Vereinte Nationen Die Uno kann die größten Probleme der Welt nicht lösen

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Entwicklungspolitik mit dem Bulldozer

Doch: China verzerrt die Daten. So lebten 1990 mehr als 60 Prozent der chinesischen Bevölkerung von weniger als „einem“ Dollar pro Tag, 2010 waren es nur noch 12 Prozent. Allein dort gab es 2010 also rund 500 Millionen arme Menschen weniger als 1990. In den afrikanischen Ländern südlich der Sahara dagegen sank die Armut im gleichen Zeitraum nur um acht Prozentpunkte. „Die Entwicklung Chinas sorgt dafür, dass die Bilanz der Millenniumsziele deutlich besser aussieht, als sie tatsächlich ist“, sagt Markus Loewe vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik. Nach China ist in den vergangenen Jahren kaum noch Entwicklungshilfe geflossen. Wer das Land daher als Gradmesser für den Erfolg der internationalen Entwicklungshilfe verwendet, schummelt.

Was Flüchtlinge dürfen

Man wird ja wohl noch träumen dürfen. Bis 2015 sollte „jedes Kind, egal, ob Mädchen oder Junge, die Möglichkeit haben, eine vollständige Grundschulausbildung zu durchlaufen“. Zwischen 1990 und 2012 hat sich die Zahl der Kinder in Schulen denn auch offiziell deutlich verbessert: In den Staaten, die nach UN-Definition als Entwicklungsländer gelten, gingen 90 Prozent aller Kinder im entsprechenden Alter zur Schule, vor allem das Afrika südlich der Sahara weist besonders schöne Zahlen auf.

Gute Zahlen sind nicht gute Ergebnisse

Doch genau diese großen Erfolge lassen stutzen. Stephan Klasen, Volkswirt an der Universität Göttingen, sagt: „Hier wird nur die Bildungsbeteiligung, nicht aber der Bildungserfolg gemessen.“ In Liberia etwa stieg die Zahl der eingeschulten Kinder in den vergangenen Jahren von 67 auf 87 Prozent. Bloß: Die Alphabetisierungsrate der 15- bis 24-Jährigen sank von 60 Prozent im Jahr 1994 auf zuletzt 49 Prozent. Ob das UN-Ziel aber wirklich erreicht ist, wenn mehr Kinder zur Schule gehen, dort dann aber weniger lernen? Eine Ausnahme? Eine Weltbank-Studie in Uganda ergab, dass 27 Prozent der Lehrer in den dortigen Schulen gar nicht anwesend waren. Von den anderen befand sich die Hälfte zum Zeitpunkt des vorgesehenen Unterrichts nicht im Klassenraum. Einschulungsrate laut UN: 95,6 Prozent.

Die Länder mit der höchsten Akademikerquote
Platz 10: IrlandBevölkerungsanteil mit Hochschulabschluss: 39,7 ProzentIm Jahr 2012 haben knapp 40 Prozent der Iren zwischen 25 und 64 Jahren eine universitäre Ausbildung. Das resümiert die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (kurz: OECD) in ihrem Bildungsbericht 2014. Deutschland hingegen schafft es nicht unter die Top Ten: Nur 28 Prozent haben einen Tertiärabschluss – also ein abgeschlossenes Studium oder einen Meister. Der OECD-Durchschnitt liegt dagegen bei knapp 33 Prozent. Quelle: AP
Platz 9: NeuseelandBevölkerungsanteil mit Hochschulabschluss: 40,6 ProzentDie weltweite Finanzkrise hat sich in Neuseeland nicht wirklich bemerkbar gemacht: Während die Zahl der Studenten in vielen Industriestaaten zwischen 2008 und 2011 zurückgegangen ist, steigt sie in Neuseeland weiter an und liegt bei knapp 41 Prozent. Im Jahr 2011 investieren neuseeländische Studenten im Durchschnitt knapp 11.000 US-Dollar in ihre Hochschulausbildung. Quelle: dpa
Platz 8: GroßbritannienBevölkerungsanteil mit Hochschulabschluss: 41,0 ProzentA-Level-Studentin Tabitha Jackson (r.) freut sich mit ihren Kommilitoninnen über ihren Abschluss am Brighton College. 41 Prozent der britischen Bevölkerung hat einen Hochschulabschluss. Ein Studienjahr in Großbritannien kostet rund 16.000 US-Dollar. Quelle: REUTERS
Platz 7: AustralienBevölkerungsanteil mit Hochschulabschluss: 41,3 ProzentEin Surfer springt mit seinem Brett in die Wellen vor Sydney. Auch „Down Under“ hat eine gut qualifizierte Bevölkerung, die deutlich über dem OECD-Durchschnitt liegt: 41,3 Prozent der Erwachsenen haben einen Universitätsabschluss. Pro Jahr muss ein australischer Student etwa 16.000 US-Dollar für seine Ausbildung zahlen. Quelle: AP
Platz 6: KoreaBevölkerungsanteil mit Hochschulabschluss: 41,7 ProzentJunge koreanische Studentinnen feiern ihren Abschluss an der privaten Sookmyung Universität in Seoul. In Korea haben 41,7 Prozent der erwachsenen Bürger einen Hochschulabschluss. Ein Studienjahr kostet knapp 10.000 US-Dollar. Quelle: dpa
Platz 5: USABevölkerungsanteil mit Hochschulabschluss: 43,1 ProzentVon allen 30 untersuchten Staaten ist ein Studium in den USA am teuersten: Rund 26.000 US-Dollar muss ein Student dort pro Jahr an einer Universität zahlen. Dennoch kann fast jeder zweite Erwachsene einen Hochschulabschluss vorweisen. Auf diesem Foto ist der Campus der Georgetown University in Washington zu sehen. Quelle: AP
Platz 4: IsraelBevölkerungsanteil mit Hochschulabschluss: 46,4 ProzentDieses Bild zeigt die israelische Universität Beerscheva, die auch als Ben-Gurion University of the Negev bekannt ist. Auch Israels Bevölkerung ist mit einem Anteil von 46,4 Prozent Hochschulabsolventen überdurchschnittlich gut ausgebildet. Pro Jahr investiert ein israelischer Student im Durchschnitt knapp 12.000 US-Dollar in seine Ausbildung. Quelle: dpa

Ähnlich paradoxe Ergebnisse gab es auch auf anderen Feldern. So soll ein Indikator messen, ob sich die Zahl der Menschen verringert, die in Slums leben. Die Regierung von Vietnam pries schon nach wenigen Jahren in einem Fortschrittsbericht, sie habe „in 2000 Städten temporäre Behausungen eliminiert“ um den Millenniumszielen näher zu kommen. Entwicklungspolitik mit dem Bulldozer.

Erfolge auf Nebenpfaden werden überholt

Aus Sicht der Vereinten Nationen ist der Siegeszug der Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen kaum noch aufzuhalten. Auf diesem Feld habe die Welt in den vergangenen Jahren „substanzielle Erfolge erzielt“, heißt es im jüngsten Fortschrittsbericht des Generalsekretärs Ban Ki-Moon. Doch was wurde hier gemessen? Die Einschulungsraten von Mädchen und Jungen und die Zahl weiblicher Parlamentsabgeordneter.

Entsprechend entlarvend liest sich dann auch die Liste der Vorbildregionen in diesem Sektor. So war die bis 2014 „erfolgreichste“ Region in Sachen Geschlechtergerechtigkeit ausgerechnet Nordafrika. Für besonders erwähnenswert hält die UN auch Saudi-Arabien: Innerhalb eines Jahres sei der Frauenanteil im Parlament um mehr als 15 Prozentpunkte gestiegen, besser war nur die Urzeit-Diktatur in Simbabwe.

Wir wissen nicht, wie sich die Welt entwickelt

„Es ist eines der größten Verdienste der Millenniumsziele, dass wir angefangen haben, uns über die Verfügbarkeit und Bedeutung von Daten Gedanken zu machen“, sagt Ingolf Dietrich, Abteilungsleiter im Entwicklungsministerium und dort für die Kontakte zu den Vereinten Nationen verantwortlich. Was er nicht sagt: Der Erfolg dieser Gedanken ist größtenteils sehr überschaubar. Das zeigt sich besonders deutlich am fünften Ziel der Millenniumsvereinbarung, die Müttersterblichkeit zu reduzieren.

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