USA Willkommen im Sumpf

Nirgendwo auf der Erde ist das Geflecht aus Geld, Macht und Medien so eng wie in Washington. Solange sich alle Beteiligten an die Spielregeln hielten, ging das einigermaßen gut. Mit Donald Trump wird sich alles ändern. Und nicht zum Guten. Es droht ein Kollaps.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Quelle: AP

Die Vermessung des Wahnsinns folgt auf die Krebssuppe. José Cunningham legt den Löffel beiseite, fährt sich mit der Hand durch das kurz gescheitelte, weiße Haar, dann beugt er sich nach vorne: „Ist das nicht unglaublich“, ruft er aus. Diese Hetze gegen die Minderheiten, die sexistischen Sprüche gegen Frauen, die Kritik an Medien und Geheimdiensten, die Unterstützung Russlands. Kein anderer hätte das alles tun und sagen können und wäre Präsident geworden, meint er. Keiner – außer Donald Trump. „Und wissen Sie was: Ich liebe diesen Mann. Er ist genau das, was Amerika braucht.“

Was ändert sich mit Trump im Weißen Haus?
Blick auf den Central Park Quelle: REUTERS
An diesem Schreibtisch wird bald Donald Trump sitzenFirst Lady Melania wird ihre Büros im Ostflügel haben. Präsident Trump wird im West Wing arbeiten, dort liegt auch das 1909 eingerichtete Präsidentenbüro, das „Oval Office“. Quelle: dpa
Blick in den "Yellow Oval Room" in den Privaträumen der Präsidentenfamilie Quelle: AP
Das Trump International Hotel in Washington Quelle: AP
Der Gemüsegarten des Weißen Hauses Quelle: AP
Barack und Michelle Obama Quelle: dpa
Donald und Melania Trump Quelle: AP

Nun ist es nicht so, dass Cunningham Rassist wäre oder Frauenhasser oder etwas gegen Eliten hätte. Im Gegenteil. Er wurde in Mexiko geboren, ist schwul, wohnt in einem Apartment mit Blick aufs Weiße Haus und arbeitet bei einer großen Anwaltskanzlei. Doch Cunningham ist auch Republikaner. Auf der Stoßstange seines Wagens prangt ein Trump-Sticker. „Ich werde andauernd angehupt dafür“, sagt er. Aber das dürfe man nicht so ernst nehmen. Genauso wenig, wie man Trump zu ernst nehmen dürfe. Er kenne ihn. Das werde schon. „Hauptsache ist doch, dass er Jobs schafft, die Wirtschaft in Schwung bringt, Amerika wieder stark macht. Give it a try.“

Lasst es uns probieren.

An diesem Freitag ist Trump als 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika vereidigt worden. Theoretisch ist er nun: das Oberhaupt der freien Welt, Commander in Chief einer Atommacht, CEO von Corporate America. Nur: Donald Trump scheint dafür so ungeeignet wie kein Kandidat vor ihm. Er macht aus der Verachtung für die Demokratie und alles, was ihr heilig ist, keinen Hehl. Medien? Fake News. Geheimdienste? Lügner. Die Zentralbank Fed? Fremdgesteuert. Vermutlich wäre das in einem gefestigten, wohl austarierten System kein Problem. Nur: Washington ist dieses System nicht mehr.

Ex-Elite-Kommandeur Zinke soll Innenminister werden
Ryan ZinkeDer künftige US-Präsident Donald Trump hat sich nach Angaben aus seinem Team für den ehemaligen Marineinfanterie-Kommandeur Ryan Zinke als neuen Innenminister entschieden. Der 55-jährige Republikaner werde als Chef des Ressorts nominiert, sagte ein hochrangiger Vertreter des Trump-Teams am Dienstag. Zinke sitzt derzeit für den Bundesstaat Montana im US-Repräsentantenhaus, wo er sich für die Lockerung von Umweltauflagen starkgemacht hat. Das Innenministerium hat die Kontrolle über rund ein Fünftel der gesamten öffentlichen Flächen der Vereinigten Staaten. Trump will auf Staatsgebiet verstärkt Ölbohrungen und Bergbau erlauben. Zinke hatte sich zwar im Wahlkampf bereits früh hinter Trump gestellt. Seine Nominierung kam aber dennoch überraschend. Quelle: AP
Rex Tillerson Quelle: dpa
Andrew Puzder Quelle: REUTERS
Ex-General John Kelly Quelle: AP
Republikaner Scott Pruitt Quelle: AP
Ben Carson Quelle: REUTERS
James Mattis Quelle: dpa

Bislang war es ja immer so: Washington war ein Symbol der Macht. Eine Institution an sich, gebaut und erdacht vom ersten Präsidenten der Vereinigten Staaten, eine Huldigung an Repräsentantenhaus und Senat, von denen alle Macht ausgeht. Folglich ist das Kapitol – Sitz beider Kammern – der Mittelpunkt dieser Welt. Hier werden die Präsidenten vereidigt und als Diener des Volkes eingeschworen – auch Donald Trump.

Der Neue im Weißen Haus ist dabei, dieses Verhältnis umzukehren. In seiner Welt ist er das Zentrum – und der Rest notwendiges Übel. Zwischen ihm und dem Volk liegen maximal 140 Twitter-Zeichen. Und die Tragik der Geschichte will es so, dass die Institution Trump nur so stark werden konnte, weil die Institution Washington so schwach geworden ist. Aus dem einst so stolzen Zentrum der freien Welt ist schon vor Trump die gefährlichste Stadt der Welt geworden. Washington droht an sich selbst zu ersticken. Die Institutionen: Das Parlament, der Supreme Court, die Bundesbehörden, die Geheimdienste, die Lobbyisten, Unternehmen und vor allem die Medien – sie sind in ihrer Integrität unterminiert und finanziell angeschlagen. Nur weil dieses Washington im Rest der USA so verhasst ist, konnte Trumps Kurs verfangen. Er brauchte nur noch zuzugreifen: fix Washington.

So kommt jetzt also ein Präsident in diese angeschlagene Stadt, der angetreten ist mit dem Versprechen, den Sumpf trockenzulegen – dabei aber verschwiegen hat, dass er das tun will, indem er einen neuen Sumpf anlegt.

Die Macht der Lobby

Natürlich kann Rich Gold über diese These nur lachen. So wie er über Politik an sich seit einigen Jahren nur noch lachen kann. Deshalb vergleichen sie ihn auf dem Capitol Hill – seinem Arbeitsplatz – ja inzwischen auch mit dem Komiker Bill Murray. Für Gold ist alles ein Witz: der Kongress, der Präsident, dieses Gehabe. In Wahrheit machen doch Leute wie er die Gesetze hier: hoch bezahlte Anwälte und Lobbyisten, die wie Gold in Sichtweite des Weißen Hauses gläserne Eckbüros bewohnen, unentwegt mit ihrem iPhone zugange sind und am liebsten von sich selbst sprechen. Gold, ein Schlaks mit Fünftagebart und Casual-Friday-Jeans, der früher mal ausgesehen haben muss wie Eric Clapton, in letzter Zeit aber einiges davon eingebüßt hat, macht es sich auf der Couch im Besprechungsraum bequem. Er legt die Beine auf den Tisch. Sagt: „Es gibt da draußen die Annahme, dass unsere Regierung die Macht hat. Das ist nicht wahr. In Wahrheit sind viel größere Kräfte am Werk. Unsere Institutionen haben viel Reputation eingebüßt. Meine Güte: Man vertraut ja heute nicht mal mehr der katholischen Kirche.“ Als die Lacher ausbleiben, fährt er fort: „Ich glaube nicht, dass Washington kaputt ist. Washington reflektiert doch nur, was da draußen passiert: Das Land ist geteilt. Wir leben eigentlich in zwei sehr verschiedenen Amerika.“

Trump mag keine deutschen Autos? Anna-Maria Schneider wird ihn vom Gegenteil überzeugen müssen. Sie ist Chef-Lobbyistin von Volkswagen in Washington. Quelle: Scott Suchman für WirtschaftsWoche

Gold ist Demokrat, kennt auf dem Hill jeden Abgeordneten der Partei. Das hat ihn unter der Obama-Regierung wichtig gemacht – und wohlhabend. Nun aber muss Gold sich neu orientieren. „Sind wir bereit für Trump? Nein. Aber die Leute da draußen brauchen uns. Irgendwer muss ihnen ja diesen Sumpf hier erklären.“

Der Sumpf. Er zeigt sich etwa im Durchschnittseinkommen der Haushalte, das hier eines der höchsten landesweit ist. Inzwischen liegen acht der zehn reichsten Landkreise der ganzen USA rund um die Hauptstadt. Und während der Rest des Landes bei den Wählerstimmen mehr oder minder gespalten ist, ist Washington sich einig: 90 Prozent der Menschen hier stimmten bei der Wahl im November für Hillary Clinton. Man hat sich eingerichtet in seinem liberalen Weltbild, debattiert bei 40-Dollar-Vorspeisen im Del Friscos über die Notwendigkeit von Transgender-Toiletten oder die Gleichberechtigung in Nordkorea und schiebt sich nebenbei ein paar Aufträge zu. Die verschwundenen Arbeitsplätze im Rust Belt, der Frust des weißen Mannes – all das ist hier weit weg.

Keiner hat diese Clique schöner beschrieben als „New York Times“-Autor Mark Leibovich. In seinem Bestseller „This Town“ karikiert er Washingtoner Berufspolitiker, Lobbyisten und Journalisten als eine sich selbst ernährende Kaste, deren Ziel es ist, das System maximal auszunutzen, die eigenen Kontakte zu „monetarisieren“, wie das im Jargon heißt. „Die Menschen kleben an der Macht, als mache sie die Nähe dazu irgendwie auch ein bisschen zum Präsidenten“, schreibt Leibovich. „Einander zu belügen und zu betrügen gehört inzwischen so natürlich zu Washington wie die schwüle Luft im Sommer.“

Trump als Quittung für zu viel Polit-Clownerei

In den vergangenen 15 Jahren, spätestens aber mit der Finanzkrise, hat sich die finanzielle Entscheidungsgewalt von New York nach Washington verlagert. Nun bevölkern nicht mehr nur Thinktanks, Pharmafirmen und Rüstungsgiganten die Lobbymeile K-Street, sondern auch Banken, Anwälte, Geldgeschäftler. Viele Unternehmen investieren lieber in Government Affairs, als in Industriearbeitsplätze. „Mittlerweile hat jeder Kissenfabrikant ein Büro hier“, ist ein beliebtes Bonmot, das erst in den letzten Jahren in DC entstanden ist. Hier sitzt die Zentralbank Fed, die über den Dollar wacht, hier entscheiden die großen Aufsichtsbehörden über Fusionen, Verkäufe und Marktmanipulationen. So manche Order des US-Handelsministeriums prägt ja mittlerweile die Weltwirtschaft stärker als die Wall Street. Deutsche Konzerne wie Bayer, die sich gerade anschicken, Monsanto zu übernehmen, oder VW, die mit viel Geld und Mühe ihren Dieselskandal beigelegt haben, wissen genau darum.

Politik? Ist wenn jeder jedem einen Gefallen tut. Der Anwalt und Lobbyist Rich Gold ist einer jener Menschen im „System Washington“, die die Öffentlichkeit nicht kennt, die aber wahre Macht in ihren Händen halten. Was er aus der Anti-Establishment-Haltung vieler Amerikaner für Konsequenzen zieht? Einfach weitermachen wie bisher. Quelle: Scott Suchman für WirtschaftsWoche

Volkswagen etwa hat sich in unmittelbarer Nähe zum Weißen Haus eingemietet: 601 Pennsylvania Avenue. Hier residiert Anna-Maria Schneider, seit 30 Jahren im Business und zuständig für „Industry-Government Relations“. Früher pendelte sie jeden Tag vom Stadtrand, wo das alte VW-Büro lag, hierher. Dann kam der Dieselskandal. VW musste mit der US-Regierung enger zusammenarbeiten als je zuvor – und zog ins Stadtzentrum. Seither blickt Schneider von ihrem Balkon links zum Capitol und rechts zum Weißen Haus. „Viele in der Autoindustrie sind besorgt wegen der Steuerreform der Republikaner“, sagt sie. Deshalb versuche man nun die nächste Regierung zu bearbeiten. Vor allem die geplanten Einfuhrzölle auf Produkte aus Mexiko – wo Volkswagen viel produziert – will sie verhindern. Ob ihr das gelingt? „Wir Lobbyisten sind in der Vergangenheit unvorteilhaft dargestellt worden. Aber ich bin stolz auf das, was ich tue.“

Man könnte ja annehmen, dass Schneider und ihre Kollegen die Geschäfte am liebsten im Hinterzimmer abwickeln. Nicht so im postmodernen Washington. Hier gilt man dann als besonders erfolgreich, wenn der eigene Name nach einem Deal, einem Abendessen oder einer Party auf der Website Politico erscheint. Das wichtigste Medium des Politikbetriebs dient den Mächtigen seit 2007 als Spiegel der Eitelkeiten. Die Website hat den medialen Zinnober um die Politik nicht nur unendlich beschleunigt und den Blick der Akteure weg von der Welt und hin zu sich selbst gerichtet. Sie hat auch dafür gesorgt, dass sich die ohnehin schon wirtschaftlich angeschlagenen Zeitungen und Fernsehsender weniger um Inhalte kümmern als um deren Darstellung und Ausgestaltung. Im ganzen US-Wahlkampf 2016, so fand es kürzlich der weit beachtete Tyndall Reports heraus, wendeten die allabendlichen Politikshows der großen Networks zusammen gerade einmal 32 Sendeminuten für Inhalte auf – der Rest war Polit-Clownerei.

Die Quittung dafür ist Trump. Aber ob das Washingtoner Establishment im Wahlkampf erkannt hat, dass etwas falsch läuft in dieser Stadt?

Die Kaste der Lernunfähigen

Bislang passiert eher das Gegenteil. Zwar sagt der frühere Chief of Staff eines republikanischen Senators: „Ich bin froh, dass Trump passiert ist. Das hat viele Gründe. Einer ist, dass nun verdammt viele Leute in den Spiegel schauen und sich fragen: Was machen wir hier eigentlich.“ Weithin aber wird der Trump-Effekt verharmlost. Lobbyisten, Politiker, aber auch Unternehmensführer raten: Abwarten – so schlimm wird es schon nicht werden.

Selbst beim sehr linken Center for American Progress kann man jetzt Michael Fuchs treffen, einen jungen Demokraten, der meint: „Ich bin optimistisch, dass unser System das aushält. Wir haben den Kongress, die Gerichte, die Wähler. Wir hatten einen Bürgerkrieg, Vietnam und die Bürgerrechtsbewegung. All das hat uns als Nation nur noch stärker gemacht.“ Und auf republikanischer Seite ist in einer großen K-Street-Firma ein breitkreuziger Typ zu sprechen, der angibt, in der Stunde mehr zu berechnen als manch Industriearbeiter im ganzen Monat verdiene. Er mache sich, sagt er dann, keine großen Sorgen ums Geschäft: „Trump ist wie ein regnerischer Tag in London. Das geht vorüber.“

So suhlt sich die US-Hauptstadt in Selbstgefälligkeit und Hybris – und verkennt dabei, wie ihr wirklich geschieht. In einem Glaspalast auf Washingtons Pennsylvania Avenue lässt sich dazu Robert Kimmitt sprechen, einflussreicher Republikaner, ehemals US-Botschafter in Berlin, nun Anwalt bei WilmerHale, eben jener Großkanzlei, die unter anderem Trumps Außenminister Rex Tillerson berät oder auch Jared Kushner, den Schwiegersohn des US-Präsidenten. Kimmitt empfängt im 13. Stock. Ein feingliedriger, grauhaariger Anwalt, Jahrgang 47, mit roter Krawatte und goldenen Manschettenknöpfen, der in den vergangenen Wochen eng mit dem Team Trump zusammenarbeitete und im Dezember gar nach Deutschland reiste, um in der Bundesregierung die Bedenken über die neue US-Administration zu zerstreuen. Es ist ihm kaum gelungen. Und Kimmitt weiß das.

Er zeichnet das Bild eines Präsidenten, der um jeden Preis schnelle Erfolge will. Der den Prozess der Inauguration, das Procedere all der Empfänge und Bälle am 20. Januar eigens abgekürzt hat, um noch am Nachmittag seiner Amtseinführung die ersten Erlasse unterschreiben zu können.

Wer ihm zuhört, der versteht, warum die nächsten Jahre durchaus schwierig werden dürften. Die neue Maxime lautet: Jedes Treffen muss Ergebnisse bringen.

„Donald Trump will einen deutlichen Wandel. Und er will vom ersten Tag an Ergebnisse produzieren“, sagt Kimmitt.

Entscheidend dürfte deshalb künftig die persönliche Ebene sein. Nicht nur zwischen den politischen Anführern auf beiden Seiten, sondern auch auf Arbeitsebene im Ministerium. Ein hochrangiges Mitglied früherer, republikanisch geführter US-Regierungen fasst es so zusammen: „Diese Administration hat einen ganz anderen Stil als alle Regierungen vorher. Am Ende wird sie uns alle überraschen. Manchmal in einem guten, manchmal in einem nicht so guten Sinne.“ Bleibt die Frage, ob das nur für Europa gilt – oder auch für das System Washington.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%