU-Recht greift. Betroffene Personen könnten sich demnach auch dann auf europäisches Datenschutzrecht berufen, wenn ihre Daten bei einem Nicht-EU-Dienstleister wie Microsoft gespeichert sind. Außerdem, heißt es in dem Amicus-Brief, habe der Europäische Gerichtshof den Datenschutzgesetzen der EU einen besonders „weiten räumlichen Anwendungsbereich“ zugestanden, um eine Umgehung der geltenden Regeln etwa durch die USA zu verhindern.

Der Innen- und Justizexperte der EU-Grünen Albrecht warnte vor den Folgen, sollte der Supreme Court auf die Anwendbarkeit von US-Recht auf Microsofts EU-Daten bestehen. Dann wäre dies „das Ende des Internets, wie wir es heute kennen“, sagte Albrecht dem Handelsblatt. „Dann könnten und würden auch Länder wie China, Russland oder die Türkei eine Herausgabe von Daten europäischer Kunden einfordern und könnten Internetunternehmen hierzulande zu Handlangern ihrer rechtstaatlich hoch bedenklichen Praktiken machen.“ Das Ergebnis wären aus Sicht Albrechts „massive Einschränkungen von Bürgerrechten und rechtstaatlicher Verfahren im Digitalen“.

In dem konkreten Fall hatten sich auch schon Vertreter der Wirtschaft zu Wort gemeldet. So hat etwa der Bitkom gemeinsam mit zahlreichen Branchenverbänden aus den europäischen Ländern ebenfalls einen sogenannten Amicus-Schriftsatz in Washington eingereicht und ihre Bedenken formuliert. Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder sagte, sollte sich das Gericht dem Willen der US-Regierung beugen, würde das „tief in den europäischen Datenschutz eingreifen“. „Ein direkter Zugriff von US-Behörden auf Personendaten aus Europa ist unvereinbar mit europäischem Datenschutzrecht.“

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Sowohl Unternehmen, die ihren Standort in den USA haben, als auch Unternehmen, die eine Niederlassung dort haben, wären laut Bitkom betroffen. „Den Unternehmen droht ein unauflösbares Dilemma“, sagte Rohleder. Folgten sie einer solchen Anordnung der US-Behörden, brechen sie europäisches Recht. „Widersetzen sie sich einer solchen Anordnung, brechen sie US-Recht.“ Vor dem Bitkom hatten unter anderen auch der Bundesverband der Deutschen Industrie sowie die Deutsche Industrie- und Handelskammer ihre Argumente zu dem Rechtsstreit eingereicht.

Microsoft kommen die Argumentationshilfen aus Europa sehr gelegen. „Wenn es noch Zweifel an den internationalen Konsequenzen gegeben haben sollte, wurden sie durch die Amicus-Briefe und unterstützende Statements in den vergangenen Wochen und Monaten ausgeräumt“, schreibt der Chefjurist des IT-Konzerns, Brad Smith, in einem Blogeintrag. Rechtsstreitigkeiten vor dem Supreme Court würden sonst nur höchst selten so viel Aufmerksamkeit in anderen Ländern erregen.

Die Position des amerikanischen Justizministeriums, im Ausland gespeicherte Kundendaten mit einfachen Durchsuchungsbefehlen einzuziehen, „verletzt internationale Grenzen, Abkommen und internationales Recht“, argumentiert Smith. Zudem warnt er davor, dass anderer Staaten das Vorgehen der amerikanischen Behörden kopieren könnten. „Wenn die US-Regierung die Macht erhält, private Kommunikationsdaten, die in anderen Ländern gespeichert sind, zu durchsuchen und zu beschlagnahmen, wird sie andere Regierungen einladen, das Gleiche zu tun.“

Letztlich seien sogar amerikanische Wirtschaftsinteressen und Arbeitsplätze in Gefahr, gibt Smith zu bedenken. Derzeit seien US-Unternehmen beim Angebot von Cloud-Diensten weltweit führend. Diese Führerschaft gründe aber auf Vertrauen, das die Regierung aufs Spiel setze.

Microsoft selbst hat inzwischen als Reaktion auf den Rechtsstreit sein Cloud-Geschäft in Deutschland gemeinsam mit dem Treuhänder Deutsche Telekom so aufgestellt, dass das Unternehmen selbst gar nicht auf die Daten seiner Kunden zugreifen kann – und somit nichts herausgeben könnte. Der Rechtsstreit geht schon bald in die nächste Runde. Für den 27. Februar ist eine weitere mündliche Verhandlung zu dem Fall in Washington D.C. angesetzt.

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von Varinia Bernau
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