Verfolgung von Homosexuellen Folterskandal in Tschetschenien wird neu aufgerollt

Wladimir Putins Menschenrechtsbeauftragte Tatjana Moskalkowa fordert die Aufklärung der Schwulenverfolgung und unterbindet Versuche, den Skandal zu vertuschen. Die Moskauer Führung hat reagiert.

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Russlands Präsident kann die Vorfälle in Tschetschenien nicht mehr ignorieren. Quelle: AP

Moskau Neuer Ermittler, neue Hoffnung: In der Affäre um die Verfolgung von Homosexuellen in der russischen Kaukasusrepublik Tschetschenien gibt es Indizien für eine Änderung der Haltung Moskaus, das bislang nach der Vogel-Strauß-Methode agierte. Erstmals gibt es öffentliche Kritik an den langsamen Ermittlungen in dem Skandal und Rückendeckung für ein Opfer. Motor der jüngsten Entwicklung ist die Menschenrechtsbeauftragte des russischen Präsidenten Tatjana Moskalkowa und ein junger Mann, der sich bereit erklärt hat, als Erster öffentlich über seine Misshandlungen und Erniedrigungen zu sprechen.

Maxim Lapunow heißt der aus dem sibirischen Omsk stammende Russe. Er ist einer von denen, die es offiziell nie gegeben hat: ein Folteropfer der tschetschenischen Sicherheitsorgane; entführt und festgehalten in einem Geheimgefängnis, geschlagen und erniedrigt wegen seiner Homosexualität. Zwei Jahre lang hatte Lapunow zuvor in Grosny gelebt und gearbeitet. Er organisierte Festveranstaltungen und verkaufte Luftballons auf der Straße. Bis zum 16. März 2017, als Beamte in Zivil ihn in ein Auto zerrten und verschleppten.

Zunächst wurde ihm die Beteiligung an einem Mord vorgeworfen, doch schnell wurde klar, dass alle Anschuldigungen sich um die sexuelle Orientierung Lapunows drehten – dabei ist Homosexualität in Russland laut Gesetz kein Verbrechen. In seinem Telefon fanden die Ermittler Kontakte zu anderen Homosexuellen und zwangen ihn, einen Bekannten aus dem Haus zu locken. Der Mann wurde ebenfalls in das Geheimgefängnis verschleppt und dann in Lapunows Anwesenheit gefoltert. Auch der junge Russe musste Misshandlungen erdulden: „Sie haben mich mit dem Gesicht zur Wand gestellt, und dann haben sie mich lange Zeit geschlagen, erst einer, dann der andere“, sagte er aus.

Fast zwei Wochen verbrachte er in seiner Kellerzelle. In den Tagen hörte er die Schreie zahlreicher anderer Folteropfer. „Jeden Tag wurden ein bis zwei neue gebracht.“ Einige davon seien mit Stromschlägen gequält worden, sagte er. Seine Freilassung verbindet Lapunow mit dem öffentlichen Druck, den seine Familie und Bekannte nach seinem Verschwinden entfacht hatten. Zuvor sei er jedoch gezwungen worden, Blankodokumente zu unterschreiben, seine Fingerabdrücke wurden auf Waffen festgehalten – offensichtlich, um ihn notfalls erpressen zu können. Dann befahlen ihm die Beamten zu schweigen und er wurde aus der Republik geworfen.

Immer wieder bekam er auch später Drohanrufe. Doch die bewirkten das Gegenteil. Lapunow schwieg nicht mehr, sondern ging irgendwann in die Gegenoffensive. Er ist der erste öffentliche Zeuge in einer Affäre, die seit einem halben Jahr in den Medien kursiert. Bis zu 100 Opfer, darunter auch mehrere Tote, soll es gegeben haben. Viele der Verfolgten sind aus Tschetschenien geflohen. Kanada hat Dutzenden homosexuellen Tschetschenen Asyl gewährt.

Die tschetschenische Führung hingegen behauptete steif und fest, der Skandal sei erfunden. Als „kranke Phantasie“ der Journalisten wurde die Affäre abgetan. Es gebe keine Schwulen in Tschetschenien, sagte Republikchef Ramsan Kadyrow sogar. „Und wenn es sie gibt, nehmt sie mit nach Kanada, weit weg von uns, damit unser Blut gesäubert wird“, fügte er zynisch hinzu.


Druck auf Putin zu groß

Doch der Druck war so groß, dass selbst die politische Führung in Moskau reagieren musste: Russlands Präsident Wladimir Putin versprach, die „Informationen oder Gerüchte“ überprüfen zu lassen. Passiert ist danach allerdings wenig.

Während die Ermittlungsbehörden anschließend die Untersuchungen weitgehend verschleppten, entfaltete die Menschenrechtsberaterin des Präsidenten, Tatjana Moskalkowa, unerwartet Aktivität. Bürgerrechtler waren bei der Ernennung Moskalkowas noch skeptisch gewesen, da sie jahrelang im Innenministerium, also quasi auf der „Gegenseite“ gearbeitet hatte. Auch Moskalkowa hatte den Fall zunächst als „Verleumdung“ und „Provokation“ abgetan. Inzwischen ist sie die einzige, die versucht, die Aufklärung der Homosexuellenverfolgung in Tschetschenien aktiv voranzutreiben.

Nach der Aussage Lapunows hat Moskalkowa nun Stellung bezogen und die Behörden scharf kritisiert: „Meiner Ansicht nach gibt es allen Grund für die Einleitung eines Strafverfahrens und die Bereitstellung staatlichen Zeugenschutzes für Maxim Lapunow“, sagte sie. Damit beendete sie die bisherige Informationspolitik des Kremls, die Foltervorwürfe gegen tschetschenische Behörden als Gerücht abzutun. Und Moskalkowa macht Druck: Das zuvor eingestellte Ermittlungsverfahren wurde auf ihr Drängen wieder aufgenommen. Sie forderte, die Zeugen, die Lapunow benannt habe „und die bisher wegen der mangelnden Aktivität des Ermittlers nicht gefunden wurden“, endlich aufzutreiben.

Erste Auswirkungen hatte dieser Druck zumindest schon: Der zuständige Ermittler im Nordkaukasus-Distrikt, der sich geweigert hatte, das Verfahren zu eröffnen, wurde entlassen. An seiner Stelle wurde nun nach Angaben des Opferanwalts Wladimir Smirnow ein neuer Ermittler damit beauftragt. „Ich nehme an, dass einige Ermittlungshandlungen tatsächlich nur im Rahmen eines Strafverfahrens durchgeführt werden können“, sagte Smirnow. Das wichtigste allerdings sei es gewesen, Lapunow zu einer Gegenüberstellung nach Grosny zu fahren. Das sei bis heute versäumt worden, bemängelte der Advokat.

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