
Nicolás Maduro sitzt im olivgrünen Militärhemd an einem Schreibtisch und referiert die Schuldenlast: In den letzten 36 Monaten habe Venezuela 73,539 Milliarden US-Dollar (62,69 Milliarden Euro) pünktlich zurückgezahlt, berichtet der Präsident. Er fügt kämpferisch an: „Niemals, niemals wird die Pleite Venezuela erreichen.“ Dann ruft er im Staatsfernsehen laut in die Kameras: „Unsere Strategie ist, die gesamten Schulden Venezuelas neu zu verhandeln und zu refinanzieren."
Applaus der handverlesenen Zuschauer. Das Hemd, der Tonfall passen zu der Strategie des Sozialisten mit dem dicken schwarzen Schnauzer. Demnach haben die USA einen ökonomischen Krieg angezettelt, es werde versucht, das Land mit den größten Ölreserven und den von Hugo Chávez und nach dessen Tod von Maduro gepredigten „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ zu erdrosseln. Doch diesen Kampf könnte er verlieren.
Seit die Ratingagentur S&P am Montag den Daumen gesenkt hat, weil Venezuela erstmals fällige Zinsen im Wert von rund 200 Millionen Dollar für Anleihen nicht fristgerecht gezahlt hat, kreisen die Pleitegeier heftig über Caracas. Denn während kein Geld da war, um genug Lebensmittel und Medikamente für die Bevölkerung einzuführen, gelang es irgendwie immer noch, die Schulden zu bedienen. Bis jetzt.
Die wichtigsten Antworten zur drohenden Staatspleite in Venezuela
Experten sind sich einig, dass die Probleme des Landes auf eine verfehlte Wirtschaftspolitik der sozialistischen Regierung zurückgehen. Venezuela war einmal wohlhabend, leidet aber unter Misswirtschaft wie der einseitigen Ausrichtung auf Ölexporte: 95 Prozent der Einnahmen kommen daraus. Der globale Ölpreisverfall trifft Venezuela daher besonders hart. So sanken Öleinnahmen von 39,7 Milliarden Dollar 2014 auf 5,3 Milliarden Dollar 2016. Und die Hyperinflation mit Raten von geschätzt fast 1000 Prozent entwertet das Geld rasant. Die Einfuhr von Lebensmitteln und Medikamenten wird immer teurer. Schon jetzt sind gerade in der Hauptstadt Caracas überall Menschen zu sehen, die im Müll nach Essen suchen.
Diese Frage ist schwer zu beantworten, weil es keine einheitliche Definition von Staatspleiten gibt. Auch ein Insolvenzrecht, wie bei Zahlungsschwierigkeiten von Privathaushalten, existiert für Staaten nicht. Allgemein wird von einer Pleite gesprochen, wenn ein Land seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen kann. Dieser Fall ist in Venezuela im Grunde eingetreten: Die Rating-Agenturen Standard & Poor's und Fitch haben einen Zahlungsausfall festgestellt, weil Venezuela fällige Zinsen für Staatsanleihen nicht fristgerecht gezahlt hat. Allerdings ist die Sache nicht ganz so einfach.
Ein Zahlungsausfall ist bei Ländern nicht unbedingt gleichbedeutend mit einer umfassenden Staatspleite. So kann es durchaus sein, dass Venezuela die säumigen Zinsen doch noch zahlt. Rating-Agenturen sprechen daher auch von einem „begrenzten“ oder „technischen“ Zahlungsausfall. Damit soll signalisiert werden, dass das Land Zahlungsprobleme hat. Für die Frage, ob Venezuela nachhaltig pleite ist oder nicht, ist aber entscheidend, ob der Staat nur vorübergehend oder dauerhaft nicht mehr zahlt.
Neben Rating-Agenturen, die die Kreditwürdigkeit von Staaten bewerten, kommt dem Derivateverband ISDA eine wichtige Rolle zu. Dieser hat sich dem Urteil der Rating-Agenturen angeschlossen und am späten Donnerstag entschieden, dass spezielle Versicherungen für Investoren gegen einen Zahlungsausfall Venezuelas im Wert von fast 1,6 Milliarden Dollar (1,36 Mrd Euro) ausgezahlt werden müssen.
Das Land kann die Pleite ausrufen, so wie es Russland 1998 getan hat. Präsident Nicolás Maduro hat schon eine Restrukturierung der Schulden angekündigt. Das bedeutet, dass das Land mit seinen Gläubigern neu verhandelt. Ziel ist eine Schuldenerleichterung, entweder per Schuldenerlass (Schuldenschnitt) oder indirekt etwa über eine Verlängerung der Schuldenlaufzeit. Russland, einer der wenigen Verbündeten, hat einer Erleichterung schon zugestimmt.
Eine Staatspleite könnte zum Sturz des Präsidenten führen. Kenner des Machtgefüges in Caracas sagen, dass viele Sozialisten Anleihen vor allem des Ölkonzerns PDVSA besitzen und viel Geld verlieren würden. Daher sei auch der Druck auf Maduro so groß, keine Pleite zuzulassen.
Weitreichende. Der Pleitestaat, verliert über Jahre seine Kreditwürdigkeit. Die Gläubiger, gerade aus dem Ausland, sind dann nicht mehr bereit, neue Darlehen zu gewähren. Das kann schwere wirtschaftliche Verwerfungen nach sich ziehen, weil dringende Staatsausgaben nicht mehr finanzierbar sind. Und die Gläubiger, oft große Banken, laufen Gefahr, einen Großteil ihrer Forderungen zu verlieren. Daher ist das Interesse an einem Kompromiss auf beiden Seiten groß. Meist besteht er aus einem teilweisen Schuldenerlass.
Ja, auch wenn Venezuela ein relativ kleiner Abnehmer deutscher Exporte ist. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) hat bereits vor finanziellen Ausfällen gewarnt. „Das gilt insbesondere für die Unternehmen, die in der Vergangenheit Waren und Dienstleistungen an den venezolanischen Staat oder seine Staatsunternehmen geliefert haben“, sagte DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier. Viele von ihnen hätten erhebliche Außenstände. „Wenn die Finanzlage im einst reichsten Staat Lateinamerikas tatsächlich so hoffnungslos ist, wie es den Anschein hat, droht ein Totalverlust.“
Auch europäische Unternehmen haben viel investiert, Kraftwerke gebaut wie Siemens oder große Seilbahnen wie Doppelmayr aus Österreich - viele Unternehmen klagen über hohe Außenstände. „Wenn die Finanzlage im einst reichsten Staat Lateinamerikas tatsächlich so hoffnungslos ist wie es den Anschein hat, droht ein Totalverlust“, fürchtet Volker Treier vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK).
Versuche, mit Gläubigern einen Nachlass bei den Staatsschulden von insgesamt über 140 Milliarden US-Dollar (120 Milliarden Euro) zu verhandeln, sind bisher ergebnislos geblieben - immerhin gewährt Russland als großer Gläubiger bei Schulden über 3,15 Milliarden US-Dollar eine längere Rückzahlungsfrist von bis zu zehn Jahren. Die Ratingagentur Fitch nennt ein entscheidendes „Hindernis“, um noch den Kopf aus der Schlinge zu ziehen: Wegen der Entmachtung des Parlaments haben die USA Sanktionen gegen führende Regierungsmitglieder verhängt, darunter gegen Maduro und Vizepräsident Tareck El Aissami. Dieser führt die Verhandlungen. Gemäß der Sanktionen dürfen Gläubiger aus den USA mit ihm nicht verhandeln, sonst drohen ihnen selbst Strafen.
Bei der US-Bank Goldman Sachs steht Venezuela mit rund 2,7 Milliarden Dollar in der Kreide. Maduro ist es gelungen, mit Repression und der Einsetzung einer linientreuen Volksversammlung die Proteste vorerst zu ersticken. US-Präsident Donald Trump nennt Maduro einen Diktator.
Das Ausbleiben der Zinszahlungen wird als Teil-Pleite gewertet. Laut Standard&Poor's (S&P) liegt die Chance bei 50 Prozent, dass es in den nächsten drei Monaten einen umfassenden Zahlungsausfall und damit eine Staatspleite geben wird. Nach Argentinien 2001 wäre es die erste Staatspleite Südamerikas in diesem Jahrhundert. Und das bei den enormen Ölreserven - es wäre der letzte Akt in diesem Kapitel dieses Karibik-Sozialismus. Hauptproblem ist, dass 95 Prozent der Einnahmen sich aus dem Ölexport speisen - der ist eingebrochen, auch weil der Sektor nach der Verstaatlichung marode ist und der Ölpreis niedrig.
Der Raffinerie-Komplex Paraguaná gilt von der Kapazität her als der drittgrößte der Welt, bis zu 950.000 Barrel pro Tag sind theoretisch möglich, aber mangels Geld für Investitionen und ausländischem Know-how werden keine 40 Prozent davon geschafft. So muss Venezuela für mehrere Milliarden Dollar aus dem Ausland sogar Benzin einführen - selbst vom Erzfeind USA. Die Öleinnahmen sanken von 39,7 Milliarden US-Dollar (2014) bis 2016 auf 5,29 Milliarden Dollar. Benzin wird trotz allem hoch subventioniert, es ist das billigste der Welt. Hinzu kommt die höchste Inflation der Welt.
Das macht es immer schwerer, genug Devisen zur Bedienung der Schulden aufzutreiben. Eine Zahl, die das ganze Drama unterstreicht: Für einen Euro, der auf dem Schwarzmarkt in Bolivares umgetauscht wird, können derzeit rund 6000 Liter Benzin getankt werden - Wasser ist um ein vielfaches teurer.
Die Kosten für Ausfallversicherungen (CDS) auf Staatsanleihen liegen so hoch wie für kein anderes Land der Welt - ein klares Indiz für das Erwarten einer Pleite. Venezuela hat bereits große Mengen der Goldreserven und Anteile an Ölfeldern verkauft, um die Schulden noch bedienen zu können. Derweil wächst täglich die Notlage der Menschen, überall suchen sie im Müll nach Essen, im Internet wird nach Insulin oder Antibiotika gefahndet. Nach Einschätzung der Opposition ist der Mangel auch deshalb so groß, weil viele Sozialisten selbst Anleihen des Ölkonzerns PDVSA besitzen und sehr viel Geld verlieren würden.
Da die Pleite nicht überraschend käme, wären die internationalen Folgen überschaubar - aber die Menschen wären die großen Verlierer. Die Inflation würde weiter anziehen, die Versorgungskrise sich noch mal verschärfen. Nachbarn wie Kolumbien und Brasilien müssten sich auf massive Fluchtbewegungen einstellen. Während jetzt schon viele hungern, war Maduro letztens bei einem seiner TV-Auftritte durch einen Regiefehler zu sehen, wie er aus einer Schublade an seinem Schreibtisch in einer kleinen Pause eine Empanada herausholte und einen großen Bissen von der Teigtasche nahm. In sozialen Medien wird betont, dass er im Gegensatz zum großen Rest sogar zugenommen habe.