Venezuela Die Pleitegeier kreisen über Caracas

Nach jahrelanger Misswirtschaft steuert Venezuela auf die Pleite zu. An den Finanzmärkten geht es schon um die Auszahlung von Milliarden-Forderungen. Welche Folgen hätte ein Bankrott?

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Die Menschen stehen Schlange vor einem Geldautomaten einer Bank in Caracas. Quelle: dpa

Nicolás Maduro sitzt im olivgrünen Militärhemd an einem Schreibtisch und referiert die Schuldenlast: In den letzten 36 Monaten habe Venezuela 73,539 Milliarden US-Dollar (62,69 Milliarden Euro) pünktlich zurückgezahlt, berichtet der Präsident. Er fügt kämpferisch an: „Niemals, niemals wird die Pleite Venezuela erreichen.“ Dann ruft er im Staatsfernsehen laut in die Kameras: „Unsere Strategie ist, die gesamten Schulden Venezuelas neu zu verhandeln und zu refinanzieren."

Applaus der handverlesenen Zuschauer. Das Hemd, der Tonfall passen zu der Strategie des Sozialisten mit dem dicken schwarzen Schnauzer. Demnach haben die USA einen ökonomischen Krieg angezettelt, es werde versucht, das Land mit den größten Ölreserven und den von Hugo Chávez und nach dessen Tod von Maduro gepredigten „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ zu erdrosseln. Doch diesen Kampf könnte er verlieren.

Seit die Ratingagentur S&P am Montag den Daumen gesenkt hat, weil Venezuela erstmals fällige Zinsen im Wert von rund 200 Millionen Dollar für Anleihen nicht fristgerecht gezahlt hat, kreisen die Pleitegeier heftig über Caracas. Denn während kein Geld da war, um genug Lebensmittel und Medikamente für die Bevölkerung einzuführen, gelang es irgendwie immer noch, die Schulden zu bedienen. Bis jetzt.

Die wichtigsten Antworten zur drohenden Staatspleite in Venezuela

Auch europäische Unternehmen haben viel investiert, Kraftwerke gebaut wie Siemens oder große Seilbahnen wie Doppelmayr aus Österreich - viele Unternehmen klagen über hohe Außenstände. „Wenn die Finanzlage im einst reichsten Staat Lateinamerikas tatsächlich so hoffnungslos ist wie es den Anschein hat, droht ein Totalverlust“, fürchtet Volker Treier vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK).

Versuche, mit Gläubigern einen Nachlass bei den Staatsschulden von insgesamt über 140 Milliarden US-Dollar (120 Milliarden Euro) zu verhandeln, sind bisher ergebnislos geblieben - immerhin gewährt Russland als großer Gläubiger bei Schulden über 3,15 Milliarden US-Dollar eine längere Rückzahlungsfrist von bis zu zehn Jahren. Die Ratingagentur Fitch nennt ein entscheidendes „Hindernis“, um noch den Kopf aus der Schlinge zu ziehen: Wegen der Entmachtung des Parlaments haben die USA Sanktionen gegen führende Regierungsmitglieder verhängt, darunter gegen Maduro und Vizepräsident Tareck El Aissami. Dieser führt die Verhandlungen. Gemäß der Sanktionen dürfen Gläubiger aus den USA mit ihm nicht verhandeln, sonst drohen ihnen selbst Strafen.

Bei der US-Bank Goldman Sachs steht Venezuela mit rund 2,7 Milliarden Dollar in der Kreide. Maduro ist es gelungen, mit Repression und der Einsetzung einer linientreuen Volksversammlung die Proteste vorerst zu ersticken. US-Präsident Donald Trump nennt Maduro einen Diktator.

Das Ausbleiben der Zinszahlungen wird als Teil-Pleite gewertet. Laut Standard&Poor's (S&P) liegt die Chance bei 50 Prozent, dass es in den nächsten drei Monaten einen umfassenden Zahlungsausfall und damit eine Staatspleite geben wird. Nach Argentinien 2001 wäre es die erste Staatspleite Südamerikas in diesem Jahrhundert. Und das bei den enormen Ölreserven - es wäre der letzte Akt in diesem Kapitel dieses Karibik-Sozialismus. Hauptproblem ist, dass 95 Prozent der Einnahmen sich aus dem Ölexport speisen - der ist eingebrochen, auch weil der Sektor nach der Verstaatlichung marode ist und der Ölpreis niedrig.

Der Raffinerie-Komplex Paraguaná gilt von der Kapazität her als der drittgrößte der Welt, bis zu 950.000 Barrel pro Tag sind theoretisch möglich, aber mangels Geld für Investitionen und ausländischem Know-how werden keine 40 Prozent davon geschafft. So muss Venezuela für mehrere Milliarden Dollar aus dem Ausland sogar Benzin einführen - selbst vom Erzfeind USA. Die Öleinnahmen sanken von 39,7 Milliarden US-Dollar (2014) bis 2016 auf 5,29 Milliarden Dollar. Benzin wird trotz allem hoch subventioniert, es ist das billigste der Welt. Hinzu kommt die höchste Inflation der Welt.

Das macht es immer schwerer, genug Devisen zur Bedienung der Schulden aufzutreiben. Eine Zahl, die das ganze Drama unterstreicht: Für einen Euro, der auf dem Schwarzmarkt in Bolivares umgetauscht wird, können derzeit rund 6000 Liter Benzin getankt werden - Wasser ist um ein vielfaches teurer.

Die Kosten für Ausfallversicherungen (CDS) auf Staatsanleihen liegen so hoch wie für kein anderes Land der Welt - ein klares Indiz für das Erwarten einer Pleite. Venezuela hat bereits große Mengen der Goldreserven und Anteile an Ölfeldern verkauft, um die Schulden noch bedienen zu können. Derweil wächst täglich die Notlage der Menschen, überall suchen sie im Müll nach Essen, im Internet wird nach Insulin oder Antibiotika gefahndet. Nach Einschätzung der Opposition ist der Mangel auch deshalb so groß, weil viele Sozialisten selbst Anleihen des Ölkonzerns PDVSA besitzen und sehr viel Geld verlieren würden.

Da die Pleite nicht überraschend käme, wären die internationalen Folgen überschaubar - aber die Menschen wären die großen Verlierer. Die Inflation würde weiter anziehen, die Versorgungskrise sich noch mal verschärfen. Nachbarn wie Kolumbien und Brasilien müssten sich auf massive Fluchtbewegungen einstellen. Während jetzt schon viele hungern, war Maduro letztens bei einem seiner TV-Auftritte durch einen Regiefehler zu sehen, wie er aus einer Schublade an seinem Schreibtisch in einer kleinen Pause eine Empanada herausholte und einen großen Bissen von der Teigtasche nahm. In sozialen Medien wird betont, dass er im Gegensatz zum großen Rest sogar zugenommen habe.

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