Verpatzter Start der US-Demokraten Das Iowa-Desaster – und der Ruck nach links

Chaos und möglicherweise eine Überraschung: So lässt sich die erste Vorwahl der US-Demokraten in Iowa zusammenfassen. Auch am Tag nach der Abstimmung gibt es kein endgültiges Ergebnis. Quelle: imago images

Es ist ein PR-Gau: Auch am Tag nach der Abstimmung der ersten Vorwahl der US-Demokraten in Iowa gibt es kein endgültiges Ergebnis. Eine Blamage für die Partei. Dennoch zeichnet sich bereits eine Tendenz ab – nach links.

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Die Verkündung des ersten Zwischenstands fiel denkbar unspektakulär aus. Am späten Dienstagnachmittag, beinahe 20 Stunden nachdem die Demokraten im US-Bundesstaat Iowa die ersten Wahlversammlungen für die Nominierung des Präsidentschaftskandidaten der Partei abgehalten hatten, verkündeten die Funktionäre vor Ort endlich die ersten Teilergebnisse aus 62 Prozent der insgesamt knapp 1700 Wahllokale. Demnach führte der ehemalige Bürgermeister von South Bend, Indiana, Pete Buttigieg, knapp mit 26,9 Prozent der Delegierten vor Senator Bernie Sanders mit 25,1 Prozent. Es folgten Senatorin Elizabeth Warren mit 18,3 Prozent und auf dem vierten Platz Ex-Vizepräsident Joe Biden mit 15,6 Prozent.

Einige Stunden später bestätigte dann das zweite Teil-Ergebnis der chaotischen Vorwahl die Führung Buttigiegs. Nach Auszählung von 71 Prozent aller Wahlbezirke im Bundesstaat Iowa kam Buttigieg auf die meisten Delegiertenstimmen, wie die Demokratische Partei in Des Moines am späten Dienstagabend (Ortszeit) mitteilte. Dicht gefolgt weiterhin von Sanders. Warren und Biden liegen, auf den Plätzen drei und vier.

Ob sich diese Rangfolge bestätigt, bleibt abzuwarten. Sicher ist jedoch, dass sich die Demokraten bei ihrem ersten Aufschlag für 2020 ordentlich blamiert haben. Technische Probleme mit einer neu gebauten App hatten es verhindert, dass die Ergebnisse des Caucus wie in den vergangenen Jahrzehnten noch am Montagabend bekanntgegeben wurden. Damit beraubte sich die Partei in Iowa ihrer traditionell wichtigen Rolle als erster Gradmesser für die Präsidentschaftswahl. Denn diese Vorwahl lebt vom Narrativ, das sie auslöst: Wer hier gewinnt, zeigt, dass er organisieren und Wähler begeistern kann und bekommt traditionell einen Schub für die nächsten Wettbewerbe, die sich bis zum Nominierungsparteitag im Sommer hinziehen können. Dieser Nimbus ist nun verlorengegangen.

Denn rein technisch betrachtet sind die Wahlversammlungen in Iowa so gut wie bedeutungslos. Gerade einmal ein Prozent der Delegierten wird hier bestimmt, die den Präsidentschaftskandidaten küren. Doch die symbolische Bedeutung des Caucus war bislang kaum zu überschätzen. Nach mehr als einem Jahr Wahlkampf greifen im Mittleren Westen das erste Mal direkt die Wähler ins Geschehen ein. Wer hier enttäuscht, der kann seinen Traum vom Weißen Haus in der Regel beerdigen.

Das gilt besonders für die Demokraten. Zwei der drei Präsidenten, die sie in den vergangenen 50 Jahren stellten, haben hier gewonnen. Fast alle Sieger errangen später auch die Nominierung der Partei. Doch ob der mögliche Sieg von Buttigieg oder Sanders angesichts des Chaos, das die Wahlversammlungen umgab, eine ähnliche Wirkung entfalten kann, ist zumindest fragwürdig.

Trotzdem sollte der Zwischenstand ernst genommen werden. Vor allem Sanders‘ Ergebnis ist eine Warnung an das moderate Lager der Demokraten. Zwar landete er dem Wahlsystem folgend nur auf dem zweiten Platz, in absoluten Zahlen bekam jedoch kein anderer Kandidat mehr Stimmen als er. Dies hängt mit den Besonderheiten des Verfahrens in Iowa zusammen. Dass ein selbsterklärter demokratischer Sozialist im ersten Wettbewerb um die Nominierung für die Präsidentschaftskandidatur der Partei so gut abschneiden würde, galt noch vor wenigen Wochen als so gut wie ausgeschlossen. Monatelang klebte Sanders in den Umfragen um die 15 Prozent fest. Erst in den vergangenen Tagen schoss er plötzlich nach oben.

Ein sonderlich starkes Ergebnis hat er indes nicht erzielt. Noch vor vier Jahren verlor er nur hauchdünn gegen Hillary Clinton. Diesmal muss er sich mit einem Ergebnis von rund 25 Prozent zufriedengeben. Trotzdem ist die erste Wahlversammlung ein Erfolg für den linken Flügel der Partei – zumal auch die progressive Senatorin Elizabeth Warren mit 18 Prozent respektabel abschnitt.

Das Ergebnis ist die Folge eines Transformationsprozesses, den die Partei in den vergangenen Jahren durchlaufen ist. Die Zentristen innerhalb der Demokraten haben sich bis heute nicht ganz von der Niederlage Clintons gegen Trump erholt. Der durchaus wirtschaftsliberale Kurs, den Präsidenten wie Bill Clinton und Barack Obama im Weißen Haus verfolgten, war plötzlich in Misskredit geraten. Sanders, der für eine stärkere Rolle des Staates steht, für höhere Steuern, mehr Regulierung und weniger Freihandel, konnte in diesem Klima zu einer veritablen Alternative heranwachsen. Und die Partei insgesamt nach links verschieben.

Das zeigt sich exemplarisch an seinem Vorschlag, das amerikanische Gesundheitssystem zu verstaatlichen. Die Idee hat sich von einer krassen Außenseiterposition zu einer ernstzunehmenden Programmalternative innerhalb der Demokraten entwickelt. Das setzte auch moderatere Kandidaten wie Ex-Vizepräsident Joe Biden unter Druck. Sie befürworten eine staatliche Versicherungsoption, mit der sie das private System ergänzen wollen. Es ist eine Position, die noch vor wenigen Jahren innerhalb der Demokraten als zu extrem abgelehnt wurde. Nun gilt es als die konservative Variante. Das zeigt, wie weit sich die Partei mittlerweile bewegt hat – und wie schwer es das moderate Lager mittlerweile hat, sich gegen das Narrativ des progressiven Flügels durchzusetzen.

Daran ändert auch der erste Platz von Buttigieg bei den Delegierten in den Teilergebnissen von Iowa wenig. Sein Erfolg, sollte er Bestand haben, ist denkbar knapp. Der bisherige Favorit des Parteiestablishments, Ex-Vizepräsident Joe Biden, erreichte nur einen schwachen vierten Platz – abgeschlagen bei Delegierten und Wählern. An diesem ersten Eindruck wird auch das endgültige Endergebnis der Wahlversammlungen nichts mehr ändern können – wann immer diese veröffentlicht werden. Die Demokraten in Iowa schweigen dazu noch.

In der kommenden Woche geht der Nominierungsprozess in die nächste Runde, dann mit einer klassischen Vorwahl im Bundesstaat New Hampshire. In Umfragen liegt dort Sanders weit in Führung. Auf sein starkes Abschneiden könnte also bereits in wenigen Tagen ein veritabler Sieg folgen. Für die Moderaten wird der Kampf um die Präsidentschaftsnominierung noch anstrengend werden.

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