Venezuela Eine Seilbahn als Symbol für wirtschaftlichen Irrsinn

Venezuela ist reich - zumindest reich an Öl. Trotzdem versinkt das Land im Chaos. Ein Beispiel, warum so vieles schief läuft, zeigt sich in Mérida - an der höchsten und längsten Pendelseilbahn der Welt. Eine Parabel.

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Mit der höchsten und längsten Zugseilbahn der Welt will das krisengeschüttelte Venezuela wieder mehr Touristen anlocken. Das Problem: es gibt keine Touristen. Quelle: dpa

Auch in 4765 Metern Höhe gibt es kein Klopapier. Dabei ist die Bergstation „Pico Espejo“ vom allerfeinsten: Wie ein auf der Bergspitze gelandetes Raumschiff, blau schimmernde Panoramafenster geben den Blick frei auf das Andenpanorama. In Caracas fehlt den Bäckern das Mehl für das Brot. Hier, hoch oben über der Stadt Mérida, gibt es eine venezolanische Variante der Schwarzwälder Kirschtorte.

Eine fast perfekte Inszenierung, wären da nicht die Toiletten: Alles blitzeblank, feine Edelstahl-Halter - aber eben kein Klopapier. Der eklatante Mangel lässt sich auch hier nicht kaschieren. Im Land mit den größten Ölreserven der Welt fehlt das Geld, um genug Klopapier einzuführen. Wegen der lange sprudelnden Ölmilliarden setzten die Sozialisten auf den Import, statt mehr selbst zu produzieren. Und ließen mit Hilfe aus Europa ein Jahrhundertprojekt realisieren.

„Willkommen in der längsten, höchsten, modernsten und sichersten Seilbahn der Welt“, dringt eine Frauenstimme aus Lautsprechern, dazu dudelt besinnliche Musik vom Band. Es folgt ein Loblied auf Hugo Chávez, auf seine 1999 begonnene sozialistische Revolution. „Chávez war ein Träumer, er dachte, er könnte mit den Ölmilliarden alles aus dem Hut zaubern“, sagt einer, der hier mitgebaut hat.

Natürlich sind einige Gondeln in den gelb-blau-roten Farben Venezuelas gestrichen. 45 Minuten ist man unterwegs. Es gibt noch eine Gondelseilbahn auf einen Gletscher in China, die höher ist, aber - so betont man in Venezuela - es gebe nirgends so eine Pendelseilbahn. Während Gondelbahnen über ein ständig umlaufendes Seil gezogen werden, fährt eine Pendelbahn ein Seil entlang, hin und her.

Für viele ist das mit Hilfe aus Europa entstandene Jahrhundertprojekt nun ein Symbol von Größenwahn und ökonomischem Irrsinn. Heute fehlt sogar Papier und Tinte, um größere Scheine im Kampf gegen die höchste Inflation der Welt zu drucken. 18 Jahre Sozialismus, der Ölpreis unter 50 Dollar - das bugsiert Venezuela an den Rand des Ruins.

Während auf den Straßen zuletzt Menschen bei Protesten gegen Chávez' Nachfolger Nicolas Maduro durch Kopfschüsse starben, ist es auf der Bergstation himmlisch schön. Eine Oase im Chaos, eine Parallelwelt.

Pedro Olivares hat harte Monate hinter sich, er ist der Vertreter des Seilbahnweltmarkführers Doppelmayr in Venezuela. Doppelmayr hat im letzten Geschäftsjahr 834 Millionen Euro Umsatz gemacht und bisher 14 700 Anlagen weltweit gebaut. „Als Venezolaner bin ich sehr stolz, das ist eine großartige Arbeit“, sagt Olivares. Hinter ihm liegen fünf Jahre Arbeit, eines der schwierigeren Projekte der Firmengeschichte.

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Auch, weil normalerweise eine Bahn von oben nach unten gebaut wird, berichtet ein beteiligter Ingenieur. Der Initiator, Venezuelas 2013 verstorbener Präsident Hugo Chávez, wollte aber von unten nach oben bauen lassen, damit man den Bauortschritt besser sieht. Zudem wurden die von der venezolanischen Seite geplanten edlen Stationen teurer, statt 48 Millionen Euro kostete das Gesamtprojekt so 106 Millionen.

Doppelmayrs Tochterfirma Garaventa aus der Schweiz hat die Bahnlinie gebaut, die einen Höhenunterschied von über 3000 Metern überwindet. Olivares hat schon in ganz Südamerika Seilbahnen geplant, in La Paz (Bolivien) gibt es heute das größte urbane Netz der Welt, von der Satellitenstadt El Alto (4100 Meter) gondeln jeden Tag die Menschen zur Arbeit in den Kessel von La Paz. Fast 70 Millionen Passagiere seit 2014. Von so einer Auslastung kann man in Mérida nur träumen.

In Zeiten von Klimawandel und erschöpften Potenzialen sind Seilbahnen in Südamerika für Doppelmayr ein lukratives Feld. Das Meisterwerk der Ingenieurskunst in Mérida hat aber zwei große Haken, die das ganze Dilemma des einst so reichen Landes widerspiegeln. Erster Haken: 12,8 Millionen Euro sollen noch nicht bezahlt sein. Doppelmayr will sich dazu nicht äußern, hat aber wegen der offensichtlichen Geldnöte der sozialistischen Regierung ein anderes Seilbahnprojekt in Caracas jüngst erst einmal gestoppt. Chávez' Nachfolger Maduro hat kein Geld mehr, er hat auch schon den Großteil der Goldreserven verscherbelt.

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