
Die Vermessung des Wahnsinns folgt auf die Krebssuppe. José Cunningham legt den Löffel beiseite, fährt sich mit der Hand durch das kurz gescheitelte, weiße Haar, dann beugt er sich nach vorne: „Ist das nicht unglaublich“, ruft er aus. Diese Hetze gegen die Minderheiten, die sexistischen Sprüche gegen Frauen, die Kritik an Medien und Geheimdiensten, die Unterstützung Russlands. Kein anderer hätte das alles tun und sagen können und wäre Präsident geworden, meint er. Keiner – außer Donald Trump. „Und wissen Sie was: Ich liebe diesen Mann. Er ist genau das, was Amerika braucht.“





Nun ist es nicht so, dass Cunningham Rassist wäre oder Frauenhasser oder etwas gegen Eliten hätte. Im Gegenteil. Er wurde in Mexiko geboren, ist schwul, wohnt in einem Apartment mit Blick aufs Weiße Haus und arbeitet bei einer großen Anwaltskanzlei. Doch Cunningham ist auch Republikaner. Auf der Stoßstange seines Wagens prangt ein Trump-Sticker. „Ich werde andauernd angehupt dafür“, sagt er. Aber das dürfe man nicht so ernst nehmen. Genauso wenig, wie man Trump zu ernst nehmen dürfe. Er kenne ihn. Das werde schon. „Hauptsache ist doch, dass er Jobs schafft, die Wirtschaft in Schwung bringt, Amerika wieder stark macht. Give it a try.“
Lasst es uns probieren.
An diesem Freitag ist Trump als 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika vereidigt worden. Theoretisch ist er nun: das Oberhaupt der freien Welt, Commander in Chief einer Atommacht, CEO von Corporate America. Nur: Donald Trump scheint dafür so ungeeignet wie kein Kandidat vor ihm. Er macht aus der Verachtung für die Demokratie und alles, was ihr heilig ist, keinen Hehl. Medien? Fake News. Geheimdienste? Lügner. Die Zentralbank Fed? Fremdgesteuert. Vermutlich wäre das in einem gefestigten, wohl austarierten System kein Problem. Nur: Washington ist dieses System nicht mehr.





Bislang war es ja immer so: Washington war ein Symbol der Macht. Eine Institution an sich, gebaut und erdacht vom ersten Präsidenten der Vereinigten Staaten, eine Huldigung an Repräsentantenhaus und Senat, von denen alle Macht ausgeht. Folglich ist das Kapitol – Sitz beider Kammern – der Mittelpunkt dieser Welt. Hier werden die Präsidenten vereidigt und als Diener des Volkes eingeschworen – auch Donald Trump.
Der Neue im Weißen Haus ist dabei, dieses Verhältnis umzukehren. In seiner Welt ist er das Zentrum – und der Rest notwendiges Übel. Zwischen ihm und dem Volk liegen maximal 140 Twitter-Zeichen. Und die Tragik der Geschichte will es so, dass die Institution Trump nur so stark werden konnte, weil die Institution Washington so schwach geworden ist. Aus dem einst so stolzen Zentrum der freien Welt ist schon vor Trump die gefährlichste Stadt der Welt geworden. Washington droht an sich selbst zu ersticken. Die Institutionen: Das Parlament, der Supreme Court, die Bundesbehörden, die Geheimdienste, die Lobbyisten, Unternehmen und vor allem die Medien – sie sind in ihrer Integrität unterminiert und finanziell angeschlagen. Nur weil dieses Washington im Rest der USA so verhasst ist, konnte Trumps Kurs verfangen. Er brauchte nur noch zuzugreifen: fix Washington.
So kommt jetzt also ein Präsident in diese angeschlagene Stadt, der angetreten ist mit dem Versprechen, den Sumpf trockenzulegen – dabei aber verschwiegen hat, dass er das tun will, indem er einen neuen Sumpf anlegt.